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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Mahrholz, Werner: Emil Strauß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0178

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Emil Strauß.

Dieser Grunderkenntnis ist Strauß auch weiterhin
nachgegangen: sein erster größerer Roman — der
Kunstform nach ist's eigentlich eine lange Novelle — „Der
Engelwirt" hat geradezu als Thema: die Enttäuschung
ist der Weg zur Einkehr, zur Einsicht und zur Umkehr.
Der Engelwirt ist ein reicher Bauer und Wirt, dessen
Frau ihm kein Kind bringt. So zeugt er mit seiner Magd
eines; aber zu seiner Enttäuschung ist's kein Junge, kein
Erbe, sondern ein Mädchen. Selbstverständlich kommt es
zu Spott und Verfolgung; die Taufe findet in der Heimat
der Magd statt und es kommt dabei zu peinlichen Szenen.
Am Ende glaubt der Mann, seine Frau werde die Schei-
dungsklage gegen ihn einleiten; so verbeißt er sich in
seinen Trotz, verkauft sein Eigentum, ohne das Zuge-
brachte seiner Frau anzugreifen, und wandert mit der
Magd aus nach Brasilien. Drüben wird er nun betrogen
und bestohlen und uni sein Hab und Gut gebracht;
er fühlt seine Abhängigkeit und Unselbständigkeit tief,
und so im Unglück sitzend, geht ihm seine Torheit und
Verblendung nach manchem Widerstreben des Trotzes
und Eigendünkels auf. „Er hatte heftig sein Bestes,
sein Glück begehrt und war mit dieser Heftigkeit nur
seinen: Unglück, seiner Schande zugerast. Eine ungeheure
Macht, ja der Herrgott droben selber, hatte ihn, den
eigenwilligen, eingebildeten, schlauen Engelwirt un-
vermerkt gezwungen, mit jeder Regung und Handlung,
die er nach und zu seiner Lust beging, einen Stein von:
Turm seines Stolzes abzutragen, bis er nun dastand,
an: letzten Reste des Fundamentes, seine Vermessen-
heit endlich erkannte und in seiner Nichtigkeit fast zer-
brach." Das ist die erste Einkehr, aber noch unterwirft
er sich den: Schicksal nur wie einer bösen, widerstrebenden
Macht. Da stirbt die verführte Magd am Fieber und
eine fremde Frau erweist dem Säugling alle Liebe; da
beschließt er heimzukehren und reuig zu sühnen und gut-
zumachen, was er an seiner Frau getan hat. „Und da
ergab sich denn sein bußfertiges Herz darein, daß der
Weg, den er jetzt zu gehen habe, der der Sühne sei und
rauh, steil und lang genug werden könne, ob nun seine
Frau ihn aus dem Hause jagen oder ihm erlauben würde,
gutzumachen, was er ihr angetan." Er kommt glück-
lich mit dem Kind nach Haus; die Frau nimmt ihn auf
und so verlassen wir den Engelwirt geläutert und ge-
reinigt durch schweres Schicksal, in dem Trotz und Sünde
Stufen auf dem Wege zur Seele waren.
Diese Entwicklungsnovelle zeigt den Erzähler Strauß
in seiner ganzen Reife; nirgends tritt der Erzähler
irgendwie hervor; in ruhigem, epischem Flusse gehen die
Geschehnisse dahin, und die Deutung der Ereignisse
vollzieht sich in der Neflerion des Engelwirts selber.
Mit dieser Entwicklungsgeschichte durch Enttäuschung
und Sünde schließt die erste Epoche von Strauß' Schaffen
ab und er nimmt nun einen anderen Ton, der gelegent-
lich schon in den Erstlingsnovellen schwingt, auf, wir
meinen: die Darstellung der Mysterien von Tod und
Zusammenbruch, von Untergang und Vernichtung.
III.
„Freund Hein", eine Lebensgeschichte, war der
größte Erfolg des Dichters beim lesenden Publikum.
Der sehr außerkünstlerische Umstand, daß zur Zeit des
166

Erscheinens die Schülerselbstmorde viel besprochen wur-
den und die Schulreform an der Tagesordnung war,
hat zu diesem Erfolg wohl viel mit beigetragen. Daneben
aber wirkte die einfache schlichte Darstellung dieses
Schülerlebens und -leidens. Der Inhalt ist ja bekannt:
Ein für Musik hervorragend begabter Junge geht an den
Aufgaben der Schule, die er beim besten Willen und mit
dem größten Fleiße nicht bewältigen kann, zugrunde
und tötet sich selber, nachdem er wieder einmal nicht
versetzt worden ist. Auch der „Freund Hein" ist ein
Entwicklungsroman; sein Motiv findet sich übrigens
schon in den „Menschenwegen" (S. 187/88) angedeutet;
viel Selbsterlebtes aus der Kindheit und Jugend ist
in diesem Roman abgelagert und so ist denn sein Haupt-
reiz eine jugendlich-lyrische Erregtheit, neben der das
eigentlich Erzählende stark zurücktritt. Diese Entwicklung
einer Jugend zum Tode ist ein lyrisches Motiv, kein
episches, und so bleibt neben dem lyrischen Akkord als
Erzählung nur Episodisches aus der Kindheit und ein-
zelne Gestalten, der Vater, die Mutter, der Freund usw.,
im Gedächtnis zurück. Im ganzen ist dieser größte
Publikumserfolg wohl das schwächste der erzählenden
Werke von Emil Strauß.
Gleich in dem nächsten Roman „Kreuzungen" da-
gegen zeigt Strauß sich auf der Höhe seines Könnens.
Das Motiv an sich: ein Mann zwischen zwei Frauen, ist
nicht neu — aber die Ausführung: wie sich diese drei
Menschen, deren Wege sich jäh kreuzen, die ein Weilchen
Zusammengehen und sich dann, verändert und be-
reichert, trennen, ist sehr frisch, zart und reif in der Emp-
findung; die Darstellung dieser Schicksalskreuzungen
ist gelassen, objektiv; keine Reflexion des Autors unter-
bricht den Gang der Erzählung, und der Held kommt
aus innerstem Erlebnis zu dem nachdenklichen Wort:
„Nicht die Erfahrung, die man macht, ist die Haupt-
sache; die Hauptsache ist, nach der Erfahrung dem Leben
gegenüber wieder unschuldig werden" (S. 311). Die
ganze Tapferkeit von Strauß' Weltauffassung klingt in
diesem Satz, wie seine ganze Vernunft in dem fol-
genden schönen Gleichnis liegt: „Schau!", sagte er, an
einem Beet vorbeigehend, „diesen Rosenkohl hab ich
seinerzeit verpflanzt. Die Setzlinge waren schon etwas
groß, nach acht Tagen war ein Blatt um das andere ab-
gewelkt und verdorrt, nur der Herztrieb blieb frisch und
hat nun die ganze Pflanze nachgetrieben. So geht's mir
jetzt. Ich hab mich auch versetzt und muß die alten Blätter,
die auch schön waren, abwelken lassen. Grad wie so
ein Pflänzlein muß ich Geduld haben, die Wurzeln aus-
breiten und mich mit dem eigenen Abfall düngen. Ich
denke, andern wird's auch nicht besser gehen" (S. 327).
Alle diese Menschen lernen durch die Berührung ihrer
Seelen, nicht mehr im Zufälligen zu verweilen, sondern
aus der Notwendigkeit des innersten Wesens heraus zu
handeln und zu wirken, wie das Elfriede, die Roman-
tische, ausspricht in einem Brief, „jetzt sei ihr, als wäre
sie bisher nur ein Spiel des Zufalls gewesen, als habe
sie noch nie von: Grund ihres Wesens aus gewollt"
(S. 328).
Und was der Dichter in diesem Entwicklungsroman
dreier Seelen geleistet hat, das spinnt er weiter in dem
Novellenbande „Hans und Grete", der die vielleicht
 
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