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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 7/8
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Widmer, Karl: Johann Peter Hebel und Karlsruhe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0163

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Joharm Peter Hebel und Aarlsruhe.

länder Heimat. Sein Lebenstraum war, einmal als
Landpfarrer in einem freundlichen Dorf oder kleinen
Stadtchen des Markgraflerlandes angestellt zu werden.
Anfangs hat ihn denn auch das Heimweh nach den Bergen
und Wäldern, den Obst- und Weingärten des Wiesen-
tals mächtig ergriffen. So hat er noch jahrelang mit
dem Gedanken gespielt, sich wieder einmal von Karls-
ruhe fort nach einer Stadt des Oberlands versetzen zu
lassen. Aber als sich schließlich eine Gelegenheit bot,
blieb er doch. Er hatte sich mit der Aeit in Karlsruhe
eingelebt und an die Vorteile, die ihm der Aufenthalt
in der Hauptstadt gewährte, zu sehr gewöhnt, um sie
freiwillig wieder aufgeben zu können.

Dieser Vorteile aber waren es mancherlei. Karlsruhe
stand damals in einem intcressanten Aeitpunkt seiner
Entwicklung. Die kleine Markgrasschaft, als deren Resi-
denz es hundert Jahre vorher gegründet worden war,
erweiterte sich unter der Regierung des vortrefflichen
Karl Friedrich zum Großherzog.tum Baden. Damit
vergrößerte sich auch die Hauptstadt Schritt für Schritt.
Jn den Jahren von 1790 bis 1815 stieg die Einwohner-
zahl von 4000 auf 15 000. Eine Stadterweiterung wurde
nötlg, die nach Weinbrenners Plänen eine Jdealstadt
im Sinne jener Ieit schuf. Mit der äußeren Vergröße-
rung wurde auch das Leben in der Stadt reicher. Der
Hof, die Persönlichkeit Karl Friedrichs, die Beziehungen
zu Napoleon, die Vermählung seiner Adoptivtochter
Stefanie Beauharnais mit dem Erbprinzen: das allcs
hob die Bedeutung der Stadt und förderte ihr geistiges
und gesellschaftliches Leben. Die Tätigkeit Weinbrenners
und seiner berühmten Bauschule zog auch viele Fremde
in die Stadt. Auch unter den Beamten und Gelehrten,
die aus allen Teilen des Landes an die erweiterten
staatlichen Anstalten gezogen wurden, fand sich manche
bedeutende Persönlichkeit. Und in der kleinen Stadt
trafen sich die interessanten Menschen leichter und
schlossen sich enger zusammen, als in einer großen Stadt
möglich gewesen wäre. Seit 1808 hatte Karlsruhe auch
ein richtiges Hoftheater. Und in dem Museum, der er-
weiterten Lesegesellschaft, bekam die Stadt einen Mittel-
punkt des gesellschaftlichen LebenS, der damals alle
gebildeten Elemente der Einwohnerschaft vereinigte.

DaS alles hat Hebel miterlebt und auf seine Weise
daran Geschmack gefunden. Jn jüngeren Jahren war
er ein eifriger Besucher des Theaters. Später war er
auch in der Museumskommission tätig und hat der Ge-
sellschaft für ihre festlichen Abende manche poetischen
Beiträge geliefert. Das Wichtigste aber — nicht nur
weil es das stärkste Band wurde, das Hebel an Karls-
ruhe hielt, sondern weil es auch mit seiner Tätigkeit als
Schriftsteller unmittelbar zusammenhängt — ist der
Karlsruher Freundeskreis. Hebel war bekanntlich
Junggeselle, dabei eine durchaus gesellige Natur. Von
angeborener Liebenswürdigkeit, witzig und unterhaltend
im Verkehr, bildete er überall, wo er hinkam, den Mittel-
punkt einer Geselligkeit, deren natürlicher Boden das
Wirtshaus war. Hier, im kleinen Kreis sympathischer
Menschen und verwandter Seelen, beim gemcinsamen
Mittagessen oder abends bei der rauchenden Pfeife
und bei einem guten Glas Wein fühlte er sich am behag-
lichsten. Darum war es für ihn ein großes Glück und

hat ihn am meisten mit seiner Verbannung ins Unter-
land ausgesöhnt, daß er einen solchen Kreis auch in
Karlsruhe fand. Es waren meistens Oberländer, die,
wie er selbst, durch die Vereinigung der Markgraf-
schaften nach Karlsruhe gekommen waren. Sie bildeten
eine förmliche Oberländer Kolonie und Hebel wurde
ihr Haupt, ihr „Stabhalter". Da war die Tischgesell-
schaft beim Kirchenrat Sander, der auch Junggeselle
war und bei dem Hebel in der ersten Ieit zu Mittag aß.
Abends versammelte man sich in dem kleinen Weinhaus
zum Bären, das bis zum Jahre 1815 an der Ecke des
Marktplatzes und der „Langen Straße" stand. Später
zog man das Drechlersche Kaffeehaus in der Langen
Straße vor. Und als das Museum gegründet wurde,
hatte Hebel hier seinen Stammsitz.

Jm allgemeinen machte die Unterhaltung keinen
Anspruch auf hohe geistige Bedeutung. Es waren
natürliche Menschen, die ihre Oberländer Gemütlich-
keit auch in Amt und Würden bewahrt hatten. Lieblings-
thema war das Erzählen von Anekdoten, lustigen Ge-
schichten und Aufschneidereien, wobei einer den andern
zu übertrumpfen suchte. Lange Zeit war das Ratsel-
aufgeben eine förmliche Sucht, worüber sich Hebel in
seinen Briefen selbst lustig macht. Und doch hat eins
diesen harmlosen Unterhaltungen der Tischgesellschaft
unsterbliche Bedeutung verliehen: sie leben fort in
denErzählungendesRheinischenHaussreundes.
Hebel hat zu einem guten Teil den Stoff für seinen
Kalender aus ihnen geschöpft. Und nicht nur im Jnhalt
sondern auch in der Form der Darstellung spiegelt sich
dieser Ausammenhang und zeigt uns die Eigentümlich-
keit von Hebels Erzählerkunst.

Der äußere Anlaß, wie Hebel zum Kalenderschreiben
kam, war der: Damals hatte jedes Ländchen seinen
„privilegierten Landkalender". Das waren richtige
Volksbildungsbücher, aus denen der Bauer und Hand-
werker Unterhaltung und Belehrung schöpfte, wie heute
aus der Aeitung. Der Kalender der Markgrafschaft
Baden-Baden war der Rastatter „Hinkende Bote".
Der von Baden-Durlach war der Karlsruher Land-
kalender. Er erschien im Verlag des Gymnasiums.
So wurde Hebel zuerst wohl als Lehrer am Gymnasium
von der Behörde aufgefordert, am Kalender mitzu-
arbeiten. Seit 1803 — dem gleichen Jahr, in dem auch
die Alemcmnischcn Gedichte erschicnen -— kamen Bei-
träge von ihm; im Jahre 1807 übcrtrug das Konsistorium
die Redaktion ihm allein. Seitdem wurde der Kalender
unter dem neuen Namen „Nheinischer Hauöfreund"
ganz von Hebels Hand geschrieben. So erschien er bis
zum Jahr 1814. Hebel brauchte jetzt einen reichlichen
Stoff, um seinen Kalender zu füllen. Da mußte denn
die Tischgesellschaft namentlich für den belustigenden
und unterhaltenden Teil beisteuern. Vieles ist so aus dem
Mund seiner Freunde und Bekannten in den Kalender
gekommen: ganze Geschichten und einzelne Spaße, die
er dann in seine Erzählungen hinein verflochten hat,
Rätsel und Scherzfragen, die er selbst erfunden hat oder
die ihm die andern zugetragen haben. So ist der Ka-
lender zu einem gewissen Teil ani Wirtstisch und im
Freundeskreis entstanden. Es ist nun Hebels große
Kunst, wie er dabei in seiner Darstellung diesen Ton

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