Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Bacmeister, Ernst: Die Giftkugel des Himmels
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0069

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ie Giftkugel des Himmels.
Die unvergleichlich schöne und großartige Traum-
erzählung des Helden in Jean Pauls „Titan"
enthalt folgenden Satz: . über mir lief ein kleines
festes Gewitter, aus der zusammengepreßten Dunstkugel
der Erde gemacht, es hieß die Giftkugel des Himmels
und schmetterte unaufhörlich nieder."
Nie ist die Menschenerde unwiderstehlicher verurteilt
worden, als durch dieses eine visionäre Wort und Bild
von ihr. Diese selbe Erde, die dem romantischen Genie
Jean Pauls die entzücktesten Schilderungen ihrer Ge-
filde entlockte. Und mehr als das: dieselbe Erde, auf
der sein Dichtergeist Menschen erstehen und wandeln
ließ, deren Heiligkeit Sodom und Gomorra zu ent-
sühnen und zu verbieten scheint, daß die Stätte ihres
Wohnens verworfen werde. Dennoch: — die Gift-
kugel des Himmels.
Unsere Tage scheinen dieses finstere Gleichnis von
der Erde furchtbar zu rechtfertigen. Sie offenbart sieb
wahrhaftig als ein Dunstball der Leidenschaft, die sich
umherschmetternd im Gewitter eines maßlosen Krieges
aus giftiger Pressung entlädt. So muß es ein Geist
sehen, der es von außen sieht.
Wir wissen nichts von den anderen Sternen des
Himmels; ob auch auf ihnen der Segen einer aus
sonnenhaftem Ursprung bewahrten Werde- und Wachs-
tumswärme sich im Blut und Gehirn ihrer entwickeltesten
Wesen in den Fluch einer so entsetzlich klug bewehrten
Gier und Leidenschaft, Feindschaft und Vernichtung ver-
wandelt. Haben wir vielleicht den Mond um seine Kälte
zu beneiden; als ob nur die Todesstarre eines Sternes
ihn davor zu bewahren vermöge, daß er sich an sich selber
fieberhaft entzündet? Sind wir Menschen auf der
lebendigen Erde unentrinnbar dem Schicksal immer
neuer Kriege ausgesetzt? Und wächst unser Verstand nur,
um unsere Leidenschaft immer besser mit List, Lüge,
Verleumdung und Mordwerkzeug zu bedienen? — Wenn
weiter nichts aus der Schöpfung der Welt resultierte, als
auf jedem Stern bis zu seiner letzten Erstarrung ein mög-
lichst entwickelter Vernichtungskrieg seiner höchsten Ge-
schöpfe: das wäre wahrlich des Teufels!
Es ist aber anders. Es ist nur die vorübergehende
Not Gottes, daß er durch den Teufel hindurch muß, um
zu sich selber zu kommen.
Denn dies scheint Weg und Ziel der Schöpfung:
Gott, solange er nur Alles ist, ist eben deshalb nichts;
er muß Etwas werden, um sich selber zu besitzen. Jedes
Wesen verrät es aber, daß Gott sich nicht erschaffen kann,
ohne sich dem Teufel zu verschreiben. Denn jedes Wesen
ist ein Einzelnes, hat Einzelwille und Einzelsucht; Gott
aber ist und bleibt das All; jede Vereinzelung ist ihm
entgegen, ist des Teufels.
Wo aber findet er sich dann wieder; wie gewinnt er sich
zurück, wenn er sich so in die vereinzelte Welt verloren gibt?
Wir wissen nur von der Erde und ihren Geschöpfen.
An ihnen ist eine Entwicklung unwidersprechlich. Diese
Entwicklung muß uns verraten, wie Gott sich in seiner
Schöpfung sucht.
Daß der Teufel sich immer besser dabei findet, ist
gewiß. Die Urwelt-Ungetüme hatten ihren reißenden

Nachen, Kralle und Flügel, um mit schlingender Freß-
gier in notwendiger, gegenseitiger Vernichtung ihren ge-
waltigen Leib zu nähren. Sie taten, was sie mußten.
Der Bauch verlangte den Rachen. Es war eine sichtbare,
teuflische Harmonie in diesen schweren Kolossen aus
Fleisch und Bein.
Diese gemeine, ausdrückliche Harmonie zwischen
Bauch und Rachen, zwischen Gier und Zabn, die solch
einen Drachen der Urzeit wie eine groteske Karikatur-
feindseliger Vereinzelung, wie ein triumphierendes
Bannerbild Satans gegen den unterlegenen, verlorenen
Gott des Alls erscheinen läßt: diese ausdrückliche Teufels-
harmonie hat bis zum Menschen unserer Tage eine für
Gott erst recht gefährliche Verfeinerung und Verinner-
lichung erfahren.
An die Stelle des reißenden Rachens ist der erfin-
derische Verstand getreten und aus dem blind mordenden
Zahn ist die zielende Waffe geworden. Aus dem ge-
waltigen Bauch aber eine grenzenlose Gold- und Macht-
begier. Der Kampf der Drachen nennt sich heute Krieg
der Staaten. Des Teufels Bannerbild ist ein Maschinen-
gewehr.
Erst recht gefährlich für Gott erscheint diese Ver-
feinerung des Teufels, weil der Geist an ihr beteiligt ist,
also die unsinnliche Kraft, durch die Gott sich selber aus
der Sinnlichkeit nur wieder befreien kann. Erst im poli-
tischen Verstand eines kriegslüsternen Diplomaten, dem
das ungeheure, intelligente Werkzeug eines modern aus-
gerüsteten Heeres für seine machtgierigen Pläne zur
Verfügung steht, erst da scheint Gott gänzlich verloren zu
sein und den Irrtum seiner Schöpfung mit dem Siege
des Widersachers zu büßen, den er unvermeidlich mit-
erschuf. Die von gehässigen Zeitungen verseuchte, von
Kanonen umbrüllte, vorn Blute ihrer nur allzu klugen
Geschöpfe überströmte Erde: das ist nun in der Tat die
Giftkugel des Himmels. Noch einmal: wir wissen nichts
von den anderen Sternen und ob die „weiße Welt"
darunter sei, die in jener Traumerzählung die heilige
Träne der Liebe weint: — die Erde ist blutigrot, voll
Geschrei des Hasses und voll Tränen der Verzweiflung.
Gott, der sich durch sie erschaffen wollte, scheint auf ihr
vernichtet; denn er war Alles in Allem, hier aber ist
Jedes wider Jedes.
Hat Gott sich wirklich geirrt? Wie kann er denn über-
haupt Etwas werden und doch Alles bleiben? Dies
Ding scheint auch bei Gott unmöglich. Wenn er Etwas
wird, wird er ein Einzelnes, wird er des Teufels. Das
kann auf dem einen Stern nicht anders sein als auf dem
anderen. Ewiger Krieg scheint das Los der ganzen
Welt.
Aber die Liebe? Aber das Mitleid? Aber die Auf-
opferung? Ist da nicht das Widereinander durchbrochen,
Eines mit dem Andern verbunden? Mann und Weih
in der Umarmung, Mutter und Kind, der barmherzige
Samariter: sind das nicht Stufen einer immer reineren
und weiteren Gemeinschaft?
Es sind Erinnerungen Gottes an sich selbst in der
Vereinzelung der Wesen und unterminieren dem Teufel
sein Reich. Aber erst wo diese dunklen Erinnerungen
aus Blut, Sinnen und Nerven, aus Instinkt und Sym-
pathie eine Helle Wiedererkenntnis Gottes geworden sind,


57

4
 
Annotationen