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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 2
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Lissauer, Ernst: Verschollene Gedichte
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Zimmermann, Albert: Der Hase
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0082

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Verschollene Gedichte.
Es schützt der Fels die Gems vor Feindes Blicken,
Er trägt des Adlers Horst auf seinen Spitzen,
Auf Felsesnestern bot man Trutz dem Feinde,
Des Landes Wehr, er bildet sie noch heut.
Diese Inschrift habe ich 1913 von der Wand des
Steiner Hauses „Zum Felsen" abgeschrieben; woher
sie stammt, weiß ich nicht. Sie steht unter einem Hand-
werkerhaft derb auf die Wand gemalten Bild eines
Felsens; angeblich soll der Maler das Gedicht verfaßt
haben. Es scheint mir mitteilenswert, weil den doch
nur unbeholfenen Reimen ein paar Anschauungen von
ungefüger, wahrhaft felsichter Größe eingesprengt sind.
er Hase.
Von Albert Zimmermann.
Auf der weiten Gemarkung eines fernen Dorfes waren
Menschen emsig wie Bienlein bei ihrer Arbeit. Die einen
waren dabei, den Boden nach seinen Kartoffelschätzen
zu durchwühlen, die anderen dachten schon an das
kommende Jahr — breiteten dampfenden Dung und
stürzten die Schollen um; aber alle steckten sie, wie mit
ihren robusten Körpern, so auch mit ihrem Wünschen und
Trachten tief in der schwarzen Erdkrume.
Da hörten sie plötzlich über sich ein fremdartiges
Surren und Sausen, und als sie ihre Augen mit einem
Ruck in die Höhe rissen, sahen sie, wie ein ungeheurer
Riesenvogel rasch auf die Erde niederschwebte. Und ihre
Blicke rissen auch ihr Denken mit sich von der Arbeit, von
der Erde weg — etwas nie Gesehenes, ihnen Unbegreif-
liches — ein Wunder — zwang ihre Geister aus ge-
wohntem, sachten Gleichtakt in einen Wirbel.
Sie ließen ihre Geräte, wo sie gerade waren, und
liefen der Stelle zu, wo das Flugzeug, unbeweglich
zwar, doch mit seinen ausgebreiteten Flügeln zum
Wiederaufstiegen jeden Augenblick fertig scheinend, wie
sprungbereit sich am Boden duckte.
Unter diesem Eindruck stockten die Eiligen und zau-
derten:
Wenn sie das gewiß Seltene, Kostbare verscheuchten?
Oder wenn sie das kaum zu ahnen Mächtige reizten,
daß es ihnen womöglich an Gut und Leben Schaden
zufügte?
Ein wenig vertraulicher wurden sie erst, als ein leib-
haftiger, wenn auch etwas absonderlich gekleideter Mensch
heraussprang und sich an dem Motor zu schaffen machte.
Immerhin — immerhin — auch diese Motoren und
Maschinen! — Es bleibt doch eine zweifelhafte Sache
damit — es ist so eine ganz andere Art Leben darin! —
Jeden: von ihnen stand — zum mindesten von den Loko-
mobilen ihrer Dreschmaschinen her — diese oder jene
schlimme Erfahrung im Gedächtnis. Und was mochte
nun erst das dort für ein Ding sein! —
Aber ein junger Vierkant, dem die Reservemütze schief
über dem einen Ohr hing, warf sich in die Brust und
marschierte mit der Sicherheit eines Adepten auf das
Flugzeug los. Da zogen die übrigen vertrauensvoll,
aber doch ihres Wagemutes sich bewußt, hinterher.
Man wagte sich schließlich bis unter die ausgespannten
Flügel der Taube und betastete verstohlen das Gestänge.

Doch je mehr das schwere Denken dieser Menschen sich
mit Zweck und Aufgabe des Flugzeuges beschäftigte, um
so mächtiger wurde der Zauber dieses unfaßbar Neuen.
— Schon das Wasser hat keine Balken, und wenn darauf
so riesige eiserne Schiffskolosse schwimmen sollen, so ist
das kaum zu glauben. Aber nun gar in der Luft! — Da
soll ein Mensch mit so einem Ding losfliegen — bis hoch
in die Wolken hinein, hinter denen, wenn überhaupt
irgendwo, doch der Herrgott wohnen muß!
Und ihre ganze inbrünstige Scheu richtete sich auf den
jungen Luftfahrer.
Dieser hantierte rasch und sicher an seiner Maschine.
Die Helle Herbstsonne und sein wallendes Blut hatten
ihm die Mütze von: Kopf gezwungen. Aus dem Massiv
seines in der Öljacke steckenden Rumpfes herauswachsend,
schien sein Haupt von besonders kühnen Linien umrissen.
In sein lichtes, von Schweiß und Wind zusammengewirrtes
Haar fuhren die Sonnenpfeile und ließen glitzernde Fun-
ken sprühen, fast glaubte man es knistern zu hören.
Nach wenigen Minuten war die kleine Unstimmigkeit
an den: Motor, die ihn zum Landen veranlaßt hatte, aus-
geglichen. Er knöpfte die Jacke zu und zog die Mütze
über den Scheitel.
Dann trat er aus der Menge heraus, prüfte um-
blickend das Gelände und wählte die Anlaufbahn. Seine
Blicke flogen den Weg, den er nachher nehmen wollte,
voraus, und ein Helles Leuchten war in ihnen, als sie ohne
zu blinzeln die sonnenflimmernde Höhe durchmaßen.
Doch als er dann wieder zu seiner Maschine zurück-
ging, und die glotzenden Menschen zwischen zurück-
weichender Scheu und vordrängender Neugier wie ein-
geklemmt standen, zuckten nacheinander Belustigung,
Ungeduld, Verachtung über sein Gesicht, und in barschem
Schutzmannston, bar jeder Liebenswürdigkeit, bedeutete
er ihnen, daß sie jetzt zurück müßten, damit er Platz zum
Aufsteigen bekäme.
Er will wieder aufsteigen!
Wie ein elektrischer Schlag zuckte es durch die hundert
Leute.
Eine Anzahl Frauen floh in gewagten Galopp-
sprüngen. Die Männer zogen langen Schrittes in mehr
oder weniger verhaltener Hast hinterher.
Hinter einen: gehörig entfernten Graben fühlten sie
sich sicher genug, der zwingenden Waghalsigkeit die Stirn
zu bieten.
Inzwischen kurbelte der Luftfahrer den Motor an,
und der starre Niesenvogel bekam auf einmal eine Seele
— eine zitternde, wilde, schier ungebändigte Seele.
Und die Spannung hinter den: Graben wuchs und
wuchs, kaum daß für die fromme Wunschpflicht noch
Zeit blieb: „Ach Gott, daß ihm nur kein Unglück passiert!"
Der Apparat sprang an. Ein paar Sätze zuerst — wie
überkräftig, frei wollend, doch dann schoß er in gebändig-
tem, zielsicheren: Gleiten vorwärts — hin über den
schwammigen, weichen Wiesenboden — immer schneller,
immer leichter werdend. Nun hob er sich — so, als zöge
ihn die Höhe, die reine, lichte Höhe zu sich empor — und
der dicke, schwere Erdenbann schien alle seine Gewalt
verloren zu haben.
Da vergaßen auch die kompakten Gemüter hinter den:
Graben sich selbst — das Aufsteigen riß sie nut sich


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