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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Erzählungsbrüder
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0422

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Erzählungsbücher.
Das andere Buch ist auch eine Lebensbeschreibung,
aber freilich ganz anderer Art. „Jugend und Heimat,
Erinnerungen eines Fünfzigjährigen"*), nennt es der
Verfasser, der bescheiden als Namenleser zurücktritt. Es
ist freilich auch mehr als ein Leben, das da an uns vorbei-
zieht. Wir lernen die Heimat und Herkunft des Schrei-
bers kennen, den Schulzenhof im Bergischen, und ein
Hauch aus der selbstherrlichen Menschlichkeit jener Ge-
schlechter weht uns noch an. Wir ziehen mit dem Schüler
auf das evangelische Gymnasium in das kleine west-
falische Städtchen, das ehemals eine Residenz war, und
Erinnerungen aus der eigenen Schulzeit werden wach
bei den Bildern der wunderlichen Lehrer und Hüter
dieser Jugend. Die schönen Jugendtage auf dem Meier-
hof verleben wir mit dem Knaben und Jüngling, den
eine Tante von märchenhafter Güte und Freigebigkeit
das Elternhaus nie schmerzlich entbehren läßt, wie über-
haupt dieser Meierhof fast wie der Honig die Bienen
einen Schwarm der seltensten Menscheneremplare an
sich zieht, mit dem wir dann bekannt werden. Aber alles
das nicht, auch nicht das seltsame religiöse Leben und
spätere Aufblühen der kleinen Weberstadt zur Groß-
stadt, darin die Eltern des Verfassers und nachher er
selber eine Spanne Zeit wohnen, wäre von solcher Be-
deutung, daß darum das Buch über den Kreis seiner
Freunde hinaus Beachtung verdiente. Diese verdient
es aber und sie wird ihm nicht fehlen, denn es ist in dem
deutschen Geist geschrieben, der lebendig ist, und es fallen
Worte darin, die stehen wie geschliffene Waffen bereit
für eine Zeit, die sie nötiger brauchen wird als je eine
vorher. Es ist in einer einfachen Sprache geschrieben,
die aus der Schule der Klassiker kommt, aber um einiger
Seiten willen wäre es wert, einen Platz zu haben unter
den guten deutschen Hausbüchern, die wie ein Stück
aus unserer Väter Zeiten Zeugnis ablegen von den:
Geist, der sie trieb, und der in den alten Kaufmanns- und
Gelehrtenfamilien noch lebt, aus deren Söhnen unseres
Volkes jüngste Helden und Führer kommen.
Einmal wird in dem Buch von einem Philosophen
erzählt, der diesen Namen wie einen lustigen Spott
angehängt bekam von denen, die ihn für einen Narren
hielten, wie das oft in kleinen Städten kommt, wo man
für die wunderlichen Leute, die man nicht in den Alltag
einzuordnen vermag, keinen anderen Weg weiß als ins
Narrenhäuschen. Dieser Philosoph nun hatte das Ge-
heimnis des Todes zum Gegenstand seiner Forschung
gemacht, dem er überall nachspürte. Er sagt einmal
Worte über die Unsterblichkeit, die gehen so tief an
das Letzte, was sich in der Sprache der einfachen
Leute darüber sagen läßt, daß es schon um dieser
Worte willen wert wäre, das Buch zu haben. Sie
mögen hier folgen:
*) Jugend und Heimat, Erinnerungen eines Fünfzigjährigen.
Verlag von Wilh. Langewiesche - Brandt, München-Ebenhausen.
(Geb. M. 1,80.)

Fensterbrett.
Nicht ohne Selbstgefälligkeit stellen wir in diesen Kriegs-
tagen ab und zu fest, daß die „Kultur" bei uns keine Not leidet,
daß Theater gespielt wird, Musik gemacht, Bücher geschrieben und
Bilder gemalt werden. Bei der Dauer dieses Kriegszustandes

„Wir alle hätten von Haus aus, mit den unendlichen
Mißverständnissen der christlichen Jahrhunderte belastet,
die verhängnisvolle Neigung, Gott und Unsterblichkeit
allzusehr zu verirdischen. Er seinerseits sei aber zu der
Erkenntnis durchgedrungen, daß man sich dieses alles
gar nicht weit und frei und groß und überpe.rsönlich
genug vorstellen könne. Wenn er nun versuchen solle,
das auszufprechen, wofür der Mensch weder Begriffe
noch Wörter habe und haben könne, so sei er sich des
Unzulänglichen solches Versuches wohl bewußt und daher
nicht geneigt, sich auf ein Streiten hierüber einzulassen.
Sein Glaube sei, daß das Weltall von einer über-
persönlichen Kraft erfüllt sei und zusammengehalten
werde, die man ganz nach Belieben Gott oder das Leben
oder das Gute oder die Wahrheit oder die Liebe nennen
könne. Das sei ganz gleichgültig, wie man sie nenne, da
ja jedes uns mögliche Wort immer ein Notbehelf bleibe.
Diese Kraft sei immer gewesen und werde immer sein.
Tief in jedem Menschen lebe etwas von ihr, und wenn
der Mensch sterbe, kehre dieses Etwas — durch das Leben
des Menschen gestärkt und vermehrt oder auch gejchwächt
und vermindert — zu seinem Ursprung zurück, darin
aufzugehen wie eine kleine Flamme in einer großen.
Wir könnten aber auch an ein kleines Licht denken, das
in der Nacht gar hell leuchte, aber bei Sonnenaufgang
scheinbar verblasse, nicht weil es weniger kräftig brenne,
fondern weil sein Schein sich in dem unendlich größeren
der Sonne verliere. Darum sei es nicht richtig, von einem
Sterbenden zu sagen, sein Lebenslicht verlösche. Es
verschwinde nur in einem helleren Glanze. Übrigens sei
es keineswegs gleichgültig, ob man sein Erdenleben im
Widerspruch oder im Einklang mit jenem geheimnis-
vollen Etwas im eigenen Herzen, dem Teilchen der
Gotteskraft, lebe. Denn erst, wenn diese das All nicht
nur zusammenhalte und erfülle, sondern in allen Teilen
allein und ungehemmt durchdringe und beherrsche, dann
sei das Ziel der Menschheit, die Vollkommenheit, er-
reicht und das Reich Gottes vollendet. Es komme also
darauf an, daß diese Kraft von jedem immer und überall
gestärkt und vermehrt werde. — Was nun das persön-
liche Bewußtsein nach dem Tode betreffe, so soll man sich
hierüber doch nicht sorgen,Wielmehr den Tod, der ja an
und für sich ganz unvermeidlich sei, in dieser Hinsicht als
ein Lotterieloch betrachten, das^man geschenkt erhalte,
durch das man also im ungünstigsten Falle nichts ver-
lieren könne. Die Unsterblichkeit, die man durch fort-
wirkende gute Worte und Werke hier auf Erden gewinnen
könne, werde doch auch je nach der Bedeutung des
Menschen in Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten oder
Jahrtausenden aus einer persönlichen von selber zu einer
unpersönlichen. Die Hauptsache bleibe, daß kein Teilchen
der Gotteskraft und nichts, was es gewirkt habe, ganz
verloren gehen könne, und das Bewußtsein, nicht um-
sonst gelebt zu haben und nicht umsonst zu sterben, ge-
nüge wenigstens ihm vollkommen . . . ." L. S.

ist es nicht einmal so sehr verwunderlich, daß alles versucht, wieder
in ein Gleis zu kommen, denn der Mensch hat, wie alle Naturwesen,
nicht nur die Fähigkeit, sondern auch das Bestreben, sich anzupassen
und aus neuen Notwendigkeiten rasch neue Möglichkeiten zu ge-
winnen. So spielen die Theater kurz hinter der Front in Feindes-
land deutsche Klassiker vor einem Hause voll Soldaten, die aus dem

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