Natuffchlldcnmg.
baren, wehmuterfüllten Daseins versinnlichten und ver-
ständlich machten. Ich lauschte, war ganz nur noch
Lauschen. Und in mein Lauschen hinab fiel von den
Gipfeln der ernsten Waldbäume das wunderbare Meeres-
rauschen, das in Wäldern vernehmlich ist. Und indem
ich lauschte, hatten auch die Augen schon wieder etwas
Neues, zwar Altbekanntes, doch auch wieder zugleich gänz-
lich Fremdartiges und Niegesehenes zu sehen. Die Bäume
glichen bald feierlichen, bald drolligen Traumgestalten, die
schlanken Tannen winkten mir mit ihren langen, edlen Ästen
bedeutsam zu. Alles war still, und doch schien sich alles
zu bewegen, rundherum zu gleiten, in die Höhe zu
steigen und in eine unausmeßbare fabelhafte Tiefe zu
sinken. Mir war unsagbar wohl zumute. — Ein Haus
mit drei grünen Fensterläden schaute von draußen her
still in den Wald hinein, als seien die Fenster seine
Augen, und als sei es selbst ein bedächtig ausschauendes
Gesicht, das voller guter, ehrlicher Verwunderung um
sich blickt. Später kam ich zu den Wiesen — ihr Grün
war so tief. Hier hatte jeder Baum, jedes Gestrüpp,
jeder Strauch seine liebliche, redliche Eigenart. Die Obst-
bäume standen fest, trotzig und lustig da. Ich hätte
zu ihnen sagen mögen: „Ihr seid noch ehrliche Kerle".
So treuherzig, so kernig, so urwüchsig, wiewohl letzteres
Wort vielleicht ein wenig abgenutzt und verbraucht ist
und darum nicht mehr so viel spricht als es wollte.
* *
*
Tag und Nacht, Morgen und Abend hatten einen
ungetrübten, unverwaschenen Ausdruck, schauten jedes
mich mit seiner eigentümlichen reinen Farbe wie mit
natürlich-klaren und schönen Augen an. Was mir be-
sonders angenehm ausfiel, war, daß alles Vorhandene
seine wesentliche saubere Färbung besaß, der Stein die
seine, das Holz der Baumstämme die seine, der Erd-
boden die seine, die Blätter und Nadeln die ihre — alles
war von satter, edler, voller Klarheit; jede Mauer sprach
und stach von anderen Dingen ab als Mauer, jeder
Baum stand rein und unbenommen als solcher da, war
er selbst, diente niemandem als ihm selber, war keinem
Park- oder sonstigen Zweck unterworfen, und so warö
nut allem andern. Die Stämme strotzten von Frische,
Gesundheit und Freiheit, nahmen einen breiten, behag-
lichen Platz ein, dehnten und reckten ihre Zweige und
Äste weit in der prächtigen, glänzenden Lust aus, daß
es eine Freude war zu sehen, wie üppig, frech und frei
sie sich entfalten durften, wie sie ungestört und unge-
plagt wachsen konnten. Jeder Gegenstand, jede Erschei-
nung stand fest und doch in schöner Weichheit, weich,
weil frei, mit allen seinen Eigenheiten und Spuren und
Zeichen von Wunderlichkeit und Keckheit fröhlich da,
hinderte nicht und war selbst nicht gehemmt und be-
hindert, und in all die breite, Helle, wohlige Freiheit
hinab und hinein schlich ein heiteres, reizendes, sarben-
durchtränktes Himmelslicht, denn der Himmel war der
große und gute Freund aller dieser wachsenden, gedeih-
lichen Dinge. Wo bin ich denn jetzt wieder? Ich glaube
sehr, daß ich nölig habe, meine Gedanken wieder ein
wenig zu ordnen und die zerstreuten Geister, die über
alles rasch sich ausbreiten wollen, zu sammeln.
Von himmlischer Schönheit, Reinheit und Frische
war das Frühlingsgrün. Ich glaube bestimmt, daß ich
nie in meinem Leben etwas so Schönes gesehen habe.
Die jungen grünen Blätter hingen von den hohen
Kastanienbäumen wie eine Art Fleisch herunter. Ich
werde es wobl schwer beschreiben können; indessen, wenn
ich nur mit der sanften vorsichtigen Feder mit einiger
Geschicklichkeit über all das Schöne leicht hinübersahre,
so will ich schon froh sein und es mir nachher wieder
wohl sein lasten. Das Grün besaß einen wunderbaren
Aauberklang von Jugend. — Rosige Mädchcnwangen
und -lippen haben etwas von solch einem göttlichen
Reiz, der so sehr Seele als Fleisch, so sehr Gedanke als
Musik, so sehr Geist als Körper ist. Wie eine fröhliche,
zärtliche Mozartmusik hing und schwcbre und schimmerte
es in den Bäumen. Das Grün brach überall hervor,
gab überall den schönsten und besten Ton an, herrschte
überall, hing die Felswand jugendlich-mutwillig herunter,
wie graziöse Locken über einer Stirne, stürzte herab und
kletterte andern Ortes hoch empor. Die Sträucher be-
saßen vielleicht das schönste, hellste, feurigste, flammendste
Grün, und hinein in dieses liebe Grün floß wieder ein
anderes Entzückendes, eine andere wunderbare Melodie,
eine andere entzückende Farbe; ein Entzückendes floß
und strömte so in das andere, daß beides aneinander
hing wie Lippen, die einander innig küssen, wie Augen,
die einander liebevoll anschauen. Ich meine, daß in
diese Wonne von Grün eine Wonne von Blau floß,
und daß beides Wonniges und Göttliches gegenseitig
vielleicht noch streitete, welches das Schönere sei, wel-
ches vom Himmlischen mehr habe als das andere. Ein
blühender Strauch ist ebenso himmlisch wie der blaue
Himmel. Die Erde ist ebenso göttlich wie alles Gött-
liche. Alles, alles ist göttlich, alles ist durchgöttlicht.
Ich muß wieder hervorheben, daß ich, indem ich so
herumging, mir Mühe gab, alles so kühl und so fest
wie möglich zu betrachten, und mir alles Gute und
Schöne eindringlich in den Kopf einzuprägen. Das
junge Grün erschien mir als ein grünes Brennen, als
ein süßes, jugendliches Begehren, als ein Feuer und
Flammenlodern. Und wieder loderte auch das Blau,
derart, daß ich zweierlei Feuer lodern sah. Ein Blühen
wars und zugleich ein Glühen. Es glühte grün aus
allen kleinen Zweigen und glühte blau über alle Berge,
über die ganze Erde hinweg. Der See in der Nähe
hatte einen Anstrich von feurig, von glühendblauem
Porzellan. Er glich einem geschliffenen blauen Edelstein
und ein himmlischer wilder Wind wehte wie eine weiße
Gottgestalt darüber. Der blaue See war weiß durch-
adert von Schauerlinien von einem Ufer ans andere.
Das Wasser glich einer blauen Glut, und der lebhafte
junge Wind setzte diese blaue Glut in wellige Bewegung,
und durch den blauen Himmel zogen weiße Wolken
wie Jünglinge mit edlen königlichen Gesten, und es ging
eine stürmisch-göttliche Bewegung, eine herrliche, liebende
Wildheit, ein Stürmen und Drängen, ein blaues, weißes,
goldenes Fluten über den gesamten ersichtlichen Raum,
von einein reizenden Horizont zum andern, vom Him-
mel zur Erde, von Luft zu Lust, von Umfang zu Um-
fang, daß es einem entzückenden Austoben glich, als
wolle eine Welt vor Freude über ihre Schönheit all
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baren, wehmuterfüllten Daseins versinnlichten und ver-
ständlich machten. Ich lauschte, war ganz nur noch
Lauschen. Und in mein Lauschen hinab fiel von den
Gipfeln der ernsten Waldbäume das wunderbare Meeres-
rauschen, das in Wäldern vernehmlich ist. Und indem
ich lauschte, hatten auch die Augen schon wieder etwas
Neues, zwar Altbekanntes, doch auch wieder zugleich gänz-
lich Fremdartiges und Niegesehenes zu sehen. Die Bäume
glichen bald feierlichen, bald drolligen Traumgestalten, die
schlanken Tannen winkten mir mit ihren langen, edlen Ästen
bedeutsam zu. Alles war still, und doch schien sich alles
zu bewegen, rundherum zu gleiten, in die Höhe zu
steigen und in eine unausmeßbare fabelhafte Tiefe zu
sinken. Mir war unsagbar wohl zumute. — Ein Haus
mit drei grünen Fensterläden schaute von draußen her
still in den Wald hinein, als seien die Fenster seine
Augen, und als sei es selbst ein bedächtig ausschauendes
Gesicht, das voller guter, ehrlicher Verwunderung um
sich blickt. Später kam ich zu den Wiesen — ihr Grün
war so tief. Hier hatte jeder Baum, jedes Gestrüpp,
jeder Strauch seine liebliche, redliche Eigenart. Die Obst-
bäume standen fest, trotzig und lustig da. Ich hätte
zu ihnen sagen mögen: „Ihr seid noch ehrliche Kerle".
So treuherzig, so kernig, so urwüchsig, wiewohl letzteres
Wort vielleicht ein wenig abgenutzt und verbraucht ist
und darum nicht mehr so viel spricht als es wollte.
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Tag und Nacht, Morgen und Abend hatten einen
ungetrübten, unverwaschenen Ausdruck, schauten jedes
mich mit seiner eigentümlichen reinen Farbe wie mit
natürlich-klaren und schönen Augen an. Was mir be-
sonders angenehm ausfiel, war, daß alles Vorhandene
seine wesentliche saubere Färbung besaß, der Stein die
seine, das Holz der Baumstämme die seine, der Erd-
boden die seine, die Blätter und Nadeln die ihre — alles
war von satter, edler, voller Klarheit; jede Mauer sprach
und stach von anderen Dingen ab als Mauer, jeder
Baum stand rein und unbenommen als solcher da, war
er selbst, diente niemandem als ihm selber, war keinem
Park- oder sonstigen Zweck unterworfen, und so warö
nut allem andern. Die Stämme strotzten von Frische,
Gesundheit und Freiheit, nahmen einen breiten, behag-
lichen Platz ein, dehnten und reckten ihre Zweige und
Äste weit in der prächtigen, glänzenden Lust aus, daß
es eine Freude war zu sehen, wie üppig, frech und frei
sie sich entfalten durften, wie sie ungestört und unge-
plagt wachsen konnten. Jeder Gegenstand, jede Erschei-
nung stand fest und doch in schöner Weichheit, weich,
weil frei, mit allen seinen Eigenheiten und Spuren und
Zeichen von Wunderlichkeit und Keckheit fröhlich da,
hinderte nicht und war selbst nicht gehemmt und be-
hindert, und in all die breite, Helle, wohlige Freiheit
hinab und hinein schlich ein heiteres, reizendes, sarben-
durchtränktes Himmelslicht, denn der Himmel war der
große und gute Freund aller dieser wachsenden, gedeih-
lichen Dinge. Wo bin ich denn jetzt wieder? Ich glaube
sehr, daß ich nölig habe, meine Gedanken wieder ein
wenig zu ordnen und die zerstreuten Geister, die über
alles rasch sich ausbreiten wollen, zu sammeln.
Von himmlischer Schönheit, Reinheit und Frische
war das Frühlingsgrün. Ich glaube bestimmt, daß ich
nie in meinem Leben etwas so Schönes gesehen habe.
Die jungen grünen Blätter hingen von den hohen
Kastanienbäumen wie eine Art Fleisch herunter. Ich
werde es wobl schwer beschreiben können; indessen, wenn
ich nur mit der sanften vorsichtigen Feder mit einiger
Geschicklichkeit über all das Schöne leicht hinübersahre,
so will ich schon froh sein und es mir nachher wieder
wohl sein lasten. Das Grün besaß einen wunderbaren
Aauberklang von Jugend. — Rosige Mädchcnwangen
und -lippen haben etwas von solch einem göttlichen
Reiz, der so sehr Seele als Fleisch, so sehr Gedanke als
Musik, so sehr Geist als Körper ist. Wie eine fröhliche,
zärtliche Mozartmusik hing und schwcbre und schimmerte
es in den Bäumen. Das Grün brach überall hervor,
gab überall den schönsten und besten Ton an, herrschte
überall, hing die Felswand jugendlich-mutwillig herunter,
wie graziöse Locken über einer Stirne, stürzte herab und
kletterte andern Ortes hoch empor. Die Sträucher be-
saßen vielleicht das schönste, hellste, feurigste, flammendste
Grün, und hinein in dieses liebe Grün floß wieder ein
anderes Entzückendes, eine andere wunderbare Melodie,
eine andere entzückende Farbe; ein Entzückendes floß
und strömte so in das andere, daß beides aneinander
hing wie Lippen, die einander innig küssen, wie Augen,
die einander liebevoll anschauen. Ich meine, daß in
diese Wonne von Grün eine Wonne von Blau floß,
und daß beides Wonniges und Göttliches gegenseitig
vielleicht noch streitete, welches das Schönere sei, wel-
ches vom Himmlischen mehr habe als das andere. Ein
blühender Strauch ist ebenso himmlisch wie der blaue
Himmel. Die Erde ist ebenso göttlich wie alles Gött-
liche. Alles, alles ist göttlich, alles ist durchgöttlicht.
Ich muß wieder hervorheben, daß ich, indem ich so
herumging, mir Mühe gab, alles so kühl und so fest
wie möglich zu betrachten, und mir alles Gute und
Schöne eindringlich in den Kopf einzuprägen. Das
junge Grün erschien mir als ein grünes Brennen, als
ein süßes, jugendliches Begehren, als ein Feuer und
Flammenlodern. Und wieder loderte auch das Blau,
derart, daß ich zweierlei Feuer lodern sah. Ein Blühen
wars und zugleich ein Glühen. Es glühte grün aus
allen kleinen Zweigen und glühte blau über alle Berge,
über die ganze Erde hinweg. Der See in der Nähe
hatte einen Anstrich von feurig, von glühendblauem
Porzellan. Er glich einem geschliffenen blauen Edelstein
und ein himmlischer wilder Wind wehte wie eine weiße
Gottgestalt darüber. Der blaue See war weiß durch-
adert von Schauerlinien von einem Ufer ans andere.
Das Wasser glich einer blauen Glut, und der lebhafte
junge Wind setzte diese blaue Glut in wellige Bewegung,
und durch den blauen Himmel zogen weiße Wolken
wie Jünglinge mit edlen königlichen Gesten, und es ging
eine stürmisch-göttliche Bewegung, eine herrliche, liebende
Wildheit, ein Stürmen und Drängen, ein blaues, weißes,
goldenes Fluten über den gesamten ersichtlichen Raum,
von einein reizenden Horizont zum andern, vom Him-
mel zur Erde, von Luft zu Lust, von Umfang zu Um-
fang, daß es einem entzückenden Austoben glich, als
wolle eine Welt vor Freude über ihre Schönheit all
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