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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Wolf, Hugo: Der Leutnant: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0267

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Leutnant.
Erzählung von Hugo Wolf.
Der Nachthimmel streute Sternenlicht über den
weiten Garten, der sich hinter der Villa bis an die Berg-
lehne hinzog. Die Schauspielerin Hedwig Melius saß
dumpf versunken in der Veranda, die Arme, von denen
das Kleid zurückfiel, auf den Rand der Holzbalustrade ge-
stützt. Aus dem Kurpark klangen gehauchte Töne einer
Walzermusik; Hedwig hörte kaum hin, immer tiefer tauchte
ihr schläfriger Kopf in das Gewirr der Weinranken, die
sich gegen das Dach der^Veranda wie eine schützende
Wand erhoben. Da streifte ein leiser Atem ihre Arme,
es war wie die Berührung eines Mundes. Hedwig er-
wachte aus ihrer Traumdämmerung und zog die Arme
an sich heran. Ein Windstoß hatte sich erhoben und die
Weinlaubblätter durcheinandergeschüttelt. Hedwig war
plötzlich mißgelaunt, der Sternenhimmel sprach ihr keinen
Trost zu, die weiche Sommernacht regte ihr keine Sehn-
sucht, sie hatte nur immer das Gefühl, daß sie allein war.
Nun stand sie auf und streckte sich und tat mit den Händen
eine Gebärde, als wollte sie zu deklamieren beginnen.
Doch als aus dem oberen Stockwerk, das der Privatdozent
Lerch mit seiner Mutter bewohnte, der Lichtstrahl einer
eben angezündeten Lampe in den Garten flog, duckte sich
Hedwig, als könnte sie bei einer heiligen Handlung von
einem Ungeweihten betreten werden, und ließ sich in den
Stuhl zurückfallen. Sie konnte nicht von den widrigen
Gedanken loskommen, die sie erfüllten, sie mußte den
gewesenen Abend überschauen und die Folgen ziehen, es
war eine bösartige Wunde in ihrem Herzen . . .
Erich hatte wie gewöhnlich Gesellschaft mitgebracht,
denn er liebte es, für seine Unterhaltungsgabe einen
fruchtbaren Boden zu finden. Er trug einen Strauß
bunter Rosen an seine Brust gepreßt, küßte Hedwig
feierlich^und förmlich die Hand und überreichte ihr die
Blumen. Doch in einem grotesken Einfall nahm er sie
ihr gleich wieder ab, zerpflückte die leuchtenden Blüten-
blätter und streute sie wie einen farbigen Regen über den
gedeckten Tisch. Und er lachte in übersprudelnder Heiter-
keit und schaute die andern an, als erwartete er ein
schallendes Echo.
Und der schmale, angeblich lungenkranke Bankier
Schwertner lachte, daß ihm die Schultern auf und nieder
hüpften. „Freund Erich hat gute Laune," kicherte er.
„O ihr jungen Rosen!" redete er die zerpflückten Blumen
an und liebkoste seinen Kinnbart. „Warum habt ihr diese
unheilige Gesellschaft aufgesucht und weilt nicht lieber an
der Brust eines edeln, unberührten Mädchens?"
Hedwig saß zwischen dem Kritiker Merseburg und der
geschiedenen Frau eines Rittmeisters, die seit langem
jeden Sommer in einer Nachbarvilla verbrachte.
Der Kritiker beeilte sich, der Schauspielerin Schön-
heiten zu sagen, ja er wagte es sogar, flüchtig ihre Hand
zu streifen, worauf Hedwig zurückzuckte und Gabel und
Messer niederlegte.
Ein junger Mann namens Waldorf, ein neuentdecktes
poetisches Talent, ging ganz im Schatten der Worte
Erichs unter, der Waldorfs Gedichte lobte und sie in seiner

Zeitung mit einer eingehenden Würdigung zu bedenken
versprach.
Die geschiedene Frau sagte leise: „Mein Mann, der
kurze Zeit zur Vernunft zurückzukehren schien, ist wieder
dabei, mich zu betrügen. Er liebt eine Varietesängerin."
Hedwig stellte ihr Weinglas nieder: „Woher wissen
Sie das?"
Die Frau meinte: „Ich korrespondiere mit meinem
Mann. Er hat keine Geheimnisse vor mir."
Der Kritiker Merseburg war bedrückt, weil ihn Hedwig
bloß als gern gesehenen Gast behandeln wollte. Er fing
an, auf die gegenwärtige Menschheit und Kultur eine
niederschmetternde Rede loszulassen.
Der Bankier lachte nur über ihn: „Je komplizierter
einer ist, desto mehr sehnt er sich nach dem Naturzustand."
Zum erstenmal ergriff der Privatdozent Lerch das
Wort, der am unteren Ende der Tafel neben seiner
Mutter saß: „Jedoch, meine Herren: es liegt eine Ver-
änderung in der Luft." Er hob gelehrsam den Zeige-
finger.
Erichs Augen schimmerten grünlich unter den Brillen-
gläsern: „Es liegt etwas in der Luft. Lieber Baron
Schweriner, verkaufen Sie Ihre Aktien und Renten!"
„Ist es gefährlich?"
„Eine Weltkatastrophe steht bevor. Waldorf hat es
in einem Gedicht gesungen."
Der junge Poet senkte die Augen und lächelte lyrisch:
„Sie erinnern sich, daran?"
Der Bankier ließ wieder seine Schultern auf und
nieder Hüpfen: „Ein Weltuntergang? Ob Erdbeben oder
Sonnensturz: ich bilde mir seit Jahren ein, daß ich in den
Armen eines edeln, unberührten Mädchens^ sterben
werde."
Die geschiedene Frau des Rittmeisters verschränkte
die Finger ineinander, als hätte sie einen inneren
Schmerz: „Fräulein Melius, Erich Thumann ist Ihnen
sicherlich treu!"
Hedwig meinte: „In den fünf Jahren, die ich mit ihm
beisammenlebe, habe ich nie Ursache gehabt, mich über
ihn zu beklagen."
„Gott, wie schön ist eine tiefe Liebe," sagte die Frau
und quälte sich mit ihren Fingern ab.
„Trinken Sie doch!" rief Hedwig dem Privatdozenten
am andern Ende des Tisches zu und lächelte aufmunternd.
Dieser Privatdozent hatte ein Schauspielergesicht — eines,
das sich für jugendlich-tragische Rollen eignete. Hedwig
pflegte ihn damit zu necken. Er aber behielt immer seine
kindliche, gute, offene Miene.
Der Kritiker wurde nervös von dem Anschauen des
Gesichtes und der Gestalt Hedwigs. Sie bezauberte ihn
allzusehr, und um sich abzulenken, mischte er sich lebhaft
in das Gespräch der andern: „Bei uns ist alles Maske,
damit wir unserem Egoismus und unserer Genußsucht
besser die Zügel schießen lassen können. Ich behaupte
kategorisch: auch die Liebe ist bloß ein Deckmantel." Er
nahm plötzlich ein Monokel aus seiner Westentasche.
„Die Liebe — mein Gott —", sagte Erich und faltete
seine Serviette zusammen.
Hedwig horchte gespannt, aber sie beugte sich zu
Merseburg hinüber, als wollte sie ihm etwas ins Ohr
flüstern.


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