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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
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Graf, Gottfried: Josef Alfons Wirth
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0053

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seiner neuen Einsichten fort. Jm Winter 1910 ging er
nach Berlin.

Aunächst war es dort der Aoologische Garten, der
Wirth ein reiches und vor allem sein ihm zusagendstes
Arbeitsfeld zuwies. Hier konnte er, bestärkt durch jene
Lehren, seinem Drang nach Ausdruck, unbehindert von
akadem-schen Forderungen, nachgehen. Jn der Tat ge-
hört dieser Abschnitt seines Schaffens zum Reissten und
Geklärtesten, was der Künstler hinterlassen hat. Da sind
Löwen voll Majestät in Haltung, voll Bestialität im
Fressen, voll Kindlichkeit im lappischen Spiel mit den
Kameraden; Jaguare, Panther, Tiger, in heimtückischer
Katzenhaftigkeit am Gitter hinschleichend, von uner-
hörtem Ausdruck, der von einem Einfühlen in das Wesen
der Tiere zeugt, wie es in der neueren schwäbischen Kunst
einzig dasteht. Wie gewaltig hingestemmt steht der Löwe
vor seinem Fraß: man hört das Krachen der Knochen
unter seinen Iähnen, das Schlucken und Verschlingen
und geradezu unheimlich wirkt die Tigerkatze mit den
wildfunkelnden Augen. Von seinem Streben nach Iu-
sammenfassen und Vergrößern der Formen, dem Weg-
lassen von allem nicht zum gewollten Ausdruck Ge-
hörenden, geben außer den monumentalen Löwenköpfen
auch einige Landschaftsblätter von unsagbarer Feinheit
und Poesie AeugniS. Eine Landschaft mit aufgehender
Sonne ist so voll Schönheit, daß man sich vor diesem
reinen Künstlertum beugen muß. — Die Mittel zum
weiteren Aufenthalt in Berlin gingen dem ganz auf sich
selbst gestellten Maler aus. Da er aus seinen Arbeiten
keinen Gewinn zu erzielen vermochte, blieb ihm nichts
anderes übrig, als sich mit praktischer Arbeit wieder auf die
Beine zu helfen. Seine Eingabe um ein ausgesetztes Sti-

pendium blieb trotz seiner erwiesenen Künstlerschaft ohne
Erfolg: ein protegiertes Schultalent schnappte es ihm weg.

Nach langerer Arbeit als Kirchenmaler kam ihm eine
Gelegenheit zugute, nach Jtalien zu kommen. Hatte
er sich schon früh im Kupjerstichkabinett durch strenges
Vergleichen ein sicheres Urteil in der Bewertung alter
Kunst gebildet, so nützte ihn diese propadeutische Übung
erst recht bei der Betrachtung der Kunstschätze Jtaliens.
Seine Studien in den Galerien und Museen in Florenz,
Rom und Neapel, wobei er sich vor allem der ägyp-
tischen, der frühgriechischen und der frühchristlichen
Kunst zuwandte, bestärkten ihn noch mehr in seinem
Streben nach Einfachheit und Strenge des Ausdrucks.

Nach seiner Rückkehr aus Jtalien im Frühjahr 1912
hatten sich die neuen künstlerischen Strömungen auszu-
brciten begonnen. Kandinski machte mit seinen Ver-
öffentlichungen starken Eindruck auf die Jungen, wäh-
rend er von den Alten als „Kannichtski" verlacht wurde.
Kubismus und Futurismus traten auf und setztcn durch
ihre Problematik die Welt in Verblüffung. Auch Stutt-
gart bekam von den neuen Bewegungen zu spüren,
ja in Schlemmers modernem Kunstsalon war das von
der Kritik, zur gegenseitigen Erheiterung, bös mitge-
nommene „Lachkabinett" in den Kunstkreisen das Ge-
spräch des Tages geworden. Wirth nahm an diesen
revolutionären Umtrieben lebhaften Anteil. Durch
manches Ungeklärte hindurch erkannte er doch den Kern
der neuen Bewegung: einer innerlich geschauten Welt in
adäquater Form Ausdruck zu geben. War er aber bisher
noch davon ausgegangen, das Charakteristische aus der
Natur herauszuholen, ihre ausdrucksvolle Physiognomie
aufzusassen und ste mit naturalistischen Mitteln wiederzu-

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