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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
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Graf, Gottfried: Josef Alfons Wirth
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0054

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Josef Mfons Wirth.

geben, so wich er von diesem Weg endgültig ab, und brach
mit der naturalistischen Form vollkommen. Es war dies der
entscheidendste Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung.

Wirth hatte sich in seinem künstlerischen Denken ganz
auf die neuen Anschauungen eingestellt, aber es war ihm
nicht möglich, in der kurzen Aeit eine umfassende Form-
übung darin zu erlangen. Der Mystizismus Meyers,
der auf Baumeister bestimmenden Einfluß hatte, wirkte
auch auf Wirth weiter ein. Die ganze Aartheit seiner
lyrisch-mystischen Veranlagung ward geweckt und fand
Ausdruck in den Blättern mit seltsam visionären Formen.
Oft erinnern sie an Blumcnkelche, an Verschmelzung
von Knabenköpfen mit den Blütenblättern des Jasmins
oder blauer Glockenblumen, oder es sind Liniengefüge,
zart rmd keusch wie Mädchenleiber, die Geister gehen
um die Reiser mondbeglänzter Tannen. Die Iurück-
gezogenheit von allem Lauten und Genialischen, in die
abgründige Stille einer den feinsten Schwingungen
der Sphären nachgebenden Seele, ließ ihn Klänge finden,
deren Geheimnisse uns überschauern. Jn überaus
strenger Selbstkritik vernichtete er jedoch die meisten
dieser Arbeiten, die ihm zur Grundlage größerer Durch-
führung hätten dienen sollen. Was er verschont ließ, das
schloß er fest vor jeder fremden Einsicht ein, aus Furcht,
seine zarte Einbildungskraft könnte entdeckt und verlacht
werden. Erst der Tod hat seine Mappen geöffnet.

Lange konnte ich Wirth dieser Muße nicht erfreuen.
Nach oft tagelangenr Fasten, eingeschlossen in seine
Kammer am „Iavelstein", von deren Fenster er in die
Blütenpracht der Berge und die Mondlichtnebel des
Tales seine ganze Phantasie tauchen konnte, nagte die
Not immer stärker an ihm, so daß er sich endlich enlschließen
mußte, wieder Brot zu verdienen. Kein Mäzen hat sich
seiner angenommen; einer schickte ihm seine Tierstücke
wieder zurück. Wie er wieder hätte für sich arbeiten

können, brach der Krieg aus, und dieser setzte dem in
seinem Jnnern angekündigten Aufstieg zur reinsten
Kunst den derben Stiefel entgegen.

Mit echt vaterlandischer Gesinnung erfüllte Wirth
seine Soldatenpflicht. Bei schwierigen Unternehmungen
trat er stets freiwillig für seine verheirateten Kameraden
ein. Wie aber seine Seele im Grauen des Schlacht-
felds noch ihre Feinfühligkeit bewahrte, davon zeugt sein
letzter Weihnachtsbrief:

,Jn unserem Unterstand", so sthreibt er mir,
„werden jetzt die Kerzen angezündet. Sie sind festlich
weiß. Die Flammen brennen ruhig. Wie ein Blumen-
kelch, dessen zartes sti.les Leben für mich als Kind eine
heiüge Tiefe hatte. Einige Bäumchen stehen dabei.
Ein Theologiestudierender hält eine kurze Andacht ab.
Dann werden Weihnachtslieder gesungen. Draußen
ist es dunkel geworden. Auf der Lauerstellung sieht
man einen schmalen finsteren Streifen Erde, darein
der Regen klatscht. Dahinter steht der Wald mit
seinem starken Duften und Rauschen. Horch! — Mit
verhaltenem Atem vernehme ich den Glockenton
des Ewigen, und ich folge seiner Schwingung, bis
er in weiter Ferne verklingt."

Noch kurz vor der Somme-Schlacht hat er im Schützen-
graben in wenigen Blättern seinen Schwanengesang ge-
dichtet. Himmelswiesen sind es mit den Gestalten seiner
Sehnsucht: zartgliedrige Leiber sonnbeglänzter Mädchen
und Jünglinge, aus Blüten wachsend, auf Blumen-
beeten knieend, vom Winde Gottes getragen. Jhr Dasein
ist Anbetung, Liebe, Glück. Es sind die Geister, mit
denen er teilnehmen wollte an der ertraumten Herrlich-
keit wunschloser Hingabe an die Harmonien des All.

Seine Sehnsucht hat sich erfüllt, und sein Heldentum
im Felde wie in der Kunst wird ihm den Zutritt sichern
zum Angesicht Gottes. f?63jj Gottfried Graf.

Iosef Alfons Wirth.
 
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