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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 9
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Fontana, Oskar Maurus: Die Stadt
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Zur Linde, Otto: Logik und Physiologie des Werkes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0318

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Die Stadt.
durch die Gassen, blieb dann in einer, die sich weit und
schnurgerade dehnte, und sah vor und zurück und konnte
keinen Schritt mehr tun, als fürchte er, dabei ins Boden-
lose zu sinken, zu zerschmettern. Dieser steinerne Zug,
aus einem planvollsten Sinn kommend, und in ihn
gehend und doch tief geheimnisvoll in seiner Naturhaftig-
keit, die dennoch Menschenwerk war, verwirrte ihn bis
zur Verzweiflung. Es war nicht dies, aber es war nicht
jenes, aber was war es, was? Stunden dauerte es, ehe
er sich losriß, und auch das nur, weil ein Polizist arg-
wöhnisch um ihn Herumstrich.
Nie kam er von dieser grausamen Stummheit frei.
Sie würgte ihn in den gewölbten, mit Zigarettenduft
gefüllten, bläulich schimmernden Hallen, die unwirklich
viel Menschen zusammentrieben, weil vorne in einem
weißknisternden Loch einer sich von Löwen küssen ließ
oder eine ein Lied sang. Er sah selten auf dieses Loch,
er sah immer nur auf die Banke mit ihren Sitzenden,
auf die Logen mit ihren abgesperrten Dunkelheiten. Er
hörte sie alle atmen, lauter als die Musik, hörte sie alle
horchen und in einem Raume, der sie aufnahm und von
sich stieß, cineni Raume, in dem nie einer ein Bett auf-
geschlagen hatte und das Haus mit seinem heiligen Schlaf
geweiht hatte, einem Raume, den sie hätten hassen
müssen ob seiner katzenweichen Selbstsucht und den sie
liebten, mit Hirn und Herz liebten. Wie konnte dies
Kaspar verstehen, in ein Bild fassen?
Dann stand er auf den Märkten, sah, wie des Nachts
die Bauernfrauen, deren Gesichter er so gut kannte, in
denen ihm kein Zug fremd war, wie die auf dem Pflaster
schliefen, als wäre es Erde, und vor sich die Butten mit
Grünem, noch den klaren Geruch der Wiesen und Berge
und Felder bewahrend, hörte die Bauernwagen durch
die leeren schattengejagten Gassen rumpeln, Land mit
sich tragend, Land in die Stadt. Und es bereitete ihm
fast Freude, dies hohnvoll festzustellen, wie diese steinerne,
zusammengerückte Flut auf das lichte, Helle Land warte,
es brauche, von ihn: abhänge. Dann aber mußte er sich
sagen, wie wenig das bedeuten wolle, weil es nirgends
zu spüren, zu fühlen sei, dieses, sein Land, weil hier nur
ein Gebot sei und das gebe die Stadt. Da kamen ihm
diese Wagen und diese Butten wie der Tribut vor, den
ein Mächtiger von einem Armen empfängt. Der hat
seine Gaben im Vorhofe aufgestellt und die Knechte des
Herrn kommen und teilen und wägen. Und die Bauern
fragen sie, die Kundigen, mit angstvollen Gesichtern:
„Werden wir ihn heute sehen, den Herrn, den Gewalti-
gen?" Aber seine Diener erwidern nur: „Nie!" und die
Türen fallen hinter ihnen zu.
Kaspar verkam. Er hatte Jahre in diese Liebe ge-
worfen, in ihren grausam tiefen Brunnen, und dachte,
es wären nur Stunden gewesen. Er begriff dies erst,
als die zu Hause ihn fallen ließen, ihn, den Studenten,
der nichts herausstudierte, der nicht nach Hause kam und
von dem sie meinten, er liege in Lotterbetten. Da sah
er sich im Spiegel und merkte, daß sein Leben sich ver-
steinert habe wie eines dieser Häuser. Er dachte daran,
Schaffner zu werden, um in den Straßenbahnwagen die
Stadt zu durchjagen, immer hinter ihr her, der Fliehen-
den, oder Briefträger, um so die^Häuser zu beklopfen,
hinter die Türen zu schauen, das Geheimnis zu er-

lauschen. Aber die Scham eines studierten Mannes hielt
ihn davon ab. So wurde er ein kleiner kläglicher Schreiber
in einem staatlichen Amt und saß mit einem Male in
auch so einen: Hause gefangen und ging wie die andern
jeden Morgen denselben Weg. Es ergriff ihn, daran zu
denken, wie ihn dieses Gesicht einmal verstört hatte,
bei seinem Anfang, als er den ersten Kuß der Stadt auf
seinen Lippen brennen gefühlt hatte.
Sein einziges Vergnügen war, nach den Amts-
stunden wie vormals die Gassen zu durchstreifen, von
einer in die andere zu kommen und nie ans Ende zu ge-
langen. Wenn er müde war, ging er in ein kleines Kaffee-
haus in seinem Hause, trank einen Schwarzen und kroch
in sein Zimmer, in sein Bett. Aber in dem Kaffeehaus
war eine Kassierin. Sie hatte mit ihm zu sprechen be-
gonnen und nun kamen immer Worte, wenn er ein-
trat. Der Einsame hatte sich daran gewöhnt, er wollte
auch seine Stimme hören.
So kam es, daß Kaspar auf einmal verheiratet war
und noch um sich schaute, und schon ein Ehemann war.
Und dann waren Kinder da, immer mehr, und das Geld
reichte nicht und die Frau schimpfte. Kaspar ging durch
die Gassen, er lächelte ihnen zu. Aber sein Schritt wurde
immer müder. Es war nicht mehr der Trotz darinnen,
der einen Kampf mit der Geliebten ausgenommen hat,
der sie ganz haben will, ganz.
Er schlich nur noch an den Sonntag-Nachmittagen,
die schon erwachsenen Kinder an der Hand, eng an
den Häusern entlang. Seine dürre gebeugte Gestalt
stak in einem Havelock, seine Hosen waren ausgefranst,
die Absätze seiner Schuhe vertreten. Aber wenn seine
Hände über das Mauerwerk liebkosend und hastig,
damit es niemand sehe, strichen, dann zitterte er noch
immer.
Er starb auf der Straße. Als er einmal vom Amt
ging, schien ihm sein Kopf geschwollen wie eine Glocke
oder ein Kürbis, zugleich aber schütterten Erbsen darin.
Er torkelte so seiner Küche und seinem Zimmer zu, seine
Blicke hingen wie immer an den Mauern. Und da fiel
er um. Aber als er so lag, schienen ihm, dem Bauer,
Acker rundun! zu sein, Äcker, auf denen Frucht stand und
Blumen, aber nicht war in ihnen der leichtguillende Saft,
den er von den Feldern daheim kannte, sondern Menschen-
blut in den vollen starken Ähren und in den zartgereckten
Blütenblältern. Er wollte noch fragen: „Wo seid ihr,
meine Häuser?", aber da war er schon tot, mitten in
der Stadt. s633f!
Oogik und Physiologie des Verses.
^^Wenn ein junger Student, befolgend den schlechten
Rat eines schlechten Lehrbuches der „Poetik", sich daran
macht, kleine Prosastückchen metrisch umzuschreiben, so
ist das etwas dem Wesen aller echten Dichtkunst so dia-
metral Entgegengesetztes, daß selbst der unerfahrene
Fuchs der Germanistik und Dichtekunst nicht bis zum
Staatsexamen zu warten braucht, ehe ihm diese Er-
kenntnis aufdämmert.
Wollte er aber pflichteifrig sein und den „Lehrgang"
bis zu Ende durchmachen und die „praktischen Übun-
 
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