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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 7/8
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Walser, Robert: Zwei Männer
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Heuss, Theodor: Oberschwäbisches Barock
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0167

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Zwei Männer.

der Dichter von einem Strom des Kleinlichen habe fort-
reißen lassen, und nannte Jhr Buch eine Werkstatt des
Alltäglichen, indem sie bemerkte, daß es ihr fast zu reich
an belangloscn, dagegen an wahrhaft bedeutenden
Gegenständen fast zu arm erscheine. Was sie sagte,
kam mir weder ungerecht noch durchaus richtig geurteilt
vor. Dementsprechend erwiderte ich ihr, daß ein Kunst-
werk gern aus sorgfältig zusammengetragener Mannig-
faltigkeit bestehe. Ebenso glaubte ich äußern zu dürfen,
wie sehr ich an eine Größe im Geringfügigen glaube,
während manches, was groß erschienen sei, sich schon oft
als dürftig und mittelmäßig herausgestellt habe."

Abgesehen von einigen sonstigen flüchtigen Be-
gegnungen, wo sie sich trafen, um die üblichen höflichen
paar Worte miteinander zu wcchseln, kamcn sie sich kaum
noch vor die Augen.

Der Herr hatte ein Schloß in seinen Besitz ge-
bracht, das ehedem der Königin Luise gehörte. Das-
selbe liegt in anmutiger Gegend und enthält allerlei
feine Dinge, u. a. ein drollig-seltsames, zartes, liebes,
mit wundervollen Chinatapeten geschmücktes Tee-
zimmer. Ein hügliger Park umschließt das vormalige
Königinnenheim.

Hier verbrachte er die Aeit teils mit freiem Studium,
ruhiger Weltbetrachtung, andernteils mit beschaulichem
Ergehen in frischer Luft und heiterer Natur. Wisscn-
schaft, Politik und Philosophie, die ihn beschäftigten,
ließen ihn seine Aurückgezogenheit alS etwas durchaus
Lebhaftes empfinden. Dann und wann empfing er
Besuch. Unvermutet kam eines Abcnds der Dichter zu
ihm. Das reizende Herbstwetter war Anlaß, daß fie
spazieren gingen. Eine rundliche waldige Anhöhe bot
ihncn die freundlichste Aussicht dar. Das bescheidene,
sympathische Land lag im kühlen Hauch fast wie lächelnd
vor ihren Augen.

„Könnte ich Jhnen irgendwie nützlich sein?" fragte
der Schloßbcsitzer.

Der andere antwortete: „Jch danke Jhnen, doch
halte ich für überflüssig, mir unter den Arm zu greifen.
Die Welt ist jahrtauscndalt und rcich an unverhoffter
Aussicht. Das Auge blitzt; der muntere Körper steht auf
gesunden Füßcn. Ein redlicher Mensch ist mit dem ihm
gegebenen Geschick vollauf zufrieden, und fröhliche Iu-
versicht verspricht Besseres, als was ich mir durch Empfeh-
lung verschaffen könnte. Nach Jhrer und andercr Leute
Auffassung bin ich vielleicht ein Taugenichts. Es mag
ja sein, daß ich etwas leichtsinnig bin. Dies ist ein Stück
meines Wesens und gewiß nicht das schlechteste. Was ich
ernstlich in Erwägung zog, fleißig zu prüfcn bemüht bin,
mag schließlich einzig meine Sache bleiben. Verübcln
Sie mir nicht, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme.
Seien Sie nur immer sich selber nützlich, denn Sie werden
dies so nötig haben, wie jeder andere, da wir alle ohne
Ausnahme ringen müssen, wobei man es bewenden
lassen kann. Jch sende jeweilen die Seele voraus und
gehe hinter ihr hcr, kenne auf diese Art meine Straße
genau, weiß, wer ich bin und was ich soll, und wenn es
Dinge gibt, worüber man lachcn kann oder irgendwo
ein Hohes vorhanden scin könnte, das jedermannö
tröstlicher Freund ist, so freue ich mich und bin glücklich,
und Sonstiges brauche ich nicht."

Vielleicht benahm sich der vornehme Mann bei dieser
Gelegenheit allzu herablassend, anderseits der Arme
allzu hochfahrcnd. Jedenfalls war etwas Trennendes
zwischen beiden Männern. Trotzdem nahmen sie denk-
bar freundlich Abschied voneinander. Wahrscheinlich
werden sie sich im Leben nie wieder begegnen. Wo-
möglich aber kann ein Aufall sie von neucm zusammen-
führen. Wenn nicht, so gehen sie immerhin, obgleich in
verschiedencm Sinn und gegensätzlichem Geiste, dem-
selbcn Kommenden entgegen. Umschlungen werden
fie von ein und demselben Umfassenden sein. Ein und
dasselbe Awingende wird Druck auf sie ausüben, bis ein
gleiches Befrciendes aus lichtem Himmel niederdringen
und beide aus wirrer Bemühungen Knechtschaft milde
erlösen wird. f782ss

berschwäbisches Barock.

Von Theodor Heuß.

Der alte biedere Geschichtsatlas von F. W. Putzger,
mit dem wir unsere Schulzeit verlebt haben, ist ein
überaus tüchtiges Buch und ich hol ihn mir manchmal
hervor, wenn der historische Bestand der deutfchen
Vaterländer in der vornapoleonischen Aeitperiode fest-
gestellt werden soll. So eine Karte von Baden, Bayern,
Württemberg ist von ciner fabelhaften Ehrlichkeit und
für alle jene zu enipfehlcn, die von der ehrwürdigen
Angestammtheit der mittelstaatlichen Dynastien ihren
Bedarf an Loyalität beziehen . . . doch wir treiben
nicht Politik. Wir wiederholen auf Blatt 35 im besagten
Putzger („Württemberg 1789") die Wanderung dieses
Sommers, die uns zwischcn Ulm, Augsburg und dem
Bodensee zu ungczählten Kirchen, zu verlorenen Stadt-
chen und in brcitgedehnte Klöster führte. Die Fläche der
Karte in diesem Eck ist von einer tollen Farbigkeit. Reich-
lich viel Violett — das sind die geistlichen Gebiete,
allerhand reichsunmittelbare Grafschaft und Ritterschaft,
einige vorderösterreichische Landvogteien, dazwischen
cingesprenkelt das harte Rotbraun der Ueichsstädte.
Jch wciß kcin Gebiet, wo sich die kleinsten und kleinen
Hoheiten bis ans 19. Jahrhundert heran so dicht auf dem
Leib saßen; selbst Franken hatte eincn größeren Stil
der Territorialherrschaften. Awischen den Ieugen dieser
Geschichte wandeln wir nun heute, dankbar und erstaunt.
Erstaunt deshalb, weil nach Volksart und Wirtschaft
dies Land südlich der Donau eine große Einheit dar-
stellt, ein fruchtbares Bauernland, in dem eine fromme
katholische Bevölkerung wohnt, von derber frischer Art,
die paar städtischen Jnseln verschluckt von dem rein land-
wirtschaftlichen, großbäuerlichen Charakter des Gebietes.
Es will nicht recht in den Kopf, wie diese sehr kompakt
erscheinende Masse von Volk und Land in Dutzende
von Hoheiten und Grafschaften zerspalten war.

Das ganze Gebiet kam von 1803 bis 1806 Stück um
Stück zu Württemberg. Es ist schwäbisches Kernland;
aber zu der eigentlichen schwäbischen Geistesgeschichte
hat es wenig beigesteuert. Wieland, der aus der Reichs-
stadt Biberach stammt, ist ein Sonderfall; sein beweg-
licher Witz und gebildeter Rationalismus stehen in der
weiteren Umwelt fremd da. Deutlicher wird die ober-

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