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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Bacmeister, Ernst: Fern vom Kunstwerk
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Dehmel, Paula: Mariä Gnaden
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0283

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Fern vom Kunstwerk.

ewig verschlossen wäre. Nun wird ihm aber dieser Born
gerade durch die hingebungsvolle Bewältigung der Kunst-
werke mehr und mehr erschlossen, weil er jedesmal eben
durch die äußerst tätige Hingabe zuletzt und zutiefst in
diesen Grund des Schaffens selber hinuntergelangt und
von da aus das einzelne Werk nachschaffend erst vollends
als Gnade des Ausdrucks erkennen und lieben lernt.
Diese Übung der symbolischen Schau und ihres Aus-
drucks am Kunstwerk hat aber nun wirklich, erfahrungs-
gemäß (um denn doch schon auf obige Fragen zu ant-
worten), auch für den nicht mit Ausdruck Begnadeten
schließlich zur Folge eine Fähigkeit, unabhängig vom
Kunstwerk im Leben selber das Symbolische nicht nur zu
erkennen, sondern sogar das Wesentlichste der Formung:
die Absonderung des Motives aus der Umwelt und seine
Illuminierung durch die darin brennende Idee innerlich
zu vollziehen. Damit ist aus dem tätigen Kunstgenuß
eine edelste selbständige Kraft geworden. Von dieser
Kraft sagen, daß sie die Religion zu ersetzen vermöge,
heißt schon deshalb nicht zu viel gesagt, weil nur religiöse
Geister in ihren Besitz gelangen.
Nicht vom Tode, sondern vom Leben andachtsvoll
ergriffen zu werden: das ist die neue Religion, die wir
immer bewußter bekennen. Wenn aber die Religion so
verstanden wird, dann ist jedes religiöse Erlebnis zu-
gleich künstlerischer Natur, denn es ist eine Andacht, die
das Übersinnliche nicht an sich selbst, sondern in seiner-
sinnlichen Erscheinung verehrt, also dort, wo es auch der
Künstler schaut und symbolisch zum Ausdruck bringt.
Für diese Religion des Lebens aber ist keine Lage
fruchtbarer als die des Soldaten in dauernder Nähe des
Todes, denn da wird nicht mehr selbstverständlich gelebt,
sondern mit erwachtem Bewußtsein. Und nicht nur das
eigene Dasein wird wesentlich, sondern alles Daseiende
wird neu gesehen: tiefer, bewußter, dankbarer, zärtlicher
und andächtiger. Also so wie von jeher der Künstler es
sah und formte: jedes einzelne Lebendige als ein Symbol
des Lebens überhaupt.
Nun helfen sie einander: die Todesnähe und die er-
fahrene künstlerische Kultur, damit die Seele ihrer
religiösen Steigerung froh werde durch die verstärkte
Schau ergreifender Symbole, die, auch ohne heraus-
gemalt oder gedichtet zu werden, ihre künstlerische Ab-
grenzung erfahren und als heilige Beute den Krieger
für Unmenschlichkeit und Drangsal menschlich entschädi-
gen, trösten und beglücken.
Die von der tragischen Gelegenheit reich dargebotenen
Dokumente dieser Wirkung der künstlerischen Kultur über
das Kunstwerk selber hinaus soll die Ästhetik begierig
sammeln; denn sie erbringen den Beweis goldener Tat-
sachen gegen die graue Theorie des 1'art pour I'art und
verbinden die Kunst unmittelbar mit der heute allein
noch möglichen Religion des Lebens.-
Da war ein Landwehrmann, der schickte seinem Weibe
eine Blume vom Rande des Schützengrabens, in dem er
Posten stand, und schrieb dazu: „Ich habe viel mit ihr
geredet, bei Tag und bei Nacht, wenn sie in der Sonne
aufgerichtet und freudig stand oder unter den Sternen
sich im Winde wiegte, oder wenn kalter Regen darüber
fuhr und sie sich schauernd zusammenduckte. Aber nur
ich sprach dann vom Teufel; sie hat Gottes Partei nie

verleugnet. Gestern ist sie von einer französischen Kugel
— gilt sie mir oder gilt sie dir? — abgeschossen worden,
als sie mir gerade mit einer neuen Blüte kräftiger pre-
digen wollte. Bewahre mir das fromme Kamerädlein
gut." —
Das zum Beispiel ist so ein goldenes Dokument.
vr. Ernst Bacmeister. (638^
ariä Gnaden.
Von Paula Dehmel.
Die Einweihung der Kirche Mariä Gnaden war
vorüber.
Der Erzbischof von Mainz war selbst zur feierlichen
Einsegnung gekommen und hatte in eigener Person die
Weihen vollzogen. Nach Pflicht und Brauch hatte er
die Mauern von außen und innen mit geheiligtem
Wasser besprengt und sie unter Absingung der frommen
Wechselchöre dreifach gesegnet, hatte eine gelehrte und
eindringliche Taufpredigt gehalten und die erste heilige
Messe zelebriert.
Der Landesfürst, im vollen Ornat, von Räten und
Kammerherren umgeben, war als Hauptpate erschienen
und hatte dem jungen Baumeister Rüdiger, der „die
Pläne seines in Gott ruhenden Herrn Vaters zu so
sichtbarlich schönem Ende geführet" — gnädiglich die
Hand geschüttelt und ein goldenes Ehrenkettlein um-
getan.
Der greise Organist hatte so selbstvergessen und
herrlich auf der neuen Orgel zum Lobe des Herrn ge-
spielt, daß nicht nur ein paar alte Weiblein, sondern
auch die zehn jungen Dirnen, die an diesem denkwürdigen
Tage gefirmelt worden waren, laut in ihre Tüchlein
schluchzten, und in frommer Hingebung am Altar der
Heiligen Mutter auf die Knie fielen.
Die feierlichen Umzüge waren beendet; und wäh-
rend sich die herzlich bewegte und schweigende Menge
langsam und gedrängt aus den weit offnen Türen
ins Freie schob, stimmten die großen und kleinen
Glocken in das letzte Halleluja mit ein; fast war es,
als ob auch der Glöckner die Sonderheit des Tages auf
die Bronzeklöppel übertragen hätte, so rein verschmolzen
die feinen und die starken Tonwellen zu tragenden
Akkorden. Langsam wurde die weite Kirche leer. Der
Küster kam mit dem neuen großen Schlüsselbund und
schloß die Haupteingänge zu. Er breitete ein Tuch über
die silbergestickte Altardecke, goß frisches Öl auf die ewige
Lampe, löschte die Wachskerzen und verließ mit den
letzten Nachzüglern den Dom.
Draußen vor der Stadt war heut Markt und Tanz.
Da war der hohe Gottesdienst bald vergessen; selbst die
frömmsten Bürger hatten Eile, in das belebende Treiben
von Muße und Fröhlichkeit hineinzutauchen, wie be-
staubte Wanderer in ein frisches Bad.
Halbe Dämmerung lag jetzt in der verlassenen Kirche.
Die dunkelbunten schmalen Fenster brachen das laute
Sonnenlicht zu demütiger Einkehr. Nichts rührte mehr
an die Stille des Hauses, in dem das höchste Wesen in
Dankbarkeit und Angst, in Gleichmut und Wollust, in
Abkehr von der Welt und in quälenden Sinnesnöten



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