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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 10/11
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Lang, Oskar: Fritz Burger †
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0388

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ritz Burger -tz
Als die Kunde kam, daß Fritz Burger gefallen
sei, da war es nicht bloß die Trauer um den prächtigen
Menschen, den stets bereitwilligen Freund, den famosen
Kameraden, die seine Bekannten mit tiefem Schmerz
erfüllte, auch nicht allein die niederschlagende Erkennt-
nis über den Verlust so großer Werte, wie sie uns
"beim Tod von außergewöhnlichen Menschen immer
befallt, es war noch etwas ganz Besonderes, das alle
Naherstehenden geradezu erschütterte: das Bewußtsein,
daß mit ihm ein Leben, das ungeahnte Bedeutung ver-
sprochen hatte, jäh vernichtet war, bevor es sich erfüllt
hatte, daß er das Beste, was er zu geben hatte, mit sich
ins Grab genommen hatte und daß sein Werk nun für
immer ein Torso, wenn auch einer von ganz gewaltigen
Dimensionen, bleiben würde. Er war gerade so weit,
das Heer von Stimmen, das sich seit seinem Auftreten
gegen ihn erboben hatte, einigermaßen zum Schweigen
zu bringen, weitere Kreise für seine Anschauungen zu ge-
winnen und dem Gegner zum mindesten die Achtung
vor der Bedeutung des von ihm vertretenen Standpunk-
tes abzuringen, als ihn ein uns immer noch unfaßliches
Schicksal abgerufen hat. Welcher Gewinn es für die ge-
samte Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft gewesen
wäre, hätte dieses Werk völlig ausgebaut und zum Ab-
schluß gebracht werden können, ist gar nicht abzusehen;
es wäre aller Wahrscheinlichkeit nach von epochaler Be-
deutung gewesen.
So, wie es nun vorliegt — das müssen gerade die
betonen, denen es um ein reines Andenken dieses sel-
tenen Mannes zu tun ist — ist es Stückwerk und in mehr
als einem Sinne zwiespältig. Burger nur nach seinen
Schriften zu beurteilen und nach ihnen seine Bedeutung
abmessen zu wollen, wäre ein verkehrtes Unterfangen.
Er war nicht der Mann dazu, auf fester Tradition mit
kleinen, aber sicheren Schritten weiterzubauen und das
Neue mit dem Bisherigen in harmonischen Einklang zu
bringen. Mit kühnem Wagemut betrat er neue Wege,
stürzte alte Reiche und suchte neue auf, zerbracb morsche
Götter und baute andern Altäre. Eine Nietzsche'fche
Natur, eilte er im Erobererdrang von Ferne zu Ferne,
von Gipfel zu Gipfel, zu immer neuen Entdeckungsfahrten
hißte er die Segel, unbekümmert darum, ob er auch ein-
mal auf falsche Wege geriet und zuweilen die Verbin-
dung nut dem Mutterlande völlig verlor. Was verschlug
das ihm? Das konnte später kommen. Jetzt lockte Neu-
land! Und wenn hier, wo alle Maßstäbe fehlten, wo alle
Grenzen erst gezogen werden mußten, „Irrungen und
Wirrungen" mitunterliefen, wenn sein Herz überströmte
von berechtigtem Forscher- und Pfadfinderglück und er,
leicht entzündlich, wie er war, sich hinreißen ließ zu Über-
treibungen und Überschätzungen, war das zu verwundern?
Da gilt für ihn wahrhaftig das Wort Schellings aus
dessen Berliner Antrittsrede: „Hat einer mebr geirrt, so
hat er mehr gewagt; hat er sich vom Ziel verlaufen, so
hat er einen Weg verfolgt, den die Vorgänger ibm nicht
verschlossen hatten."
Er selbst wußte das übrigens genau und dachte vom
Erreichten bescheiden genug; so hat er immer und immer

wieder betont, daß wir erst am Anfang all dieser Erkennt-
nisse stünden (erst spätere Generationen würden davon
die Früchte genießen, meinte er einmal), und er hat solche
immer scharf zurückgewiesen, die mit seinen Doktrinen
schon wie mit einem fertigen System zu arbeiten sich
unterfingen. So sind denn seine Schriften, abgesehen
von seinen ersten, völlig ausgearbeiteten, ein ziemlich
ungleichartiges Gemisch von Meisterhaften! und Halb-
fertigem, von Genial-Visionärem und Dilettantisch-Hin-
geworfenem, von Bewiesenem und Unbewiesenem, wo-
für eben nur der den Schlüssel hat, der das Glück hatte,
ihn persönlich, sei es nun vom Katheder aus oder in pri-
vaten! Zirkel, kennen zu lernen. Da enthüllte sich erst
der ganze Reichtun!, den dieser glühende, rastlos in
geistiger Tätigkeit vibrierende Mensch zu bieten hatte,
und was er in diesem persönlichen Verkehr seinen
Schülern übermittelt hat, die Saat, die er dabei in die
Herzen der Empfänglichen ausgestreut hat, das (und nicht
seine Schriften) ist das eigentliche Erbe Fritz Burgers.
Was nun, sachlich genommen, die Kunstgeschichte
ihm verdankt, welches im speziellen seine Anschauungen
waren und, wo er stand, als er starb, ist aus den genannten
Gründen schwer, genau zu umreißen. So viel ist sicher,
daß er, ganz allgemein gesagt, wie vielleicht keiner vor
ihm in der Kunstgeschichte, den Nachdruck nicht auf das
Wort „Geschichte", sondern auf das Wort „Kunst" legte,
ein Umstand, der ihm seitens der zünftigen Wissenschaftler
die bittersten Anfeindungen zuzog, der ihm aber ander-
seits das Herz der Künstler gewann. Und wie, wenn die
Historiker schon das Recht in Anspruch nahmen, in Sachen
der Gesthichte allein maßgebend zu sein, tat es der Künst-
ler mit geringerem Fug, wo es sich um das Wesen der
Kunst handelte? Hatte der Künstler nicht vollauf recht,
den Historiker in seine Grenzen zurückzuweisen, wo dieser
es sich erlaubte, großsprecherische Urteile zu fällen, ohne
wahrhaft in das Wesen der Kunst eingedrungen zu sein?
Das krasse, aber leider für manche Wissenschaftskreise
immer noch zutreffende Wort C. F. Meyers: „Die Litera-
turgeschichte hat überhaupt nichts mit Poesie zu tun",
sollte, auf das Gebiet der Kunst angewandt, endlich ein-
mal gründlich widerlegt werden. Um diesen Zwiespalt,
den die Kunstgeschichte als solche in sich schließt, zu über-
brücken, mußte man allerdings eine Doppelnatur sein,
wie Burger eine war: Eine glühende Künstlerseele auf
der einen Seite, allen Träumen und Phantasmen zu-
gänglich und selbst ausübender Künstler (er hat eine Reihe
beachtenswerter Bilder und Zeichnungen hinterlassen),
auf der andern Seite ein durchdringendes Verstand, der
vor keinen Schwierigkeiten zurückschreckte, ein philo-
sophischer Kopf, der nicht ruhte, bis die Deutungen er-
schöpfend, die Zusammenhänge klar waren. Es war bei
feinen Vorträgen direkt ein Genuß, zu beobachten, wie
diese „zwei Seelen" sich zur vollkommenen Einheit er-
gänzten: wie wunderbar konnte er an einen! Kunstwerk
aufblühen, das etwa im Lichtbild vor ihn! stand, und
wenn dann die Flammen der Begeisterung lichterloh
brannten und er in wahrer Verzückung allen realen
Boden unter den Füßen zu verlieren schien, wie plötz-
lich schlug die Woge um und er stützte die ekstatischen Er-
güsse durch die nüchternsten Formanalysen und Be-
weiskonstruktionen, die es geben kann! Was er gerade


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