Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI issue:
Nr. 12
DOI article:
Bacmeister, Ernst: Das verwandelte All: der Traum eines Erwachten
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0410

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das verwandelte Ml.
Kälter raffte sich Satan zusammen, tauchte den Blick
heroisch durch das eisige, innerste Nichts und richtete ihn
furchtbar gesammelt auf das warme Blühen und Singen.
Aber siehe: hier, in die Gestalt verborgen, floh ihn die
selige Gemeinschaft nicht. Der Baum blühte, der Vogel
sang unbekümmert weiter. Das Lebendige hielt ihm
stand, und nur er selber zerging, wenn er mit stechendem
Blick und Bewußtsein eine der unbewußt verbundenen
Gestalten in äußerste Vereinzelung herauszureißen ver-
suchte. Nur ihm selber verschwand dann die Fülle der
fortbestehenden Wesen und versank nur ihm, mitsamt
dem vereinzelten, in einen letzten krampfhaften Punkt;
wobei sein Ich, das in überstreifender Anschau der Ge-
staltenfülle breit und sicher schwebte, in diesen heraus-
gestochenen Punkt mitverengt, sich nur noch peinlich
über dem Nichts erhielt. Das ausgesonderte Körnchen
Samenstaub in einer Apfelblüte verschlang ihm, mit
entschlossener Pupille angeblickt, nicht nur die Blüte,
den ganzen Baum, den Vogel darauf und den Gesang
des Vogels; sondern es wurde, sein Bewußtsein ins immer
Engere mitziehend, ein gewaltsamer Strudel und ver-
schlang mit der Welt zugleich ihn selbst. Er mußte ab-
lassen, mußte nut dem ohnmächtigen Auge zur Breite
und Vielheit der Welt zurück, die alsobald wieder bunt
und lebendig um ihn aufströmte und sein geweitetes Ich
in schwebender Beschauung sicher über das Nichts hinauf-
trug. Dann blühte wieder brünstig der unbewußte Baum
und sang selig der unbewußte Vogel, und in halbbewußtem
Ungefähr beiden gegenüber stand er, Satan, und brauchte
Trotz, daß er nicht mitblühend und mitsingend sich vollends
an das gläubige Leben verlor. Wieder drang er zu-
blickend ins schwindende Enge und Engste, und wieder
schwang es ihn in die lebendige tragende Breite heraus.
Und immer von neuem so, bis sein Ich, von dem unge-
heuerlichen Tanz zwischen dem verschlingenden Nichts
und dem auflösenden All ermattet, abstand und sich ver-
schleierten Blickes und Bewußtseins gegen die Gefahr
des unentbehrlichen Draußen ein flaues Drinnen und
Beisichselbersein ermittelte.
Also hielt Gott sich vor ihm hinter der Sichtbarkeit
der Welt immer noch unerreichbar verborgen und hatte
die erlittene Vereinzelung durch die List des gemein-
samen Lebens Hintertrieben, mit Hilfe der Engel, die
unter der Dissonanz der Gestaltung durchgeschlüpft
waren und gesichert in tausendfältigen Verstecken ihn,
Satan, den Entfallenen, durch ihren Einklang lockten
und äfften.
Aber mit den, Zerfall in Baum und Vogel und
derengleichen war der geschehene Zwang auf den Un-
sichtbaren auch noch nicht erschöpft. Die in das All
hineingeschrieene Dissonanz drängte auf der Erde über
jene nur scheinbar Einzelnen hinaus mit einer durch-
greifenden Entwicklung, die als deutliches Ziel ein wahr-
haft abgetrenntes und für sich seiendes Wesen versprach.
Und Satan lauerte eifersüchtiger und gespannter, daß
ihm Gott endlich doch bewußt einzeln entgegenträte
und sich ohne Engelumhüllung und harmonisches Getöne,
Blick in Blick, stumm und hart, in reiner, spitzer Jch-Kraft
mit ihm mäße.
„Alles bist du," höhnte er, „nur nicht Ich. Weil du
den Abfall deiner Gläubigen fürchtest! Werde Ich und

versuche, was dir von dem blinden Gefüllsel verbleibt.
Als ich dich gegen das Nichts herbeischrie, sind sie dir in
das Sein nachgestürzt und haben dir dieses elende Leben
und Sterben aufgenötigt. Pfui, daß du dich in solchem
blöden Kreistanz selber zeugen und gebären, fressen,
zeugen, gebären und wieder fressen und wieder zeugen
und gebären mußt, nur damit die verliebten Schwärme
ihr Spiel in dir treiben! Tritt endlich durch sie hindurch
und eigenkräftig vor, daß ich dich Auge in Auge wider
diese brünstige Pest mit mir selber impfe; denn siehe:
mich läuterte die kristallene Kälte des Nichts. Erfahre aus
meinem wissenden Blick auch das Jenseitige von dir.
Vollende dich! Wage — mich!"
Schon erhob sich über das dämmernde, vor sich selber
verschlossene Tier der vom Jnnenlicht des Geistes er-
wachende Mensch. Noch ein Kleines und Gott mußte sich
selber erblicken.
Satan frohlockte: „Heiach! So nah das Ziel? —
Triumph! Durch diese lockere Hülle bricht mir bald der
stechende Strahl, der die Engel verscheucht. Dies ist
Entschleierung. Als Mensch geht mir Gott in die Falle.
Ich wider Ich. Mein wird das All. Ich habe Raum in
mir, es in den Bauch meines Nichts zu stürzen; doch
wie jener Walfisch eine enge Kehle. Durch die Pupille
meines Auges schlinge ich Gott ein, sobald er sich selber
zum blickenden Punkte gespitzt hat!"
Und Satan lagerte sich lüstern um den verheißungs-
vollen Menschen.
Noch gelang es den harmonischen Engeln, durch
dunkle Überströmungen den Ausbruch des selbstbewußten
Geistes zu verhindern. Als Rausch und Reigen, als
religiöse Weihe, Opfergesang und betäubender Kult,
als Musik und Glockengeläute, als Tempel und Theater,
als Kunst und als Brunst, als Familie, Volk und Vater-
land: mit tausend Mitteln der Gemeinschaft hielten sie
den Einzelnen von sich selber ab. Und scheuten kein Opfer
des Lebens: sie schwangen die Banner des Blutes, und
mörderische Kriege schwellten das Meer des Todes:
aber Völker standen einig auf und gingen einig unter.
Sie vermieden nichts wider den Geist: den tiefer stre-
benden Verstand lenkten sie ab auf den flachen Glanz des
Goldes und erfanden das Geschickteste: den Besitz, der
das Denken vom Mein und Dein besessen und staats-
bürgerlich gebunden hält. — Nur daß der Mensch nicht
auf fich selber verfiele und das All ins begriffene Ich end-
gültig zerränne.
„Müht euch nur," spottete siegesgewiß Satan.
„Gott ist auf dem Wege zu sich selbst; ihr haltet ihn nicht
auf. Verfälscht den Geist. Macht den Menschen Herde-
witzig und Habe-klug. Verschiebt ihn aufs moralische
Geleise. Bohrt ihm ein Gewissen. Macht ihn gut und
böse. Schüttet Haß und Liebe. Macht ihn herzlich und
dumm. Hängt euch als üppigste Schleier vor: der
Pfeil ist los und trifft ins Schwarze. Morgen sagt Gott
mit der Zunge eines einsamen Weisen: ich, und stürzt
in — mich."
Wirklich war die Mühe der gemeinsamen Engel um-
sonst. Die Vereinzelung Gottes in die Gestalt erzwang
fich je mehr und mehr die Anerkennung des mitgeborenen
Geistes. Immer näher, immer Heller brannte das selbst-
bewußte Ich durch die Hülle des unbewußten Seins.

Z94
 
Annotationen