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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
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Schürmeyer, Walter: Heinrich Campendonk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0063

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Hemrich Campendonk. Holzschnitt.

Hnnrich Campendonk.

ie Entwicklung Campendonks ist typisch für den
Weg des erpressicnistischen Künstlers der ersten
Generation, die ausgegangen war von dcn Anti-
poden ihrer Begabung. Selten oder vielleicht nie in der
Entwicklungsgeschichte der Kunst hat sich in so wenigen
Jahren eine so völlige Umwalzung der künstlerischen Auf-
fassung vollzogen als in dem ersten Jahrzehnt dieses
Jahrhunderts. Sprunghaft haben sich Stilentwicklungen
überstürzU die in früheren Jahrhunderten ein Menschen-
alter.zur Reife benötigten. Die Verwirrung erreichte
in den östlichen Ländern und besonders in Deutschland
ihren Höhepunkt durch das verspätete Eintreten der
letzten Entwicklungsphase eines absterbenden Stils,
als sich bereits keimhaft die Vorboten einer durchaus
entgegengerichteten Epoche ankündigten. Als die Werke
der französischen Jmpressionisten in Deutschland
bekannt wurden, war in der aufwachsenden Gene-
ration der Boden zur Aufnahme einer neuen Frucht
reif. Und irrtümlich begrüßte man, durch die Brillanz
technischer Reize verführt, das letzte Aufflackern eines
erlöschenden Lichtes als das Morgenrot der neuen Zeit.
Während bei unsern westlichen Nachbarn der Jmpressio-
nismus Aeit gehabt hatte, stch bis zu einem einheitlichen
und organischen Stile zu entwickeln, war er bei den ger-
manischen Völkern nur zu einer unnatürlich im Wachs-
tum beschleunigten Treibhausblüte gediehen, die dem
Vergehen in wenigen Tagen preisgegeben sein mußte.
Die junge Generation des kommenden Stils aber geriet
durch diese Verwirrung in ein Dilemma, das hemmend
auf alle, vernichtend auf die schwächeren Naturen ge-
wirkt hat. Fast ausnahmslos wurden die Künstler, die
berufen waren, einem neuen Stil die Wege zu weisen,

gerade in ihren aufnahmefähigsten Jahren in eine Be-
wegung hineingerissen, die zu ihrer eigentlichen Be-
gabung im starksten Gegensatze stand. Wir stehen heute
der Entwicklung der Dinge noch zu nahe, um die ganze
Größe der Umgestaltung, die eben in ihrem Entstehen
begriffen ist, zu ermessen. Audem haben gerade die
schwachen Naturen und Kompromißler dazu beigetragen,
Übergänge vorzutäuschen, wo Gegensätze stärkster Art
wirksam sind. Es besteht heute kein Aweifel mehr, daß
wir uns an einem der großen Wendepunkte in der Kunst-
entwicklung befinden, wie wir ihn aus der Geschichte
etwa — allerdings in umgekehrter Folge — in dem
Übergang vom romanischen zum gotischen Stile kennen.
Nur ist diesmal der Übergang schneller und die Bruch-
linie schärfer. Die Schnellebigkeit unserer Zeit ist auch
an der Kunst nicht spurlos vorübergegangen.

Das Tempo ist so schnell gewesen, daß wir fast
Iweifel hegen könnten an der Ernsthaftigkeit des Wer-
denden. Und solche Aweifel waren bei dem ersten Auf-
treten der neuen Kunst begreiflich, denn die Kunst, und
vorwicgend die bildende Kunst, schien allein zu stehen
in dem neuen Entwicklungsprozeß. Heute aber sehen wir,
daß nicht nur in den Künsten, wo das gemeinsame Stre-
ben einer ganzen Generation am unverkennbarsten zu
beobachten ist, sondern auf allen Gebieten des geistigen
Schaffens eine Neuorientierung sich vorbereitet. Daß
allemhalben die Symhese dw Analyse avlöst, daß der
Aufbau eines neuen Jdealismus im Werden ist. Ob der
Weltkrieg trotz seiner zahlreichen unerquicklichen Neben-
erscheinungen berufen ist, zu der Verinnerlichung des
Lebens beizutragen und als ein Faktor in dem großen
Neubildungsprozeß gewertet zu werden, das heute

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