Der Schatten des Krieges über der Kunst.
die jetzt ihr absprechendes Urteil über jene Art Kunst un-
bedingt aussprechen zu müssen glauben. Und die Stützen
und Herolde jener Kunstbewegungen scheint die Erde
verschluckt zu haben. Man rede nicht von einer Um-
wälzung der Gesinnung durch den Krieg. Eine innerlich
berechtigte Kunst hätte auch den Krieg überstanden, und
all das, was in dem Kunstringen vergangener Jahre echt
war, wird ihn überstehen. Der Patriotismus hat mit
der Kunst sehr wenig zu tun, und in bewußter Anwendung
wird er zum Übel. Die Kunst ist aber ein Produkt der
Künstler, und so wie ein solcher seinen Namen verdient,
so lassen sich die eigentümlichen seelischen Vorgänge
künstlerischen Gestaltens durch den Krieg nicht absor-
bieren, oder in anderweitige, beliebige, geistige Werte
umsetzen.
Man hört allzuoft, die Kunst habe keinen Platz in
dieser Zeit, ebensowenig der Künstler. Gewiß, die Kunst
mag für die Forderung der Gegenwart mit Recht zurück-
gesetzt erscheinen, hierdurch aber wird ihre Existenz-
berechtigung so wenig berührt, wie die einer Armee in
Friedenszeiten. Und im Hintergrund der Dinge ist ihr
Wert auch in der Gegenwart vielleicht wesentlich größer,
als allgemein zum Bewußtsein wird. Denn dieser
ungeheure Kampf wird ja letzten Endes um die ethischen
Werte der Nation geführt, von denen die Kunst ein ganz
erhebliches Teil bedeutet. Sodann aber muß sie leben
und dasein, weil das, was nach dem Kriege in ihr gesucht,
von ihr gefordert werden wird, nun nicht aus sich neu
entstehen kann, sondern zu seiner Blüte der Wurzeln in
der Vergangenheit und der Pflege in der Gegenwart
unbedingt bedarf. Darum ist die Sorge um sie, und die
Arbeit in ihr inmitten der kriegerischen Ereignisse nichts
Überflüssiges, und dem Geist der Zeit nicht Entsprechen-
des, sondern dies alles verdient um so mehr Anerkennung
und Unterstützung, da es — finanziellen Erfolges fast
völlig entbehrend — nun wirklich aus aufrichtigem
Herzen, ehrlichem Ringen und innerer Notwendigkeit
geboren wird, und vielleicht so das, was die Kunst vor
dem großen Kriege an Wertvollem in sich barg, von
manchen Schlacken reinigt.
Denn diese Kunst der jüngsten Vergangenheit ist ja
nun keineswegs, wie es heute des öfteren geschieht, in
Bausch und Bogen zu verdammen. Nur ist all das Rin-
gen, Kämpfen und Mühen, das in ihr war, durch allzu-
viel Auswüchse und Schmarotzer so kompromittiert, daß
es heute wohl noch nicht möglich ist, den Weizen von der
Spreu zu sondern. Wir wollen dies hier im einzelnen
nicht untersuchen. Es ist so oft geschehen, so oft befür-
wortet, verteidigt und verdammt worden, daß es über-
flüssig erscheinen muß, hier noch Material hinzuzufügen.
Nur eins sei kurz erwähnt. Es wird oft versucht, Äuße-
rungen namhafter Künstler aus der Zeit des Krieges
über die Kunst zu einer besonders scharfen Waffe zu
schmieden gegen eine eben noch laut gepriesene Ver-
gangenheit. Denn alles, was vor dem Kriege lag,
werden wir als Vergangenheit rechnen müssen. — So
ist, um ein Beispiel zu nennen, vor einigen Wochen der
Münchner Maler Franz Marc auf dem Felde der Ehre
gefallen, und bei der Bekanntgabe seines Todes er-
innerten einige Blätter in fast triumphierendem Ton
daran, daß dieser Führer der „Blauen Reitergruppe"
— und sicherlich die stärkste Begabung in ihr — sich wäh-
rend des Krieges in einem Schreiben aus dem Felde
dahin geäußert habe, daß er, wie die jüngere Generation
der Malerei, nach dem Kriege umlernen müßte. Man
macht nun so Franz Marc zum Kronzeugen wider seine
eigene Kunst, gegen seine ganze Arbeit, die vor der Zeit
des Krieges lag. Sollte man nicht in der Geradheit und
selbstlosen Offenheit dieser Worte einen Beweis dafür
finden, daß ihm das, was er bis dahin geleistet, nicht
Mittel der Effekthascherei und der Bluffs, sondern
innerste Überzeugung gewesen ist? Und sollte man hier-
aus und aus manchem Ähnlichen, wenn auch nicht zu
einer besseren Wertung der Kunst vor dem Kriege, so
doch zu einer größeren Achtung ihres ehrlichen und starken
Willens gelangen? Freilich, immer wieder trüben die
Vielen das Bild, die in jener Zeit durch ihr Gehaben die
Kunst so kompromittiert, und ihre Wertung im Ansehen
des Publikums zum Nachteil der Gegenwart so ver-
mindert haben. Aber es wäre ungerecht, über sie die
ehrlich Ringenden, in Wahrheit Überzeugten zu vergessen,
deren Werke aus jenen Tagen über die Gegenwart hin-
weg die Brücke bilden müssen in die Ankunft. Es wurde
schon erwähnt, wie sehr möglicherweise die wirtschaft-
lichen und kulturellen Zustände der jüngsten Ver-
gangenheit von unheilvollem Einfluß auf die Gestaltung
der Kunst geworden sind. — Und dann darf nicht ver-
gessen werden, daß alles Neue wie jede Entwicklung seine
Krisen bedingt und Zeit braucht. Man darf freilich nicht
in den Fehler verfallen und die Erfahrung, daß manches
sehr Wertvolle im Anfang seines Werdens allzulange ver-
kannt, verlacht und als häßlich gefunden worden, nun in
ihrer Umkehrung anzuwenden. Nicht das stempelt eine
Sache zum künftigen Wert, daß sie anfangs verlacht
wurde — das könnte ihr auch späterhin mit Recht ge-
schehen. Aber diese Kunst war wohl im wesentlichen
nicht so sehr ein Anfang, wie sie gerne scheinen wollte,
sondern ein Ende, aus dem mit zunehmender Distanz
sich immer klarer die Werte abheben, die Bausteine der
Zukunft sein könnten. Diese Werte nun im einzelnen
festzulegen und zu begründen, liegt nicht in der Absicht
dieser Arbeit, ist auch wohl in einer irgendwie präzisierten
und abschließenden Form noch nicht möglich. Aber selbst
wenn wir nicht an einzelne Künstler und Kunstwerke
an dieser Stelle erinnern wollen, und das Wertvolle in
ihnen aufzuzeigen und festzulegen wünschen, so müßte
es allein schon genügen, durch die Tatsache des Kunst-
ringens des letzten Jahrzehntes seine ungeheure Inten-
sität, die immer mehr gesteigerte Rastlosigkeit und Ver-
zweiflung des Suchens, das immer wieder erneute Wett-
eifern und Versuchen, einen unleugbar sehr hohen Wert-
gehalt in all dem nachzuweisen. Man kann kritisieren,
verurteilen, vernichten, was man mag, die Tatsache, daß
nut stärkster Energie und größter Leidenschaftlichkeit, oft
unter schwersten, persönlichen Opfern um Probleme der
Kunst gerungen wurde, bringt einen so starken Beweis
einer inneren Notwendigkeit, einer großen Sehnsucht
nach neuen Formen einer neuen Zeit, daß man es nie-
mals wagen darf, aus oberflächlichen Erörterungen der
Gegenwart den Stab über sie zu brechen. Diese Werte
sind unantastbar, und in ihnen liegen Wurzeln und
Brücken zur Zukunft stärker und fester verborgen als in
27Z
die jetzt ihr absprechendes Urteil über jene Art Kunst un-
bedingt aussprechen zu müssen glauben. Und die Stützen
und Herolde jener Kunstbewegungen scheint die Erde
verschluckt zu haben. Man rede nicht von einer Um-
wälzung der Gesinnung durch den Krieg. Eine innerlich
berechtigte Kunst hätte auch den Krieg überstanden, und
all das, was in dem Kunstringen vergangener Jahre echt
war, wird ihn überstehen. Der Patriotismus hat mit
der Kunst sehr wenig zu tun, und in bewußter Anwendung
wird er zum Übel. Die Kunst ist aber ein Produkt der
Künstler, und so wie ein solcher seinen Namen verdient,
so lassen sich die eigentümlichen seelischen Vorgänge
künstlerischen Gestaltens durch den Krieg nicht absor-
bieren, oder in anderweitige, beliebige, geistige Werte
umsetzen.
Man hört allzuoft, die Kunst habe keinen Platz in
dieser Zeit, ebensowenig der Künstler. Gewiß, die Kunst
mag für die Forderung der Gegenwart mit Recht zurück-
gesetzt erscheinen, hierdurch aber wird ihre Existenz-
berechtigung so wenig berührt, wie die einer Armee in
Friedenszeiten. Und im Hintergrund der Dinge ist ihr
Wert auch in der Gegenwart vielleicht wesentlich größer,
als allgemein zum Bewußtsein wird. Denn dieser
ungeheure Kampf wird ja letzten Endes um die ethischen
Werte der Nation geführt, von denen die Kunst ein ganz
erhebliches Teil bedeutet. Sodann aber muß sie leben
und dasein, weil das, was nach dem Kriege in ihr gesucht,
von ihr gefordert werden wird, nun nicht aus sich neu
entstehen kann, sondern zu seiner Blüte der Wurzeln in
der Vergangenheit und der Pflege in der Gegenwart
unbedingt bedarf. Darum ist die Sorge um sie, und die
Arbeit in ihr inmitten der kriegerischen Ereignisse nichts
Überflüssiges, und dem Geist der Zeit nicht Entsprechen-
des, sondern dies alles verdient um so mehr Anerkennung
und Unterstützung, da es — finanziellen Erfolges fast
völlig entbehrend — nun wirklich aus aufrichtigem
Herzen, ehrlichem Ringen und innerer Notwendigkeit
geboren wird, und vielleicht so das, was die Kunst vor
dem großen Kriege an Wertvollem in sich barg, von
manchen Schlacken reinigt.
Denn diese Kunst der jüngsten Vergangenheit ist ja
nun keineswegs, wie es heute des öfteren geschieht, in
Bausch und Bogen zu verdammen. Nur ist all das Rin-
gen, Kämpfen und Mühen, das in ihr war, durch allzu-
viel Auswüchse und Schmarotzer so kompromittiert, daß
es heute wohl noch nicht möglich ist, den Weizen von der
Spreu zu sondern. Wir wollen dies hier im einzelnen
nicht untersuchen. Es ist so oft geschehen, so oft befür-
wortet, verteidigt und verdammt worden, daß es über-
flüssig erscheinen muß, hier noch Material hinzuzufügen.
Nur eins sei kurz erwähnt. Es wird oft versucht, Äuße-
rungen namhafter Künstler aus der Zeit des Krieges
über die Kunst zu einer besonders scharfen Waffe zu
schmieden gegen eine eben noch laut gepriesene Ver-
gangenheit. Denn alles, was vor dem Kriege lag,
werden wir als Vergangenheit rechnen müssen. — So
ist, um ein Beispiel zu nennen, vor einigen Wochen der
Münchner Maler Franz Marc auf dem Felde der Ehre
gefallen, und bei der Bekanntgabe seines Todes er-
innerten einige Blätter in fast triumphierendem Ton
daran, daß dieser Führer der „Blauen Reitergruppe"
— und sicherlich die stärkste Begabung in ihr — sich wäh-
rend des Krieges in einem Schreiben aus dem Felde
dahin geäußert habe, daß er, wie die jüngere Generation
der Malerei, nach dem Kriege umlernen müßte. Man
macht nun so Franz Marc zum Kronzeugen wider seine
eigene Kunst, gegen seine ganze Arbeit, die vor der Zeit
des Krieges lag. Sollte man nicht in der Geradheit und
selbstlosen Offenheit dieser Worte einen Beweis dafür
finden, daß ihm das, was er bis dahin geleistet, nicht
Mittel der Effekthascherei und der Bluffs, sondern
innerste Überzeugung gewesen ist? Und sollte man hier-
aus und aus manchem Ähnlichen, wenn auch nicht zu
einer besseren Wertung der Kunst vor dem Kriege, so
doch zu einer größeren Achtung ihres ehrlichen und starken
Willens gelangen? Freilich, immer wieder trüben die
Vielen das Bild, die in jener Zeit durch ihr Gehaben die
Kunst so kompromittiert, und ihre Wertung im Ansehen
des Publikums zum Nachteil der Gegenwart so ver-
mindert haben. Aber es wäre ungerecht, über sie die
ehrlich Ringenden, in Wahrheit Überzeugten zu vergessen,
deren Werke aus jenen Tagen über die Gegenwart hin-
weg die Brücke bilden müssen in die Ankunft. Es wurde
schon erwähnt, wie sehr möglicherweise die wirtschaft-
lichen und kulturellen Zustände der jüngsten Ver-
gangenheit von unheilvollem Einfluß auf die Gestaltung
der Kunst geworden sind. — Und dann darf nicht ver-
gessen werden, daß alles Neue wie jede Entwicklung seine
Krisen bedingt und Zeit braucht. Man darf freilich nicht
in den Fehler verfallen und die Erfahrung, daß manches
sehr Wertvolle im Anfang seines Werdens allzulange ver-
kannt, verlacht und als häßlich gefunden worden, nun in
ihrer Umkehrung anzuwenden. Nicht das stempelt eine
Sache zum künftigen Wert, daß sie anfangs verlacht
wurde — das könnte ihr auch späterhin mit Recht ge-
schehen. Aber diese Kunst war wohl im wesentlichen
nicht so sehr ein Anfang, wie sie gerne scheinen wollte,
sondern ein Ende, aus dem mit zunehmender Distanz
sich immer klarer die Werte abheben, die Bausteine der
Zukunft sein könnten. Diese Werte nun im einzelnen
festzulegen und zu begründen, liegt nicht in der Absicht
dieser Arbeit, ist auch wohl in einer irgendwie präzisierten
und abschließenden Form noch nicht möglich. Aber selbst
wenn wir nicht an einzelne Künstler und Kunstwerke
an dieser Stelle erinnern wollen, und das Wertvolle in
ihnen aufzuzeigen und festzulegen wünschen, so müßte
es allein schon genügen, durch die Tatsache des Kunst-
ringens des letzten Jahrzehntes seine ungeheure Inten-
sität, die immer mehr gesteigerte Rastlosigkeit und Ver-
zweiflung des Suchens, das immer wieder erneute Wett-
eifern und Versuchen, einen unleugbar sehr hohen Wert-
gehalt in all dem nachzuweisen. Man kann kritisieren,
verurteilen, vernichten, was man mag, die Tatsache, daß
nut stärkster Energie und größter Leidenschaftlichkeit, oft
unter schwersten, persönlichen Opfern um Probleme der
Kunst gerungen wurde, bringt einen so starken Beweis
einer inneren Notwendigkeit, einer großen Sehnsucht
nach neuen Formen einer neuen Zeit, daß man es nie-
mals wagen darf, aus oberflächlichen Erörterungen der
Gegenwart den Stab über sie zu brechen. Diese Werte
sind unantastbar, und in ihnen liegen Wurzeln und
Brücken zur Zukunft stärker und fester verborgen als in
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