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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Bacmeister, Ernst: Der heilige als Soldat
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0038

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Dcr Heilige als Soldat.
Gemeinschaft^ in erster Linie die typische Menschen-
gemeinschaft: der Staat. Hegel nennt ihn „die auf die
Erde heruntergestiegene Idee"/ — den „wirklichen Gott".
Danach scheint es unmöglich/ daß der Staat gegen
das Individuum jemals der Idee nach den kürzeren
zieht. Käme das nicht einer Auflösung aller Sittlich-
keit/ einer Vernichtung Gottes gleich?
Und dennoch vermag es zu geschehen.
Allerdings nicht durch das Individuum/ aber im
Individuum/ also eben der Idee nach, kann der Staat
zu Nichts werden. Der Einzelne kann innerlich über den
Staat hinausgelangen/ und muß über ihn hinausgelangen/
um die höchste Stufe des Menschlichen zu erreichen.
Dies aber besagt nichts weniger/ als daß es auch eine
Tragik des Staates im Verhältnis zum Individuum gibt.
Es ist in der Tat durchaus und wahrhaft jedesmal
ein Untergang des Staates im Individuum/ wenn ein
Mensch das kosmische Alst das der Staat vertritt/ un-
mittelbarer als durch ihn bereits durch jede — Blume
symbolisiert findet und sich in geistiger Liebe beseligt über
eine solche Offenbarung Gottes neiat. Denn in jedem
solchen Augenblick verwirklicht sich Gott mit Über-
springung des Staates dadurch/ daß ein Individuum ein
fo entferntes anderes als ureins mit sich anerkennst auf
eine viel grenzenlosere und durchdringendere Weise und
auf einer viel höheren Stufe der Erkenntnis/ als wenn
sich Mensch mit Mensch nicht einmal zur Menschheit/
fondern nur zum Volk gesetzlich zusammenbindet. Jene
Verwirklichung Gottes im kosmisch liebenden Menschen
ist dem Staat aber nicht nur überlegen/ sondern bringt
diesen im Individuum zur Auflösung/ weil es ohne
Raub am Dasein der anderen zum höchsten irdischen
Glück gelangt und durch keine Gesetze mehr gegen den
Glücksanspruch der anderen abgegrenzt zu werden braucht.
Ter Awecke entladen/ von der unschuldigen Schau Gottes/
die ein Erleben Gottes ist/ beseligt und innerlich selber
zum All erweiterst steht der Mensch jenseits jeder zweck-
haften Vereinigung/ die sich zum Wohle ihrer Mitglieder
gegen andere Vereinigungen abgrenzt und sich über
Pflichten und Rechte untereinander bindende Gesetze
macht. Der Staatsbürger ist abgelöst vom Heiligen/ der
so zu seinem göttlichen Rechte kommst daß ihm keine
menschliche Pflicht daraus entspringt.
Und dies ist die Tragik des Staates/ daß er/ nur sittlich
und vernünftig/ dem Individuum in seine Heiligkeit und
Seligkeit nicht hinaufzufolgen vermag. Vom göttlichen
Geiste beflügelt entschwebt es ihm und läßt ihm zurück/
was er allein gesetzlich zu binden vermag: die Materie/
den Leib. An diesem aber ist seine Gesetzeskraft ver-
schwendest weil er nur noch bedürftig ist/ nicht mehr be-
gierig/ wie bei jenen Unerlösten/ deren Reich noch von
dieser Welt ist.
Kann es deshalb vielleicht auch nur diesen Unerlösten
eine Pflicht sein/ den Staat/ der ihnen ihre irdische Ent-
faltung sicherst gegen einen Angriff zu verteidigen?
Kann der Heilige/ der sich überirdisch entfaltest nachdem
ihm alles Irdische zuni Gleichnis/ zum gleichwertigen
Symbol Gottes geworden ist/ — kann er noch Soldat
sein? Kann er, der seine Seele im Immateriellen auf-
erbaust mit der Waffe in der Hand einen materiellen
Vernichtungswillen vor sich hertragen?

Er kann einem Vernich tungs willen entgegen-
treten'
E^ der „metaphysisch Erwachte"/ der Wissende/ kann
der unwissenden Leidenschaft wehren, die über Leichen
einem gemeinen Ziele zustrebt. Und wenn diese Leiden-
schaft tödlich bewaffnet isst dann wird sein metaphysisch
begründetes Widerstreben sich ebenso tödlich physisch
bewaffnen.
Wohl kann der Heilige also ein Gewehr tragen — um
Gottes willen, und seine allumfassende Liebe als eine
kosmische Gegenkraft gegen maßloses egoistisches Einzel-
begehren in richterliche Tat zusammenraffen. Von sich
aus kann er das, aus tiefstem persönlichen Erkenntnis-
grunde.
Aber wenn nun Staat mit Staat in einen unpersön-
lichen, sachlichen, wirtschaftlichen oder machtpolitischen
Konflikt gerät? Wenn zwei begrenzte menschliche Ge-
meinschaften lediglich aus einem Mangel an Verständi-
gung nicht nebeneinander glauben gedeihen zu können,
obwohl die Erde Raum für beide hat? Kann der Weise
dann etwas anderes tun als nur sein Haupt verhüllen und
die Torheit der Völker oder die unvollkommene Intelli-
genz ihrer Verantwortlichen beklagen? Wäre es nicht
ein Verbrechen gegen seine Höhe, wenn er in solcher
Niederung der Kampfesgründe mitkämpfen würde? —
Seine ideelle, symbolische Wertung des Daseins scheint
ihn ja doch herauszustellen aus allen Konflikten, die einer
leidenschaftlichen, stofflichen Wertung der Materie ent-
springen.
Natürlich ist seiner Tiefe die Oberfläche der Gründe
und Zwecke, die zum Kriege zweier Staaten führen, un-
möglich. Aber ebenso selbstverständlich ist seiner Tiefe
der Widerwille gegen die Gefährdung oder Vernichtung
eines so gewaltigen Gottessymboles, wie es ein durch
seine Rasse zur Individualität zusammengefaßtes Volk
auf Erden ist. Gegen eine solche Verarmung Gottes in
der Welt empört sich seine Erkenntnis, und wenn er
auch sonst sich nicht mehr von der Interessengemeinschaft
des Staates umschlossen weiß, so bleibt er doch für die
Erhaltung des Volkes, das dieser Staat als seinen einzig-
artigen Inhalt gesetzlich vertritt, liebend interessiert. Mit
Verzicht auf seine eigene Harmonie wird er für das be-
drohte zur dissonanten Waffe greifen und aus zuerkannter
Pflicht der Existenz willig teilnehmen an der heiligen
Probe der Kraft, die als ultima, mtio für ein Volk das
Recht auf Existenz beweist. Er, der Alliebende, wird einen
unpersönlichen Feind bekennen und ihn bestreiten helfen.
Der Staat aber offenbart seine Erdenschwere niemals
deutlicher, als wenn seine Überirdischen, seine Weisen
seinetwegen das Gewehr ergreifen. Es ist sein Schickfal,
daß er in breiter irdischer Front angreifbar bleibt, un-
erlösbar vom Leib, und daß er nur herausfordernd
wachsen kann; denn er wächst in der Welt der Dinge, die
sich stoßen. Es ist seine Tragik, nicht die seiner Heiligen,
daß er es ihnen, den ewig Gesinnten, zur zeitlichen Auf-
gabe machen kann, um des Lebens willen zu töten.
Die anderen alle ruft das bedrohte Vaterland aus
dem Tale einer begrenzteren Menschlichkeit zu sich —
herauf; aber die Heiligen, die auf Gottes unbegrenzten
Bergen wohnen, ruft seine Not — herunter.
Or. Ernst Bacmeister.

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