Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:
Dehmel, Paula: Mariä Gnaden
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0284

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mariä Gnaden.
gesucht, und als unsichtbarer König des Undurchdring-
lichen verehrt und gefürchtet wird.
^Eine Weile noch schwangen die Wellen benommener
Ergriffenheit allein durch den Raum, dann wurden sie
plötzlich durch einen fremden Ton unterbrochen.
Aus dem Schatten der Kanzel, inmitten der Kirche,
tritt die Gestalt eines Mannes. Hoch und hager steht
er jetzt vor dem großen, holzgeschnittenen Engel, der auf
erhobenen Armen den Kanzelstuhl trägt. Wie um Ver-
zeihung bittend, gleiten seine Finger über die glänzend
braunen Schnitzflächen. Er streichelt das Gewand, die
mächtigen und doch zarten Flügel und läßt seine Augen
inbrünstig auf dem jugendlichen Körper und den feinen
weiblichen Zügen des Engels ruhen.
Der einsame Mann ist Rodbertus der Bildhauer,
die Kanzel ist sein Werk.
Fünfundzwanzig Jahre sind es her, seit er vom
hohen Rate seiner Vaterstadt den Auftrag bekam, die
Schnitzereien für die Kirche Mariä Gnaden zu über-
nehmen; fünfundzwanzig Jahre hat er an dieser Kanzel,
dem Chor, dem Portal und dem Gestühl gearbeitet, Jahr
um Jahr, entworfen und geschnitzt, geglättet und gefeilt.
Er übersieht mit dunklem Blick die Kanzel. Auf
dieser Seite: der Leidensweg Christi. Vier Gruppen-
bilder sind es, und auf jedem suchen seine Augen dieselbe
feingliedrige Gestalt, dieselben anmutigen Bewegungen,
wie sie auch im Kanzelträger verkörpert sind.
Ein Name kommt über seine Lippen: Maria! Wenn
sie ihm abends, während er die Entwürfe skizzierte,
die Evangelien vorlas, mit ihrer warmen überzeugenden
Stimme; wie da sein Herz brannte und nicht wußte,
ob es den Heiland oder die schöne Frau begehrlicher in
sich aufnahm. Wie freudig war ihm in diesen glücklich
bewegten Jahren die Arbeit gewesen! Etwas wie Stolz
kam in seine Augen: Ja, sie war schon ein Menschen-
leben wert, die Kanzel; er wußte: noch nach viel hundert
Jahren würden die Leute davor stehen bleiben und
vielleicht ein wenig jener Wärme fühlen, die ihn beim
Schaffen durchblutet hatte. Maria! Zehn lange Jahre
lag sie nun schon im Grabe und hatte ihn allein gelassen
mit der kleinen Maria, die nun all seine Liebe erben
mußte.
Ein Stöhnen wie aus verschütteten Mauern drang
aus dem Innern des Mannes: — dann war sie gekom-
men, die Stunde, die sein Leben und seine Kunst ver-
giftet hatte, und die ihn verfolgte wie fliegendes Feuer.
Er hatte damals die andere Seite der Kanzel zu
schnitzen: Bilder aus dem Alten Testament, zuletzt den
Sündenfall der ersten Menschen. Da hatte ihm der
Teufel in die Ohren geblasen, seine junge Tochter, das
fünfzehnjährige Mädchen, zum Modell für die Eva zu
nehmen, und sie hatte in kindlicher Freude gleich zu-
gestimmt, hatte ohne Scheu vor dem Vater ihre Röckchen
fallen lassen und ihm mit erwartungsvollen Mienen
ihre junge Schönheit geboten.
Wieder drang das halbunterdrückte Stöhnen aus der
Brust des alternden Meisters. Mit schwerem Schritt
ging er auf die andere Seite der Kanzel hinüber, und
seine Blicke glitten scheu über die süße Gestalt, die mit
Kinderlächeln ihren: Gespiel den verderbenbringenden
Apfel reicht.

So hatte sie dagestanden in unschuldiger Freude an
sich selbst, das holde Nachbild der toten Maria; und
seine Augen hatten sich nicht satt sehen können an die-
ser großen Lieblichkeit.
Und da — ein schmerzender Blutstrom schoß ihm in
die Schläfen — da — da war die Furie des Geschlechts
in ihn gefahren, hatte seine Seele verdunkelt und — o
wenn er diesen Moment erdrosseln könnte, ihn wie eine
Eiterbeule herausdrücken könnte aus Blut und Gedächtnis,
diesen Moment, der ihn um allen Frieden, alle Sicherheit
und um die Liebe seines Kindes gebracht hatte!
Zehn Jahre waren es bald her, und noch immer
hörte er den Aufschrei der zu tiefst Erschrockenen, sah
die entsetzten Augen, sah, wie sein Kind, zitternd vor
Scham und Zorn, seine Kleider an sich riß und halb
betäubt seiner Kammer zustürzte.-
Seit dieser unheiligen Minute hatte er kein Kind mehr.
Still tat das Mädchen ihre Pflicht im Hause, ver-
sorgte ihren Vater mit allem was er brauchte, aber der
Riß zwischen ihnen schloß sich nie wieder.
Atzend fiel der Haß verwundeter Unschuld in seine
entbehrende Seele, Tropfen um Tropfen!
Und doch, wie heiße Martereisen brannten Scham
und Gier in ihm fort, Monate, Jahre; alle Farbe, alle
Weichheit verschwanden aus seiner Gestalt, fast glich er
den Holzsiguren, die er in diesen furchtdurchschüttelten
Zeiten schuf. Damals las er zum ersten Male die Pro-
metheussage; sie schlug wie ein Blitz in seine Dunkelheit;
er war sein Bruder, auch zu ihm kam der Geier und
fraß an seinem Innern, nicht einmal, nein zehnmal,
hundertmal am Tage!
Und im Trotz gegen sich selbst, schnitzte er sich ein
Bild des heidnischen Märtyrers; er trug seine eigenen
Züge, hing mit gebundenen Händen am Fels und konnte
dem Geier nicht wehren, der gierig auf ihn einhieb und
in seinen Eingeweiden wühlte und fraß!
Und dann war die große Wut in ihn gekommen, die
stoßende Lust, alles zu zerstören und zu verhöhnen, was
schön war in ihm und heilig; statt frommer Dinge sah
sein bitterer Blick nur Teufelsfratzen und ekles Getier
im Holze und bildete es nach. Wie ihn das lockte!
Vielleicht war es endlich die Erlösung von dem Un-
erträglichen, das er selbst in der Beichte keinem Priester
anvertrauen mochte.
Und Ungetüm auf Ungetüm schuf er so aus dem
irren Wüten gegen sich selbst! Da kroch es auf dicken
Bäuchen einher wie ekle Würmer; da starrten kalte
Glotzaugen aus gedunsenen Fratzen; affenartige Scheu-
sale mit unflätigen Gebärden tanzten vor ihm, und er
mußte sie bilden: bilden den gezähnten Höllenrachen,
bilden die widerlichen langschwänzigen Teufel mit
Weiberbrüsten, alle Zerrbilder der Hölle mußte er sehen,
formen, bilden mit seinen schaffenswütigen Händen!
So wuchs es hervor aus seiner zerstörten Seele; und
all die grausig lebensvollen Spukgestalten, all das los-
gelöste Entsetzen seiner Einbildungskraft kam als Zier
in die Kirche Mariä Gnaden!
Keiner wagte dem gefürchteten Meister zu wider-
sprechen; und so brüsteten sich die höllischen Gebilde
am Chorgestühl und Supraporten, an Kapitälen und
Herrensitzen, an Portalen und Wasserspeiern.

r-'o
 
Annotationen