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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 7/8
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Oswald, Josef: Wilhelm von Humboldt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0161

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Wilhelm von Humboldt.

Gestalten in seine Einsamkeit zu verwandeln. Das er-
innert an seine Bezeichnung der allgemeinsten Aufgabe
der Kunst: „das Wirkliche in ein Bild zu verwandeln".
Doch indem er weiterhin die Kunst die Fertigkeit nennt,
die Einbildungskraft nach Gesetzen produktiv zu machen,
tritt hervor, wieviel ihn von einem Dichter trennte.
Mangel an Lebendigkeit, an ursprünglicher Phantasie,
anderseits seine frühe Willensbeherrschung, die das Feuer
der Leidenschaft, auch wo es aufglühen wollte, dämpfte,
entwickelten das kühle, zu scharfer Beobachtung gerüstete
Wesen des überlegenen Staatsmannes, des feinen und
vorsichtigen Gelehrten.

Dennoch blieb sein wahres Element eine Jnnerlich-
keit, worin sich eine Fülle von Poesie verbarg, z. B. seine
Naturliebe. Der gestirnte Himmel, die wechselnden
Jahreszeiten, Baume, die ihm wie beseelt erschienen,
all das Einfache und Köstliche, das keiner Landschaft
fehlt, sind kennzeichnend dafür. Vollends ein inter-
mittierender Quell, nur in Gesprächen und Briefen ans
Licht tretend, war die Poesie seiner Frauenverehrung.
Sie sammelte ihre Kraft in der Gattenliebe, die als
sein hohes Lied fortklang bis in die Trauer um die Un-
ersetzliche. Wie schemenhaft jedoch der latente Dichter
gegenüber dem schöpferischen wirkt, empfand er, als
er Schillers Würde der Frauen las, worin er wohl seine
eigenste Auffassung wiederfand, doch belebt und be-
slügelt. Mochte er sich frei von Eitelkeit wissen, er ver-
hehlte nicht, gern auf ein weibliches Gemüt Eindruck
gemacht zu haben. Und obwohl im allgemeinen leiden-
schaftslos, entbrannte er einmal in einer Glut, die seines
Herdes Flamme verdunkelte. Kaum etwas in dieser
dämonischen Awischenhandlung, da auf der Höhe seines
Affekts die Frau schon einem andern sich zugewandt
hatte, erinnert an ihn, es sei denn, daß er, wie der
Hebbelsche Herodes, Hingabe mit einer solchen Ent-
äußerung des Jchs ersehnte, die scheinbar erniedrigend
und doch der größten Verehrung würdig sei. Charlotte
Diede, die Empfängerin der Briefe an eine Freundin,
sollte ihm die Erfüllung bringen, allerdings in einer
mcnschlichen Form und einer unsinnlichen Sphäre.
Als Student auf einer Ferienreise war er in sie verliebt
gewesen. Schwere Schicksale trieben sie, den Gesandten
beim Wiener Kongreß um Rat und Beistand zu bitten.
So wurde er die geistige Auflucht, der väterliche Lenker
der Vereinsamten und empfand dabei einen Genuß,
der die zeitraubende Beschäftigung aufwog, indes er
mit seinen Briefen einen Schatz spendete, ihr über alles
teuer, teuer auch seinem Volke, seitdem es zuerst dadurch
einen Einblick in sein Allerheiligstes gewonnen hat.

Alles Poetische war verstrickt in seinen philosophischen
Geist, eins mit ihm in Temperatur und Färbung. Darin
sind Weltweiser und Poet schnurstracks entgegengesetzt,
daß jener, ob auch körperlich jung, im Stimmungsbereich
des Alters wandelt, einem Goethe hingegen noch in
hohen Jahren jugendwarme Lyrik sprießt. Humboldt
hatte sich auf das Alter gefreut — wie hätte Jugend sein
Heimatland sein können! Seine „nüchternste Periode"
endete nach seinem Geständnis mit dem einundzwan-
zigsten Jahre, aber auch darüber hinaus, als Kant ihn
für die Pandekten entschädigte, fragt man sich, ob er
nicht gleichfalls die Jugend nur auf dem Gesicht getragen,

wie er von Friedrich Schlegel bemerkt hat. Dichten lag
ihm ursprünglich fern. Erst nachdem er Schillers Doppel-
seitigkeit kcnncn gelernt hatte, spielte er mit dem Ge-
danken, Ähnliches im kleinen zu erreichen. Der cnt-
schcidende Schritt war die Elegie Rom.

Wcr ahnungSloS das Gcdicht unter seinen Über-
setzungcn fände, könnte glauben, es sei auch eine irgend-
eines Unbekannten, dessen Werk ihn gelockt, wie ihn
viellcicht die noch ungeschriebene Romrhapsodie Childe
Harolds gclockt hätte. Wenn auch in geringerem Grade
als die metrische Anpassung im Agamemnon macht ihn
hier das Reimschema der Stanze ungelenk, während die
früheren Distichen „Jn der Sierra Morena" nicht allein
durch ihre Jdee reizend sind. Jndessen trieb es ihn je
länger je mehr zu den südlichen Strophen; modifizierte
er doch in seinen letzten Jahren den Spruch dahin:
Kein Tag ohne ein Sonett. Wie löst sich das Rätsel?
Er hatte 1796 an Schiller geschrieben, daß ihn die Stanze
und der Rcim überhaupt in eine ganz eigene Bewegung
setze. „Er erweckt meine Phantasie zu einer größeren
Lebhaftigkeit und bringt vorzüglich unmittelbar die
intellektuellen Kräfte in eine gewisse höhere Spannung."
Schon dadurch, daß er immer ausschließlicher dieses
äußerliche Mittel, die latente Poesie in ihm zu gestalten,
aufgeboten hat, erweist sich seine nicht unbeträchtliche
Dichtung als Dilettantismus, allerdings von bedeutend-
stem, aufschlußreichstem Gehalt mit vereinzelt pracht-
voll in Gedanke und Form Ausammenstimmendem.

An der Genialität des Altmeisters gemessen Jkarus-
flüge, entfernten ihn die im Mittelpunkte ihres Humanis-
mus unternommenen Versuche himmelweit von jenem.
Doch auch er war universal. Jetzt die praktische Tätigkeit,
später die sprachwissenschaftliche Forschung bieten sich
zum Vergleich mit den verwandten Leistungen Goethes
dar, und wenn dabei für Humboldt vielleicht überhaupt
ein gewisser Vorrang sich ergibt, so gilt das unstreitig
in seiner Eigenschaft als Staatsmann. Er hatte nicht
nur den größeren und wichtigeren Wirkungskreis, es
eignete ihm auch die Federkraft, womit er seinen Jndi-
vidualismus auf die politische Notwendigkeit einstellte,
welche das Allgemeinwohl gebot. Drei Höhepunkte
ragen auf. Niemals hat die preußische Unterrichtsver-
waltung einen geistvolleren Vorsteher gehabt. Leider
war seine Amtszeit kurz. Sie reichte nicht einmal bis zur
Eröffnung der Berliner Universität, deren Begründung
seine vornehmste Sorge gewesen war. Die folgende
Gesandtenzeit in Qsterreich sah ihn auf jenem „Aenith",
wo er gleichsam als das Werkzeug einer großen geschicht-
lichen Wendung auftrat. (Prag, August 1813.) Schließ-
lich die Ministerstellung zur Lösung der Vcrfassungsfrage
und seine Denkschrift darüber, indes hinter seinem Rücken
die Reaktion ihr Haupt erhob.

^'Es muß eine Naturanlage gewesen sein, was ihn
so hervorragend zu den mannigfachen und verwickelten
Geschäften in Krieg und Frieden befähigte, was zu-
sammen mit den würdigsten Charaktereigenschaften,
mit einem unverdrossenen Arbeiten — „wäre es auch
nur für sich und für die, die einmal künftig ein altes
Archiv durchblättern" — ihm bei Freund und Feind ein
großes Ansehen gab, obwohl er nie an erster, voll ver-
antwortlicher Stelle gestanden hat. Beliebt war er frei-
 
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