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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Hashagen, Justus: Die Gebrüder Boisserée
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0416

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ie Brüder Boisseree.
Manch einer hat es im heiligen Köln zu
einem Denkmal gebracht. Aber den Brüdern Boisseree
erhebt sich noch keines. Und doch hat die Stadt Köln
ihnen nicht nur äußerlich den Dom zu verdanken, sondern
auch innerlich ein gut Stück der Domstimmung, der
Heiligkeit und der altdeutschen Romantik. Der Name
Boisseree gehört zu den ersten Namen der stadtkölnischen
Kulturgeschichte.
Es bedarf jedoch keines neuen Denkmals von Stein
oder Erz in dem denkmälerreichen Köln. Was fehlt
und wonach man schon lange vergebens suchte: das war
eine gründliche, sachkundige und liebevolle Würdigung
der unverdrossenen und erfolgreichen Lebensarbeit dieser
beiden Kölner Kaufmannssöhne, die sich selbst der Kunst
zum frohen Opfer dargebracht haben. Es ist mit großer
Freude zu begrüßen, daß einer der besten Kenner der
mittelalterlichen und der rheinischen Kunstgeschichte,
Eduard Firmenich-Richartz, sich entschlossen hat,
die Lücke auszufüllen. Der erste Band eines zunächst
abschließenden Gesamtwerkes über die Brüder Boisseree
ist 552 Seiten stark in prächtiger Druckausstattung bei
Diederichs in Jena erschienen und behandelt „Sulpiz
und Melchior Boisseree als Kunstsammler". Der
zweite Band wird mit einer Würdigung ihrer Be-
mühungen um den Dom das Monumentalwerk zum
Abschlüsse bringen.
Die Brüder Boisseree sind als Kunstsammler etwas
ganz anderes als die älteren stadtkölnischen Sammler,
Wallraf nicht ausgenommen. Die banausische Äußerlich-
keit des Tuns, die den älteren Sammlern mehr oder
minder anhaftet, wird von den Boisseree völlig abge-
streift, indem sie in den mittelalterlichen Schätzen ihrer
Gemäldesammlung schon sehr früh eine innere Be-
ziehung und für sie ein tiefes Verständnis gewinnen.
Besonders Sulpiz verdankt diese verinnerlichte und eben
deshalb unerschütterliche und für die Außenwelt so an-
ziehende Begeisterung für die mittelalterliche bildende
Kunst, diese ganze hinreißende Kraft seiner rastlosen
Propaganda nicht nur sich selbst, seiner anpassungsfähigen
und liebenswürdigen, temperamentvollen und enthusiasti-
schen und doch so weltklugen Persönlichkeit, sondern zu-
nächst den mächtigen literarischen Einflüssen der älteren
Romantik eines Tieck und Wackenroder. Noch entschei-
dender wirkt dann in derselben Richtung Johann Baptist
Bertram, gewissermaßen der Kölner Merck, eine leben-
sprühende, etwas bizarre Figur, und vor allem Bertrams
Idol, Friedrich Schlegel, der in Paris 1803/4, dann auf
einer besonders genußreichen belgischen Reise und end-
lich in Köln selbst jahrelang der Mentor der Brüder
Boisseree wird, wobei aber dieser Fanatiker der jüngeren
Romantik, wie der Verfasser nut Recht hervorhebt, von
dem Kölner Dreigestirn selbst ganz neue Strahlen auf-
fängt. Erst die Kölner vermögen ihm für die gotische
Schönheit von Notre-Dame in Paris die Augen zu
öffnen. Indes hat das Bildersammeln und -kaufen schon
mit Eifer begonnen. Da aber die französische Provinz-
stadt Köln weder für die werdende Galerie noch für die
ganze romantische Kunstagitation der Brüder Boisseree
und Bertrams der geeignete Boden ist, so überführen

ie ihre ständig um die wertvollsten Stücke bereicherte
Gemäldesammlung 1810 nach Heidelberg, dem da-
maligen geistigen Mittelpunkte der westdeutschen Roman-
tik, wo die Galerie in kongenialer persönlicher und land-
schaftlicher Umgebung erst ihre volle Wirkung auf die
Zeitgenossen ausübt.
Zur deutschen und europäischen Berühmtheit ist sie
bekanntlich erst durch Goethe geworden. Der umfassendste
und interessanteste Abschnitt des vorliegenden Werkes
ist „Goethes Freundschaft" gewidmet. Besonders hier
können die vielen neuen ungedruckten Materialien nutz-
bar gemacht werden, die Firmenich-Richartz u. a. aus
dem Weimarer Goethe-Schiller-Archive, aus dem Archive
der Bonner Universitätsbibliothek und aus dem Kölner-
Stadtarchive herangezogen hat. Besonders die 1910 vom
Kölner Stadtarchive erworbenen Tagebücher Sulpizens
sind eine biographische und kulturgeschichtliche Quelle
von intimem Reize und zugleich eine schöne Bereiche-
rung der Goetheforschung. — Schon 1808 hatte Friedrich
Schlegel Goethes Interesse für die altdeutsche Malerei
zu gewinnen versucht. Und bald darauf hatte „die
christliche Kunst in ihrem ethischen Gehalt" in Goethes
Wahlverwandtschaften schon „Fürsprechergefunden". Aber
es ist doch charakteristisch, daß Goethe, als der Minister-
Reinhard ihm den Sulpiz Boisseree und seine neuen
Ideale zuführen will, noch am 22. April 1810 mit äußer-
ster Zurückhaltung antwortet:.. .„wie Sie selbst am besten
fühlen, so müßte ein Schüler von Friedrich Schlegel eine
ziemliche Zeit um mich verweilen, und wohlwollende
Geister müßten uns beyderseits mit besonderer Geduld
ausstatten, wenn nur irgend etwas erfreuliches oder
auferbauliches aus der Zusammenkunft entstehen sollte."
Die wohlwollenden Geister ließen nicht auf sich
warten. Schon Sulpizens erster Brief an Goethe vom
8. Mai 1810 wird freundlich ausgenommen und zu-
stimmend erwidert: Sulpiz darf kommen. Sein Eindruck
auf den spröden Alten in Weimar ist von Anfang an
überraschend günstig. Man wird nicht zweifeln, daß
Goethe nicht sowohl durch den romantischen Enthusias-
mus des Kölners, gegen den er vielmehr gerade ein un-
überwindliches Mißtrauen hegte, als vielmehr durch
seine ruhige, etwas umständliche Sachlichkeit und durch
seine gründliche Solidität für ein Studium ganz neu-
artiger Kunstschöpfungen gewonnen worden ist. Was
Boisseree später, am 24. Oktober 1814, einmal schreibt:
„Er war mit unserer ruhigen philosophisch-kritischen Be-
trachtung der Kunstgeschichte sehr zufrieden", kann wohl
verallgemeinert werden. Auch Boisseree selbst hat gerade
für den wissenschaftlichen Ernst der Goethischen Be-
trachtungsweise mehrfach seine Bewunderung ausge-
sprochen. Aus äußeren Gründen erfolgt Sulpizens erster
Besuch in Weimar dann erst am 3. Mai 1811. Sulpiz
berichtet zwar: „Er machte bei allem ein Gesicht, als
wenn er mich fressen wollte", aber Goethe selbst nennt
den neuen jungen Freund schon am 8. Mai Reinhard
gegenüber „ein bedeutendes Individuum". Jedenfalls
ist das Eis bald gebrochen. Sulpizens persönliche Vor-
züge haben dabei stark eingewirkt: sein rheinisches Tem-
perament, sein weltmännisches Benehmen, seine takt-
volle Bescheidenheit. Für eine spätere Zeit, 1815, kann
Firmenich-Richartz auf Grund der Tagebücher seinen Ein-


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