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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Lübbecke, Friedrich: Johann Friedrich Städel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0418

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Johann Friedrich Städel.
„hiesiger Handelsmann", macht sich in einer Zeit, der
in Bürgerkreisen das Gefühl sozialer und geistiger Ver-
pflichtung noch unbekannt ist, zum Schöpfer einer
öffentlichen Sammlung erlesenster Kunst-
schatze und einer Bildungsstätte für künst-
lerische Talente, die auch „den Kindern un-
bemittelter Eltern ohne Unterschied des
Geschlechtes und der Religion" unentgeltlich
offen steht.
Nur der Name und die Mittel des Stifters sollen
dem Institute erhalten bleiben — und sein Geist über
ihm walten: der Vaterstadt zur Zierde, der Bürgerschaft
zum Nutzen, der Kunst zum Segen. Alles andere legt
der Greis mit ruhigem Vertrauen in die Hände seiner
Administration, seiner „Vorsteher", wie er sie gerne
nennt. Sie sollen in seinem Geiste, aber folgsam den
Forderungen und Anschauungen ihrer Zeit die Stif-
tung erhalten und fördern. Selbst seinen langjährigen
Dienern Köcher und Jäger solle nicht aus ihrem vorläu-
figen Verbleiben im Dienste des Instituts ein „erwor-
benes Recht auf ihre Lebenszeit" eingeräumt werden, noch
weniger seinem Hause und seiner Sammlung. Auch sie
hätten allein dem großen Gedanken der Förderung des
Institutes zu dienen, vor allem durch Eintausch gegenWert-
volleres. In der Tat befindet sich heute nur noch ein be-
scheidener Rest von den 500 Bildern Städels in der Samm-
lung; an sein schmales Haus am Roßmarkt denkt wohl
keiner der Besucher mehr, wenn sie die Marmortreppe
des palastartigen Museumsbaues am jenseitigen Ufer
des Maines emporsteigen. Gewaltig hat sich die Samm-
lung vermehrt, weniger an Umfang als an Güte. Meister-
werk reiht sich an Meisterwerk, vor allem aus den frühen
und späten niederländischen und italienischen Schulen,
daß das Museum zu den bedeutendsten der ganzen Welt
sich rechnen darf. Als Schwester trat in den letzten Jahren
die Sammlung moderner Meister der Städtischen Galerie
hinzu, für die das Städelsche Institut mitten in: Kriege
einen mächtigen Anbau erstellen ließ. Leider verlang-
samten die Anforderungen der Heeresverwaltung das
Tdmpo der Arbeit in dem letzten Jahre so stark, daß die
geplante Eröffnung zum 2. Dezember dieses Jahres auf
das kommende verschoben werden mußte.
Gar mancher wird nach alledem auch zu der leider
weitverbreiteten Ansicht geneigt sein, daß Städel geradezu
ein amerikanisches Vermögen hinterlassen haben müsse.
Gewiß, die Summe von ungefähr einer Million Gulden
war für die Zeit nach den furchtbaren Verheerungen
der napoleonischen Kriege ein tüchtiger Betrag, den
auch die 1828 an die entfernten Verwandten Städels
zu zahlende Abfindungssumme von etwa 300000 Gulden
durch die Hergabe der inzwischen aufgelaufenen Zinsen
nur unwesentlich schwächte. Man vergesse aber neben
den großen Aufwendungen für die Vermehrung, Leitung
und Unterhaltung der Galerie nicht die Ausgaben für
die Kunstschule des Städelschen Instituts, besonders in
früheren Jahrzehnten. Städel hatte sich in seinem Stif-
tungsbrief nur allgemein für die Förderung künstlerisch
begabter Frankfurter Kinder zu tüchtigen Künstlern und
Baumeistern ausgesprochen, dafür ebenfalls die genauere
Regelung seinen Vorstehern überlassend. Die Berufung
Philipp Veits im Jahre 1830 zum Direktor der Sammlung
und neugegründeten Kunstschule schob für lange Jahre den

Schulbetrieb in den Vordergrund der Bestrebungen des
Instituts. Frankfurt wurde durch die Städelsche Kunst-
schule die Hochburg der deutschen Nazarener und Roman-
tiker, die sie nach Veits Auszug nach Mainz unter Edward
von Steinle gegen die immer stärker wachsende Flut
des Naturalismus bis in die achtziger Jahre als Trutz-
burg behaupteten. Die glänzendsten Namen der deutschen
Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts — um nur
Schwind und Rethel noch neben Veit und Steinle zu
nennen — trugen Städels Ruhm in die Weite und
bestärkten die in seinem Testament ausgesprochenen Ab-
sichten. Auch die kommende Generation der Naturalisten
und Genremaler, vertreten vor allem durch die Cronberg-
Frankfurter Künstlergemeinde (Burger, Viktor Müller,
Scholderer, Burnitz und viele andere), der sich in zwar
nicht direktem Zusammenhänge Thoma, Steinhaufen
und Trübner anschlossen, setzte diese Tradition glücklich
fort, als jüngste Meister einen Altheim und Boehle hervor-
bringend. Doch darf man sich darüber keinem Zweifel
hingeben, daß die Entwicklung der Kunstschule der der
Galerie in den letzten Jahrzehnten nicht Schritt hielt.
Sicherlich liegen die Gründe dafür nicht allein in dem
Schwinden der finanziellen Kraft des Stiftungsver-
mögens, das den Ausbau der Schule und vor allem der
Besoldung der Lehrkräfte nicht im gleichen Ausmaß mit
den staatlichen Akademien zu München, Berlin, Dresden
und Düsseldorf gestattete, sondern sind tiefer in der ver-
änderten Stellung der heutigen Künstlerschaft zu den
offiziellen Kunstschulen zu suchen. Der Bruch schon der
meisten bedeutenden Künstler der letzten Generation mit
den: Akademiebetrieb und der stürmische Kampf der
heutigen tüchtigsten Jugend gegen ihn muß auch dem
Fernerstehenden sagen, daß die Form der Kunstschule,
wie sie sich in der Zeit der Aufklärung in der Mitte des
18. Jahrhunderts herausbildete, nicht mehr den inneren
Gesetzen der Entwicklung gerecht wird. Wie Hans Thoma
es schon vor langen Jahren in die seherischen Worte
kleidete: „Wenn die Malerei einmal aus diesem reinen
Schauen ihren Ursprung nimmt, dann wird sie eine Kunst-
einheit sein, wie sie die Musik ist; wie diese ein Ertönen
der Seele für das Ohr ist, so wird die Malerei ein Schauen
der Seele sein, dem Auge offenbart. Man wird dann
keine Sklavendienste der Darstellung mehr von ihr ver-
langen, man wird sie nicht nach ihrer Naturwahrschein-
lichkeit beurteilen, wie das jetzt noch allgemein geschieht.
Wie die Musik ist sie dann fähig, ihr eigenes Gesetz zu
schaffen, nicht mehr Naturnachahmerin, sondern aus
Seelenvorgängen Schöpferin für die Schönheit, die das
Auge erfassen kann. Dann fallen die Sklavendienste
und Streitfragen über erzählende und rein darstellende
Kunst, über Idealismus und Realismus usw. von selbst
hinweg — über all diesem und über aller Gegenständ-
lichkeit waltet freischaltend die bilderreiche Phantasie —
eine schöpferische geistige Tätigkeit mit den Mitteln der
Malerei, spielend in dem Sinne, wie man von der Musik
sagt, daß sie gespielt wird."
Man wird zugeben müssen, daß zu diesem Programm,
dem heute bereits die beste Jugend anhängt, die Lehr-
pläne der alteingesessenen Kunstschulen wenig passen,
so daß sie von den Stürmern ganz verworfen werden.
Eine neue Gestaltung drängt empor, deren Wur-
zeln tief in die Wandlung unseres ganzen modernen

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