Josef Alfons Wirth.
Fressender Löwe (Rötelzeichnung).
Wirth blieb jedoch nicht mit jener Ausschließlichkeit
Maler, wie manche sich darauf etwas zugute halten, weil
ihre Natur eng ist. Sehr früh regte sich bei ihm das Be-
dürfnis, weiteren Einblick in das geistige Leben der Ge-
schichte und seiner Aeit zu bekommen. Er studierte die
griechischen Tragiker, Shakespeare, Goethe, und bildete
sich an den Werken der Großen sein Kunsturteil. Trotz
einfacher Schulbildung war sein Geist reif zur Auf-
nahme der höchsten Gedanken. Den Dummheiten des
Alltags gewann er ihre lächerliche Seite ab und
entledigte sich ihrer mit überlegencm Spott. Unge-
achtet seines geistigen Dranges blieb er nicht welt-
fremd, vielmehr stellte ihn seine innere Teilnahme am
nationalen Leben, selbst an politischen Dingen, fest auf
den Boden seiner Aeit.
Die Jahre 1908 bis 1911 werden in der Kunst-
geschichte einmal als ein großer Wendepunkt der künst-
lerischen Weltanschauung festgestellt werden. Jn der Tat
hat in diesenJahren das künstlerischeDenken angefangen,
sich aus der geozentrischen Enge des Dogmas der Natur-
formnachbildung herauszuwinden, um sich zum helio-
zentrischen Standpunkt der Vollgültigkeit der abstrakten,
d. h. nicht gegenständlichen Form zu erheben. Daß die
Form, als Ausdruck einer inncren Notwendig-
keit, selbständig wurde, daß ihr Ausdruckswert
nicht mehr zugunsten eines auszuhaltenden
Vergleichs mit einer vorhandenen Naturform
heruntergedrückt und somit vermaterialisiert
wurde, das ist das Entscheidende, was dieser
künstlerische Kritizismus uns gebracht hat, und
uns zur Neueinstellung der Betrachtung solcher
Kunst zwingen wird.
Diese grundstürzenden Anschauungen, hereingeworfen
in die volle Bewegung der herkömmlichen Naturschil-
derung, verursachten natürlich eine Reibung, ja ein
Stocken dort, wo die Jdeen auf fruchtbaren Boden fielen.
Jn Pleuer und Reiniger, in den Künstlern um Graf
Kalckreuth hatte in Stuttgart der Naturalismus mit
Macht gewirkt. Jn koloristischer Verfeinerung feierte
er in Landenberger Triumphe. Die Ausstellungen
seiner Malschule waren in jenen Jahren das Schaustück
der Akademie. Da drangen aber schon die crsten Jnfil-
trationen der neuen Jdeen in die siegessichere Phalanr
des Naturalismus ein. Eine Bewegung, die den grübeln-
den Schweizer Meyer zum Ausgangspunkt hatte, trat
in aller Stille auf. Meycr warb in den Ateliers heimlich
für seine Anschauungen. Diese wandten sich weg von
der brillierenden Oberflächenmalerei und suchten an-
fänglich in der Einsachheit der Linicnführung, überhaupt
in dem Betonen der den Ausdruck steigernden Momente,
die eindringliche Sprache des Gegenstandes zu heben.
Allmählich verinnerlichte sich diese Ausfassung deract,
daß die Übersetzung des äußeren Gegenstandes in inner-
lich geschaute Form so stark wurde, daß das Band, das
die Kunstform mit der Naturform zusammenhielt, brach.
Damit wurde die Form selbständig: ste löste sich vom
Dienst der Naturdarstellung und wurde Ausdruck eines
(Seins) Jnhalts, nach der Wahrheitsgleichung: Jnhalt
— Form. Unter den Anhängern dieser neuen Bewegung
waren Baumeister, Wirth, Schlemmer u. a.
Mit dem Bekenntnis zu dieser künstlerischen Welt-
auffassung war notwendigerweise die Gefolgschaft in
die Lehren der Akademie unvereinbar. Wirth verließ
daher die Schule und setzte seine Studien im Sinne
Fressender Löwe (Rötelzeichnung).
Wirth blieb jedoch nicht mit jener Ausschließlichkeit
Maler, wie manche sich darauf etwas zugute halten, weil
ihre Natur eng ist. Sehr früh regte sich bei ihm das Be-
dürfnis, weiteren Einblick in das geistige Leben der Ge-
schichte und seiner Aeit zu bekommen. Er studierte die
griechischen Tragiker, Shakespeare, Goethe, und bildete
sich an den Werken der Großen sein Kunsturteil. Trotz
einfacher Schulbildung war sein Geist reif zur Auf-
nahme der höchsten Gedanken. Den Dummheiten des
Alltags gewann er ihre lächerliche Seite ab und
entledigte sich ihrer mit überlegencm Spott. Unge-
achtet seines geistigen Dranges blieb er nicht welt-
fremd, vielmehr stellte ihn seine innere Teilnahme am
nationalen Leben, selbst an politischen Dingen, fest auf
den Boden seiner Aeit.
Die Jahre 1908 bis 1911 werden in der Kunst-
geschichte einmal als ein großer Wendepunkt der künst-
lerischen Weltanschauung festgestellt werden. Jn der Tat
hat in diesenJahren das künstlerischeDenken angefangen,
sich aus der geozentrischen Enge des Dogmas der Natur-
formnachbildung herauszuwinden, um sich zum helio-
zentrischen Standpunkt der Vollgültigkeit der abstrakten,
d. h. nicht gegenständlichen Form zu erheben. Daß die
Form, als Ausdruck einer inncren Notwendig-
keit, selbständig wurde, daß ihr Ausdruckswert
nicht mehr zugunsten eines auszuhaltenden
Vergleichs mit einer vorhandenen Naturform
heruntergedrückt und somit vermaterialisiert
wurde, das ist das Entscheidende, was dieser
künstlerische Kritizismus uns gebracht hat, und
uns zur Neueinstellung der Betrachtung solcher
Kunst zwingen wird.
Diese grundstürzenden Anschauungen, hereingeworfen
in die volle Bewegung der herkömmlichen Naturschil-
derung, verursachten natürlich eine Reibung, ja ein
Stocken dort, wo die Jdeen auf fruchtbaren Boden fielen.
Jn Pleuer und Reiniger, in den Künstlern um Graf
Kalckreuth hatte in Stuttgart der Naturalismus mit
Macht gewirkt. Jn koloristischer Verfeinerung feierte
er in Landenberger Triumphe. Die Ausstellungen
seiner Malschule waren in jenen Jahren das Schaustück
der Akademie. Da drangen aber schon die crsten Jnfil-
trationen der neuen Jdeen in die siegessichere Phalanr
des Naturalismus ein. Eine Bewegung, die den grübeln-
den Schweizer Meyer zum Ausgangspunkt hatte, trat
in aller Stille auf. Meycr warb in den Ateliers heimlich
für seine Anschauungen. Diese wandten sich weg von
der brillierenden Oberflächenmalerei und suchten an-
fänglich in der Einsachheit der Linicnführung, überhaupt
in dem Betonen der den Ausdruck steigernden Momente,
die eindringliche Sprache des Gegenstandes zu heben.
Allmählich verinnerlichte sich diese Ausfassung deract,
daß die Übersetzung des äußeren Gegenstandes in inner-
lich geschaute Form so stark wurde, daß das Band, das
die Kunstform mit der Naturform zusammenhielt, brach.
Damit wurde die Form selbständig: ste löste sich vom
Dienst der Naturdarstellung und wurde Ausdruck eines
(Seins) Jnhalts, nach der Wahrheitsgleichung: Jnhalt
— Form. Unter den Anhängern dieser neuen Bewegung
waren Baumeister, Wirth, Schlemmer u. a.
Mit dem Bekenntnis zu dieser künstlerischen Welt-
auffassung war notwendigerweise die Gefolgschaft in
die Lehren der Akademie unvereinbar. Wirth verließ
daher die Schule und setzte seine Studien im Sinne