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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 2
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Stauff, Philipp: Versuch einer deutschen Deutung des Karnevals
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Sternberg, Leo: Der Venusberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0074

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Versuch einer deutschen Deutung des Karnevals.

Wenn man an diese Dinge herangeht, muß man sich
vor allem vor Augen halten, daß die allgemeine Auf-
fassung, daß alles, was wenigstens auf deutschem Boden
weit hinter uns zurückliege, nur einem sehr primitiven
Denken entspringen könne, durchaus irrig ist. Ein paar
tausend Jahre spielen in der Geistentwicklung der Mensch-
heit oder einer vom Anfang aus so vorzugsweise be-
gabten Rasse wie der arisch-germanischen, von der ja auch
das Inder-, Griechen-, Römer- und Keltentum nur Ab-
zweigungen waren, gar keine beachtliche Rolle. Nur die
Gedanken wegeder Alten waren andere als die unseren,
und es kommt für das Verständnis ihres Lebens alles
darauf an, daß wir die Zugänge zu ihrem Gedanken-
inhalt finden. Die sind im Grunde gefunden, und mehr
als das. Es sind auch die Schatzkammern alten Geistes-
lebens, alter Arbeit, alter Kunst vor uns aufgetan. Das
danken wir der neueren Vorzeitwissenschaft: Carus
Sterne, Wilser,Kossinna,Penka, Much,Willy Pastor usw.,
vor allem aber dem tiefschauenden Wiener Gelehrten
Guido v. List, ohne dessen Erkenntnisse man auch zu
keinen: vollen Verständnis der deutschen Vergangenheit
in den langen Übergangsjahrhunderten zwischen Wihinei
und Christentum gelangen kann, und durch den man auch
erst gewahrt, was an: Christentum alles urdeutsch ist in
Lehre und Kult, und worin das Christentum uraltes ger-
manisches Denken abgedämmt hat, obwohl selbst dies
ausgeschaltete Denken in der Geheimwaltung der Feme,
der Ritterorden, des Kalandstums und der Zünfte noch
bis gegen das Ende der letzteren hin praktisch lebendig
blieb. f59^
PH. Stauff.
er Venusberg.
Von Leo Sternberg.
Trotz seiner Weltweisheit erfuhr Richard von Greifen-
klau, der mächtige Erzbischof, zu spät, daß man dem
Glauben nicht durch einen Federstrich der kurfürstlichen
Kanzlei eine Heimstätte dekretieren kann, sondern daß er
da am sonnenhaftesten strahlt, wo die Heidengötter der
Schönheit noch fröhlich im Schatten der Kirchenmauern
lagern. Und wenn die Glockentürme der Heiligen überall
aus den verträumtesten Tälern und von den leuchtendsten
Gipfeln der Erde aufragen, so sind sie deshalb so wohl
gegründet, weil ihre hohe Schutzherrin, hier durch ein
geheimnisvolles Silberglöcklein im Strauche, da durch
einen Weißdornbusch, den sie mitten in: Winter erblühen
ließ, eben dort sich ihre Wohnung aussuchte, wo das könig-
liche Tier der Welt die Säule der Kirche gutmütig auf
seinen Rücken nimmt.
So war die Burg Mariens auch in den Moselbergen
erbaut worden, an der Stelle, wo die hl. Jungfrau aus
blauem Himmel einst ihre blitzende Krone niederstrahlen
ließ, daß sie den ganzen Bergrücken nut seinen reben-
bewachsenen Flanken vergoldete und sich wie ein ver-
sunkener Schatz zu beiden Seiten in dem Flusse spiegelte.
Bunter als sonstwo im Lande schwankte hier oben der
goldgrüne Nußbaum im Wind; und in der Waldschabracke,
die über den schmalen Grat der Höhe zottig in die Wein-
berge hinunterhing, rief der Kuckuck schon, während der

rötliche Seidelbast mit seinem Hyazinthenduft eben den
ersten Zitronenfalter aus der Ferne herbeizog. Wenn
aber Scilla und Anemone blauweiß das Buschwerk durch-
sternten und die Buchenhallen durchflutet waren von der
grünen Sonne des flaumigen Laubes, dann wanderte
das Volk in Scharen die Weinbergspfade hinauf, um von
der felsigen Rampe, die das Nonnenkloster wie ein
Festungshof umzog, die Welt in der Glorie zu schauen,
in der sie nur hier oben vor dem entzückten Auge lag. Von
den angeschwemmten grünen Vorländern der Felsen-
ufer schimmerten drunten die grauen Kirschenwälder
herauf; wie Heidekrautbänke verloren sich fern die blühen-
den Pfirsichgehölze oder schwebten in zarten Rosen-
wölkchen über kahlen Schieferhängen und herben Schollen-
schrägen, die — saftigen Saatstücken benachbart — den
Teppich verschiedener Jahreszeiten wunderhaft neben-
einander auszubreiten schienen. In den Silberkäfigen
des Heckenblustes aber sangen die Vögel, und gläserne
Dörfer mit ihren lichtdurchfluteten Baumschleiern zogen
sich als Himmelsstationen aus dem Flußtal bis auf die
bewaldete Hochfläche hinauf, die weithin übertupft war
von den blonden Wölkchen vorzeitig angegrünter Wipfel.
Ja, mit so frommem Rausche erfüllte der heilige Berg,
über dem die Marienkrone im Himmelsblau schwebte,
die Seele, daß ein Jüngling sich eines Tages von der
Mauer des Klosterfriedhofs hinabstürzte, da nach diesem
Gipfel der Verzückung keine andere Sehnsucht mehr
blieb, als geradeswegs in die Arme Mariens zu fliegen.
Wie nun aber Schönes Schönes erzeugt, vanille-
duftende Niesenblüten aufbrechen in Tropenwäldern und
der Glanz des Südens Vögel hervorbringt, die wie Edel-
steine sind, so nahmen die Klosterfrauen auf dem Sonnen-
gipfel eine blütenhafte Schönheit an, in der sich Himmel
und Erde duftig vermählten — wie die Abtei auf der
Höhe in ein anderes Reich zu ragen schien, während die
Erdenfröhlichkeit mit ihren Weinbergen zugleich bis unter
ihre Mauern hinaufreichte. Wenn die schlanken Frauen-
gestalten in den buchseingefaßten Wegen des wolken-
überflogenen Klostergartens da oben wandelten, wo das
bischofsblaue Veilchen im Grase blühte, die Kaiser-
krone das Haupt aufrichtete und der weiße Flieder die
goldlackumkletterte Mauer überwölkte, so schienen sie
nicht nur schwesterlich verwandt mit Grünen und Blühen
umher, sondern teilten auch untereinander denselben
Adel der Erscheinung, wie sich Mütter und Töchter gleichen
oder ein Bild seinem Spiegelbild. Ja, obwohl hier die
Zunge des Neides sprach, war nicht zu leugnen, daß die
Nonnen des benachbarten Klosters Stubben recht hatten,
wenn sie behaupteten, daß selbst unter den Jungfrauen
der umliegenden Ortschaften manche einherging, die
ihre Schönheit wie ein königliches Erbteil von den
Marienburgerinnen trug.
Trotzdem die Klosterkirche auf dem Stubbener Vor-
land nämlich ein wundertätiges Gnadenbild barg und
den berühmten Splitter vom Kreuzesholz in seiner edel-
steinbesetzten Reliquienlade aus Byzanz zur Verehrung
ausstellte, trugen die Pilgerzüge ihre seidenen Fahnen
an der offenen Kirchentür vorüber, heiße, steinige Pfade
hinan, und warfen sich auf der Himmelswiese droben auf
die Knie, auf der die Füße der Marienburgerinnen wan-
delten, und beteten an, ohne von einem Gnadenbild her-


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