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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0093

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in politischer Roman*).

Zwei Jahre vor dcm Kriege ist dieser Rsmiir entstandsn,
in dem Frauen nur als N 'benfiguren auftreten und die eigentliche
Handlung sich zwischen Männern vollzieht, wie es sich für einen
politischen Roman gehört. Denn ein politischer Roman in einem
ganz besonderen Sinne des Wortes ist dieser Napoleon-Roman.
Die Politik spielt nicht beiläufig in eine Romanhandlung hinein,
ist nicht bunter Hintergrund einer Liebesidylle, sondern die Pelitik
in ihren wesentlicben Mäglichkeiten ist der eigentliche Gegenstand
dieses Versuchs, für den wir Mar Ludwig danken müssen, auch
wenn wir am Ende cinsehen, daß er mißlungen ist, mißlingen
mußte.

In das Chaos der Revolution von 1789 führt uns Ludwig ein;
mit cindringlichem Imprcssionismus zeigt er uns die Menschen
dieser Zeit, ihre Stimmungen und Verwirrungen, ihre Leidenschaft
und das Versanden dieser Lcidenschaft. Aus diesem Gewirr von
Trieben und Strebungcn entwickeln sich allmählich feste Gestalten,
die Helden des Romanes, Napoleon und sein Widerspiel Harden-
berg (nicht der Minister, sondern ein erdichteter Sproß dieses Ge-
schlechtes, dcr in Frankreich lebt). Ieder dieser beiden Helden ist
der Vertreter eines politischen Ideals: das der Macht ist durch Na-
poleon dargestellt, der die Schlechtigkeit, Feigheit und Genußsucht
der Menschen als erste Tatsachen in seine Lcbensrechnung stellt
und sie dementsprechend mit Peitsche und Zuckerbrot gcfügig macht
und beherrscht; — das der Freiheit ist in Hardenberg verkörpert,
der an die Freiheät als letztes Ziel der Menschen und an die Güte
als ihrcn letzten Grundtrieb glaubt. Diese beiden Prinzipien dieser
bcidcn Männer stoßen aufeinander und bekämpfen einander ein
langcs, bewegtes Leben hindurch. Zuerst ist Hardenberg Bonapartcs
Freund und Helfer, solange er in ihm den Mann der Freiheit sieht;
als aber Bonaparte Napoleon wird und seine Herrschcrtriebe sich
zeigen, da löst sich Hardenberg in Bitterkeit von ihm und verläßt
Frankreich, das ihm die Freiheit um Genuß des Lebens verkauft
zu haben scheint. Er geht nachDeutschland, und dort, im Rausch der
Befreiungskriege, schcint ihm, am Cnde des Werkcs, das Rcich der
Freiheit zu entstehen, so wie er es in den Stürmen der Revolution
geahnt und in der Reaktion des Kaisertums verloren geglaubt
hatte.

Man sieht deutlich: hier hat cin männlicher Gcist sich um einen
großen epischen Stoff bemüht; viel KLnnen und Wissen ist aufge-
boten — und doch ist der Eindruck am Ende ganz unbefriedigend.
Der Roman zerfällt in einc Rcihe von I ressionen, in denen vicl
von dem Duft der Zeitstimmung aufgef,.cgen ist; einzelne Szenen,
so etwa die Trennung von Napoleon oder die letzte Begegnung
zwischcn Napoleon und Hardenberg, bleiben im Gedächtnis haften,
wcil in ihnen lctzte Mcnschlichkcit wach wird, das Ringen befreun-
detcr Seelen umcinander und das Scheidenmüsscn entgcgcngcsetzter
Naturen; aber im ganzen wird der Roman kcine Einheit, einzelne
Stücke sind gcstaltct, das Ganze ist cin Trümmerfeld; kcine einbeit-
liche Handlung, keine zusammcnfassende Spannung hält die Tcile
zusammcn, däs historische Geschchcn übcrwiegt oft peinlich, der
Zusammenhalt durch die Idee dcs Kampfes zweier politischcr
Wcltanschauungen ist nur gedacht, nicht gestaltet.

Und hier kommen wir eigentlich auf das letzte Gebrechen des
ganzen Buches : mit elcmcntarcr Deutlichkcit zeigt sich die po tische
Unfruchtbarkeit der Politik als solcher. Was in dem Roman wirkt,
weil es dicbterisch gesehen ist und gestaltct werden konnte, ist das
Verhältuis Bonapartes und Hardcnbcrgs als Freunde. Noch die
Gründe ihrer Trennung werden vcrständlich und sind menschlich
ergrcifcnd: der Jdealist trennt sicb, muß sich trennen vom Rea-
listen, der FreiheitsglLubige vom Machtverehrer, der Gütige vom
BLseswitterndcn. Äber der nun beginnende Kampf Hardcnbcrgs
gegen Napoleon, als den Abtrünnigen der Freiheitsidee, ist schief
gcsehen, weil die Frciheitsidee Hardenbergs ganz verschwommen,
unklar, ungreifbar ist und er sich doch im realen, politischen Kampf
dcr gleichen Mittcl bedicnen niüßte wie Bonaparte. Weil der
Dichter sich scheut, dies zuzugestehen, um Hardcnberg als echten
„Idealisten" bcstehen zu lassen, deshalb empfindet der Leser Harden-
berg, besonders im zweiten Teil des Romans, als nur redenden
Schwätzcr und ersi in den anekdotischen Szenen des letzten Wieder-
sehens der alten Freunde erwacht mit der Menschlichkcit der Vor-
gänge unser menschliches Mitgcfühl wieder. Die Grundschwäche
diescs großcn Versuches, dcr unfcrcr aufrichtigen Tcilnahme wert

*) Max Ludwig: Der Kaiser. Derlag Alb. Langen, München.

ist, ist ein Vergreifen im Stoff, besssr noch, ein falsches Abschätzen
der Möglichkeiten des Stoffes — alfo letztlich cin Mangel an Über-
legung und Einsicht.

Mm spricht heut in den Literatenkrcisen vicl von einer Politi-
sierung des Geistes und der Dichtung — nun, dcr rcinste V> rsuch,
die Politik als solcho in Dicbtung anfzulösen, ist von eincm bcdeu-
tenden Menschen schon vor fünf Iahren (der Roman erschien 1912)
mit ehclichem Können und großcr Kraft gemacht worden, und ist
gcscheitert, aus Gründen, die wir zu zeigen snchten. Sollte das die
politisierenden Literatcn nicht etwas zur Bcsinnung mahnen und
ihre Phrasen von !>er Pslitisierung der Dichtung etwas dämpfen?
Äber freilich — wonn wäre ihrer Unwissenheit und Instinktlofigkcit
je zu helfen gewesen? Mar Ludwig abcr sollten die dcutschen öcser
dankbar s: m für seinen Irrtum, der der Jrrtum eines bedeutenden
und begabten Menschen ist, und die jungen Dichter, die wirklichcn
Dicbter, sollten von ihm zu lernen suchen, wie es zu allen Ieiten
die Jingeren von den Alteren zu run pflegten.
f73ü) llr. Werner Mahrholz.

er Busch.

Von Otto Crnst Sutter.

In einem milden, unsagbar gleichmääigen Lickit stehen die
Bäume mit ihrcn schwellenden Kronen. Das Landschafrsbilo gleicbt
ciner matt getöntcn Zeichnung. Die Feldcr baben ikre satten
Farben verloren, und eben das gilt von den Ackern, dem Wald,
den Dächern des Dorfes, das wie ein ruhendcr Ricse am Fuße des
Hügcls lagert.

Am Wegrand träumt cin kleiner Busch mit fein gezabnten
Blättcrn. S> in sti les, unbewegtes Laub füblt sich wobl, so dünkt
mich, in der scltsam 'n, ein wenig wehmütigen Stiminung, tie alle
Dinge umfangen bält. Ich muß den niederen Strauch lauge an-
sehen. Cr bat mir irgend etwas zu sagen Was? Ich koinine nicht
dabinter. Abcr daß er zu inir sprickit, emefinde ich. Alle Sinne
spanne ich an, ihn zu verstehen. Cr wiederholt sciue Worte ....
Sie klingen lcise in mir nacki und gewiiinen scliier so viel Klarlieit,
daß ick, ilires Sinnes gewahr werden kann. Allein, die l> hte Sckiwclle
übersckireiten sie nicku. Ein dünner Scbl, ier verhüllt sie, daß ich wohl
ibre ungefäbren Umrisse zu erkennen vermaz, die Züge ilirer
Körper aber verha rcn im Dunkeln. Ich sck>licße einen Augenblick
die Augen und mühe mich, alles, alles andere zu vergcssen, um den
Weg zur Sprache der Staude zu finden. llmsonst .... Und wie
man trostlose Qual empsindet. wenn einem trotz aller Austrengungen
versagt bleibt, irg 'ndcinen Namen zu nennen, dessen Schristzcichen
man in der Ferne dcr Ennnerung schiminern siebt, so martert mich
die Hilflosiakeit, in der icki vor dem redenden Busch stehe ....
Im Weiterwandcin muß ich zweimal, dreimal cinhalten und nach
dem Strauch zurückselien.-

Nach einer Weile geht ein feiner Regen nieder. Ein wunder-
liches Singen rieselt mit den silbernen Tropfen aus den Hölien zur
Erde herab. Die Landschaft weist jetzt nur nock, blaugraue bclle
und dunlle Töne euf. Das Dorf schmiegt sich nocki inniger an den
Hügel Wer das Lied des Regens verstünde? Der Wunscki, des
Gehcimnisses dieser Musik teilbaftig zu sein, springt in mir auf,
aber ich ackite seiner iiicht, da icki an den Busch denke.

Die Stämme der Bäume beginnen mild zu glänzen. Aus
ibren Kronen lösen sicki erbsengroße, lielle, funkelnde Wasserkugeln
und zerstäuben aus dem Falle zur Erde iu der Luft. Aus dei Gras-
narbe steigen dampsende Nebelchen und verflücbtigen sicb alSbald.

DaS Singen des Negens schwillt an. Dic Tropfen fallcn
dichter, schneller, bestiger.

Hüqel und Dorf verbüllen die Netze, die der Himinel lierab-
sinken läßt Ich versuckie ins klare zu koinineu, ob ich wcitergeben
oder zurückkehren soll. Aber die Worte des Busches, der nun sckwn
weit dabinten ist, klingen nocki iminer in inir nacki. Ich finde keinen
Entscbluß und lasse mich in der Richtung weitertrciben, in dcr ich
seit zwei Stunden uuterwegs bin-

Der Regen bat inäblich nacbgelassen und dann plötzlich auf-
gebört. Irgendwo am Horizont leuchtet durch die Wolken eine
blaue, blaue Ferue. Die Landschaft hat wieder velle Farben,
tausend ineinandcrströmends blaue, rote, gelbe, violette Töne.
Ich bin auf dem Heimweg. Da ist am Feldweg aucki wieder der
Busch niit den fei gezabnten Blättern. Icki rnackic einen Augen-
blick lialt und betracyre sein feuchtes, spiegelndes Laub. Er bleibt
stuinm, ganz stu.nm.... Ganz siumni!
 
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