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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Schäfer, Wilhelm: Das Lachkabinett
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0187

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Dcis Lachkabinett.

Sonnenuntergang in der Natur nicht gebe, und daß
die Meister dergleichen nicht gemacht hätten; wobei
freilich gerade vom Laienstandpunkt aus der zweite
Gesichtspunkt der stichhaltigere ist. Denn da es sich in
keiner Kunst um ein Stück wirklicher Natur, sondern
immer nur um eine dargestellte Anschauung des Künst-
lers handelt, ist die Gewohnheit angeschauter Werke
viel weiter entscheidend, als der Laie gemeinhin ahnt;
und es ist nicht zu viel gesagt, daß selbst die Natur-
anschauung einer Zeit zum beträchtlichen Teil von ihren
anerkannten Künstlern bestimmt wird.
Die Schlußfolgerung einer solchen Betrachtung wäre,
daß zum wenigsten das Laiengefühl vor-einem Kunst-
werk nur die Gewohnheit anderer Kunstwerke als Maß-
stab, oder wie wir sagten: als Gesetzbuch hätte, den Urteils-
spruch der Lächerlichkeit zu fällen. Wir brauchen uns
aber nur zu fragen, was der Künstler in dieser Beziehung
vor dem Laien voraus habe, um uns auf den andern
Teil der Konvention, auf die angeborene Empfindung
für Ebenmaß zurückzubesinnen, die sich schließlich
auch beim Laien als die eigentliche Grundlage erweist.
Wenn sich das urteilende Gefühl ihrer nicht sicher fühlte,
würde es mit seiner Erfahrungsweisheit vor dem Kunst-
werk immer ein wenig dastehen wie einer, der einen
Hasen nach einer Katze beurteilen wollte. Diese Empfin-
dung für Ebenmaß, die für den Künstler das A und das O
ist, so daß er ohne sie mit aller Erfindungskraft nichts zu
schaffen vermöchte, werden wir in primitiver Form
keinem vernünftigen Menschen absprechen können; ohne
sie wäre Kunstgenuß unmöglich, und alle künstlerische
Bildung beruht auf ihrem Vorhandensein. Nur ist sie
zunächst ein rankendes Gewächs der Seele, das der
Stecken bedarf, um überhaupt zu wachsen, und das nur
durch bewußte Pflege mühsam zur. Selbständigkeit
kommt, soweit diese nicht als Teil einer genialen Be-
gabung eine Begnadung darstellt.
Das einfachste Erperiment, vom Laien an sich selber
gemacht, muß ihn überzeugen, welcher Schulung es
bedarf, um nur in den Elementen dieser Empfindung
für Ebenmaß, d. h. harmonisches Verhältnis, sicher zu
sein. Er möge nur einmal versuchen, zu einer beliebigen
Farbe ihr Komplementärverhältnis, die Ergänzungs-
farbe zu finden, von Drei- und Vierklängen der Farbe
nicht zu sprechen, oder auf einer durch eine beliebige
Linie geteilte Fläche die Gegenlinie zu zeichnen, die
das durch die erste Linie bedingte Mißverhältnis wieder
auflöst. Oder, wem solche Experimente nicht liegen,
der mag in den Schriften Dürers und Lionardos lesen,
welche unendliche Mühe selbst diese begnadeten Meister
daransetzten, dem schwankenden Gefühl in den Schwierig-
keiten des Ebenmaßes eine Stützung durch Berechnungen
des Verstandes zu geben. Es kann für niemand fraglich
sein, der in diesen Dingen auch nur die geringste Kenntnis
hat, daß selbst die relative Selbständigkeit in der Empfin-
dung für künstlerisches Ebenmaß, die allein doch ein ab-
solutes Urteil gewährleisten könnte, ein seltenes Geschenk
der Götter ist: bei den Laien, wie bei den Künstlern.
Wir wissen ja alle, daß unter hundert Künstlern zehn
wirkliche Talente und ein Genie schon ein sehr günstiges
Verhältnis darstellen; wenn wir diese immerhin an-
erkannten Stadien der künstlerischen Veranlagung auf

unsere Sache anwenden wollen, können wir dem Genie
allein die absolute Selbständigkeit der Empfindung zu-
sprechen, während sie bei dem Talent nur relativ ist,
d. h. unter der Bedingung ihres Vorhandenseins bei
dem für seine Arbeit als Stecken dienenden Genie.
Das Dichterwort von den Kärrnern, die zu tun haben,
wenn die Könige bauen, will im Bereich der Kunst
nichts anderes besagen als eben dies.
Nehmen wir aber einmal das Ergebnis unserer bis-
herigen Betrachtung als richtig an — und ich sehe keinen
Fehler in der Rechnung —, so haben wir auch schon den
Grund, warum gerade die „Kollegen" in so vielen und
bekannten Fällen die fanatischen Gegner der großen
Neuerer in der Kunst waren, d. h. derjenigen, die sich
gegenüber der künstlerischen Konvention ihrer Aeit
auf ihr angeborenes Gefühl für Ebenmaß verließen und
daraus direkt, d. h. ohne den Umweg über vorhandene
Kunst ihre eigene Anschauung darstellen wollten: Denn
da jene ohne diese Begnadung des Genies künstlerisch
tätig waren, stellten sie, in unserm Vergleich gesprochen,
Nankengewächse dar, die sich natürlich nicht so einfach
von ihrem Stecken zu lösen vermochten. Das bekannte
Wort Lenbachs, der die „Frauen in der Kirche" von
Leibl eine „Auchthausarbeit" nannte, und der
fanatische Impressionist, der die Bilder Böck lins für
„lackiertes Blech" erklärte, dürften schlagende Beweise
für diese Behauptung sein. Und wie wenig es fraglosen
Genies möglich war, sich im Urteil von ihrem eigenen
Stecken abzulösen, dafür gibt uns die Ablehnung unseres
größten tragischen Dichters Kleist durch Goethe ein
grausames Beispiel.
Um nun aber endlich das Ergebnis dieser Betrachtung
auf ihren Ausgangspunkt, das Lachkabinett Hans
Thomascher Bilder anzuwenden, so sehen wir da ein
künstlerisches Gefühl aus dem für absolut gehaltenen Ge-
setzbuch seiner Konvention ein Urteil über ein anderes
fallen, das sich außerhalb dieser Konvention stellte und
eben dadurch ihre absolute Geltung fraglich machte.
Als Hans Thoma in jener rheinländischen Stadt auftrat,
bestimmten dort immer noch die nach dem Rezept der
Holländer genialten Genrebilder oder die historisch ge-
stellten Kostümbilder Gallait-Pilotyscher Richtung die
künstlerische Empfindung; ihr mußten die Figuren des
Schwarzwälders ungelenk und grob und seine Malweise
gegen ihre Geschicklichkeit bis zur Lächerlichkeit unbeholfen
erscheinen. Betrachten wir aber heute das, was von
jener Konvention als gültige Kunst bewundert wurde,
so müssen wir in seiner Unnatur eine verzweifelte Ähn-
lichkeit mit dem ,,cul Us Uuris" bemerken, und es ist
nun wirklich zum Lachen, daß es dem Meister genau so
ging wie den: schlichten Fräulein im Schneiderkleid,
daß er gerade uni seiner Natur willen als unnatürlich
verhöhnt wurde.
Freilich liegt der Fall nicht immer so klar, wenn sich
der künstlerischen Konvention ein Lachkabinett öffnet,
aber daß sie ihre Gewohnheit für den natürlichen, also
absoluten Maßstab hält und damit an jeder Neuerung
zunächst die vermeintliche „Unnatur" herausmißt, das
macht den Pulsschlag zum wenigsten der neueren Kunst-
geschichte aus. Ein zweites Beispiel soll uns Deutschen
noch eine besondere Seite davon deutlich machen:
 
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