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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Walser, Robert: Naturschilderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0039

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<V>aturschi!derung.
H' Von Robert Walser.
Ich war dabei innig ergriffen und so seltsam bewegff
wie ich es mir heute kaum noch zu erklären vermag.
Ich erinnere mich, eines Abends ein entzückendes Abend-
rot über hohen grünen Sommerbäumen gesehen zu haben.
Alles war still, groß, fein und kühn, das war übrigens
schon später, lind hier möchte ich eigentlich von Früherem
reden. Frühes und Spätes, Längstvergangenes und
Jetziges, Halbschonvergeffenes und Deutlich-Gegenwärtiges
schwimmen und schimmern mir ineinander über, wogen
wie blitzende Lichter durcheinander, fallen wie schöne
schwere Wellen zusammen. Doch ich liebe dieses eigen-
tümliche Zittern, dieses Blenden. Ich bin ein erklärter
Freund des Ungewissen, des Undeutlichen, des Nebel-
haften, wo alles Gegenständliche vergeistigt, verfeinert
aus allem Sonstigen, aus allem andern hervortritt.
Ich liebe es, wenn es um den Geist und ums Herz
dunkel ist, daß man sich recht im Geist, in der Phan-
tasie und im Herzen anstrcngen muß, um halb verloren
gegangene liebe Dinge, Schönheiten, Kostbarkeiten wicder-
zufinden. Suchen, spüren, spähen, horchen und lauschen
ist so schön. Also das schöne Abendrot! Einmal sah
ich auch eine blühend rote Abendwolke über einem Garten
voll blühender Rosen und Lilien. Wie sind die bäu-
rischen Gärten schön im Sommer, so üppig voll von
kraftvoller, mitunter gar wilder und phantastischer
Schönheit, daß sich die Seele nach einem Indien oder
nach einer Südseeinsel versetzt fühlt. Eine prächtig ge-
kleidete, gesunde, reiche Bauersfrau in ihren üppigen Ge-
wändern hat mit einem ländlichen Garten Ähnlichkeit.
Wie verblaßt, verschwindet da alles Städtische oder gar
Großstädtische. Auf dem Land ist alles weich, reich und
voll, in der Stadt ist alles mager, hart und arm. Was
sind Blumen in der Stadt? Blumen müssen gesehen
sein, wie sie im ländlichen Garten mitten in all der
sonstigen Pslanzenpracht, mitten im Grün, in frischer
gesunder Luft stehen, bestrahlt von der Sonne, um-
schmeichelt von wohlwollenden zarten Winden, in der
Freiheit! Wie ich sehe, bin ich im besten Zug, mich zu
verirren, vom wahren Gegenstand abzuweichen. Ich
will daher dorthin zuückkehren, wo ich abgebogen bin,
damit ich auf dem rechten Weg weitergehen kann.
* 4
*
Bei allem dem war ich, wie ich glaube, vielleicht
weniger in irgendeiner schwärmerischen Begeisterung, als
weit mehr nur in einer starken Aufmerksamkeit, welche
ein Zustand ist, den ich höher schätze als den der Be-
nommenheit, wo das Gefühl alles exakte, bestimmte Be-
obachten, alles Einprägen, alles Denken mit seinem Über-
fließen leicht hinwegschwemmt. Wie ich noch sebr genau
weiß, war ich den Dingen gegenüber mehr kühl als warm,
mehr mißtrauisch als sorgenlos. — Indessen zog mich
doch die Wärme bald mit, und eine große, tiefe Freude
vermochte mich da und dort hinzureißen und sich aller
meiner Überlegungen zu bemächtigen. Ich habe bereits
von einer Zärtlichkeit gesprochen, mit welcher ich rings
um mich her in die dunklen und Hellen Gegenden blickte.
Ein Empfinden des Dankes rührte mich. Sonderbares,

Wunderbares tastete mich an. Ich stand plötzlich wie
angewurzelt vor einer Erstaunlichkeit da, die sich hoch
vor mir ausbäumte. Ich hatte mit allerlei Einbildungen,
konfusen Gedanken, kleinen wilden Einfällen zu kämpfen.
Ich ging und stand still, ging wieder und blieb dann
wieder auf dem Fleck stillstehen, indem ich mich nach
allen Seiten sorgsam umschaute, als sei ich ein Soldat
auf der Wache. Ein Strom des Außerordentlichen floß
auf meine Augen zu. Es war, wie gesagt, früh im
Jahr. Ich sah in den Gärten und auf den felsigen
Abhängen Feuer lodern, und es ist mir unvergeßlich
geblieben, wie die Flaminen in die feuchte und dunkle
Frühjahrsluft hineinzüngelten. Die Farben machten auf
mein schauendes und denkendes Gemüt einen tiefen Ein-
druck. Allerlei sonderbare und merkwürdige Farben ver-
mischten sich mit ebensolchen Lebenserinnerungen. Ich
trat wie gebannt umher, war wie verzaubert, gleich dem
Prinzen im Märchen, wiewohl ich sonst mit irgendeinem
Prinzen natürlicherweise nicht das geringste zu tun habe.
Aber die Märchenprinzen haben ja ihrerseits mit wirk-
lichen Prinzen auch nichts zu tun. Der Prinz im
Märchen ist Mensch, ist der Mensch, der sucht und
sucht. — So suchte auch ich, so ging auch ich suchend
nach Erdeneigentümlichkeiten umher, und das Suchen
bereitete mir das größere Vergnügen als das Finden.
Der Suchende freut sich im voraus aufs Finden; der
aber, der etwas gefunden hat, muß sich nun auf neuer-
liches Suchen vorbereiten.
* *
*
Indem ich da und dort, an dieser und an jener
Stelle, wie unter einem Aauberbann stillftand und das
schöne Land mit großen und erstaunten Augen still und
lang und sorgfältig anschaute, geschah das Sonderbare,
daß es nun auch mich mit allen seinen Eigentümlich-
keiten groß und still und lang und erstaunt anschaute.
Das Betrachten und sorgfältige Prüfen und die damit
verbundene stille Aufmerksamkeit, das andaucrliche ein-
gehende Forschen und die damit verknüpfte Staunens-
würdigkeit, mit einem Wort, das Staunen, das Große,
das Stille, das Fragliche und Bedenkliche schienen gegen-
seitig geworden. Das Land und all sein Schönes bekam
Augen, mit denen es mich höchst nachdenklich und höchst
beharrlich zu betrachten schien, womit ich durchaus zu-
frieden war. Der Wald schien mir voll von wunder-
baren Phantasiegestalten. Es duftete und tönte so eigen-
tümlich. Tönen und Duften gingen in entzückender
Harmonie leise durcheinander, derart, daß der Abend-
glanz zu singen und daß der Ton seine eigene Farbe
bekommen zu haben schien. Ein altes Landhaus stand
still und geheimnisvoll in sich selbst versteckt am dunklen
Waldrand da. Die Waldvögel sangen mit bezaubern-
dem, urwelthaftem Schmelz, mit so süßem Weh und
mit so liebedurstiger, voller und üppiger Klage. Freude
und Weh gingen als Gestalten freundlich durch den
stillen, grünen, weichen Wald. Es tönte hier nach
einem Vergnügen und dort nach einem unendlichen Ver-
zagen, und das Schönste war noch, wie alles Tönen
aus dem Munde der Dunkelheit selbst herauszudringen
schien, wie wenn die kleinen lieben Waldvögel den un-
geheuren Schmerz der Welt, alles von jeher dagewesene,
unbegreifliche und unfaßbare Ungeheure dieses sonder-

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