Alfred Lörcher.
auch 'der modernen Bewegung in der plastischen Kunst
zum Verhängnis zu werden scheint.
Wenn man auch nur mit einiger Kenntnis der agyp-
tischen und der aus ihr wachsenden frühgriechischen Kunst
das Ergebnis dessen ziehen will, was die Ausstellungen
der letztenJahre an moderner Bemühung der Bildhauer-
kunst zeigten, so möchte man an der schöpserischen Kraft
unserer Aeit verzweifeln. Wie die Architektur der sieb-
ziger und achtziger Jahre in jedcm Stil bauen konnte,
den ihre Gelehrsamkeit vorbildlich fand, so scheinen auch
die jungen Bildhauer von heute eine Fähigkeit zu all
und jeder Form ihrer Vor-
bilder zu haben, die in allen
Seltsamkeiten eins aufs
peinlichste vermissen laßt,
das Gefühl einer suchenden
eigenen Anschauung, die
schließlich nach der alten
Weisheit letzten Grundes
doch nur die Natur als
Lehrmeisterin haben könnle.
Es ist nun wirklich genug
erläutert worden, daß da-
mit in der plastischen Kunst
kein Abguß der Naturfor-
men als letzte Realität ge-
meint ist, daß Naturstudium
nichts anderes sein kann,
als das Absuchen ihrer Er-
scheinung aus einer be-
stimmten Empfindung und
schließlich auch mit cinem
bestimmt gefühlten Aiel.
Daß einesolche Empfindung
und ein so gefühltes Iiel
heute unter den jungen.
Bildhauern vorhanden sind,
stärker vielleicht als seit
langem, ist, wie gesagt, un-
leugbar. Unc so merkwür-
diger mutet die Abhängig-
keit von früheren Vorbil-
dern an, die sich in gewoll-
ten Absonderlichkeiten ver-
geblich zu befreien sucht,
als ob es tatsachlich an der
Fähigkeit fehle, aus eigener
Empfindung mit der Natur
fertig zu werden.
Wieder einmal bewahrheitet sich das alte Wort
von der Architektur als der Mutter der Künste. Nur
wcnn eine Ieit stark genug ist, aus eigener Empfindung
ihre Bauten zu formcn, gibt sie den einzelnen Künsten
den Rückhalt zur selbständigen Haltung. An solcher
Starke scheint es unserer Ieit zu fehlen; alle die selbst-
bewußten Anläufe sind — mit wenigen Ausnahmen —
wieder in der Sicherheit eines vorhandenen Stiles ge-
endigt; wir bauen heute klassisch, biedermeierlich, zopfig
und barock mit der modernen Nuance, aber wir sind
himmelweit entfernt von einer eigenen Stilform.
Die Empfindung reicht nicht aus zu solcher Leistung
I7S
und darum bleibt — mehr als die andern Künste, weil
sie enger an die Mutter gebunden ist — auch die Bild-
hauerkunst bei allem tapferen Willen eine flackernde
Flammc. So sind, um auch hierfür bei Alfred Lörcher
ein Beispiel zu finden, die vier Reliefs (Abb. 1) in der
Herausarbeitung der körperlichen Form wie in der Ver-
teilung reizende Arbeitcn, in ihrcr Empfindung aber
blcibt eine Hilflosigkeit, die deutlich genug historischen
Anschluß sucht. Das gleiche zeigt sich in den abgebildetcn
Köpfcn. Ebensowohl wie der Bronzekopf (Abb. 3)
die römische Anlehnung, verrät dic Frauenbüfte (Abb. 2)
ihre Herkunft aus der go-
tischen Welt; allein der
Knabenkopf(Abb. 4) hat die
Sicherheit eigener Natur-
anschauung, die auch bei
den Figurcn so angenehni
mitspricht (Abb. 7 u. 8).
Hier bereitet sich tatsäch-
lich jenes bcstimmte Etwas
vor, das auch in der mo-
dernen Baukunst hier und
da Hoffnung gibt, daß sich
doch eine moderne Welt-
anschauung als Stil aus-
zubilden vermöchte. Na-
mentlich die sitzende Figur
(Abb. 7) ist eine reine, vor-
aussetzungslose Arbeit, wah-
rend bei der liegenden Ge-
stalt (Abb. 8) der Archais-
mus schon wieder deutlicher
wird.
Als der Krieg kam, war
Alfred Lörcher Ende der
Dreißiger; er hatte (geb.
30. Juli 1875 in Stuttgart)
auf den Kunstgewerbeschu-
len in Stuttgart und Karls-
ruhe, danach auf der Akade-
mie in München (bci Rue-
man) sein Handwcrk gelernt
und lebtc nun wieder in
seiner Vaterstadt, größerer
Aufträge wartend, an denen
er das Scine zu zeigen
vermöchte. Seitdem steht
er nnn schon im sünften
Jahr als Freiwilliger-Kran-
kenpfleger draußen, und die deutsche Kunst verliert
mehr, als die Krankcnpflege gewinnen kann. Denn
gerade, daß er in der Reihe der modernen Bildhauer
so unauffällig steht wie sein ihni deutlich verwandter
alterer Bruder Karl Albiker, daß er nicht den Abson-
derlichkeiten der erpressionistischen Größen nachläuft,
das macht scinen Wert aus; denn, wie gesagt, die
wirkliche Lehrmcisterin auch unsercr Aeit kann nur die
Natur sein. Jhr scheint Alfred Lörcher >n einigen
Dingen auf eine schlichte Weise nahe gekommcn, die
gerade dadurch bedeutend werden könnte. Denn was
er außerdem vermöchte, d. h. was als Temperament,
auch 'der modernen Bewegung in der plastischen Kunst
zum Verhängnis zu werden scheint.
Wenn man auch nur mit einiger Kenntnis der agyp-
tischen und der aus ihr wachsenden frühgriechischen Kunst
das Ergebnis dessen ziehen will, was die Ausstellungen
der letztenJahre an moderner Bemühung der Bildhauer-
kunst zeigten, so möchte man an der schöpserischen Kraft
unserer Aeit verzweifeln. Wie die Architektur der sieb-
ziger und achtziger Jahre in jedcm Stil bauen konnte,
den ihre Gelehrsamkeit vorbildlich fand, so scheinen auch
die jungen Bildhauer von heute eine Fähigkeit zu all
und jeder Form ihrer Vor-
bilder zu haben, die in allen
Seltsamkeiten eins aufs
peinlichste vermissen laßt,
das Gefühl einer suchenden
eigenen Anschauung, die
schließlich nach der alten
Weisheit letzten Grundes
doch nur die Natur als
Lehrmeisterin haben könnle.
Es ist nun wirklich genug
erläutert worden, daß da-
mit in der plastischen Kunst
kein Abguß der Naturfor-
men als letzte Realität ge-
meint ist, daß Naturstudium
nichts anderes sein kann,
als das Absuchen ihrer Er-
scheinung aus einer be-
stimmten Empfindung und
schließlich auch mit cinem
bestimmt gefühlten Aiel.
Daß einesolche Empfindung
und ein so gefühltes Iiel
heute unter den jungen.
Bildhauern vorhanden sind,
stärker vielleicht als seit
langem, ist, wie gesagt, un-
leugbar. Unc so merkwür-
diger mutet die Abhängig-
keit von früheren Vorbil-
dern an, die sich in gewoll-
ten Absonderlichkeiten ver-
geblich zu befreien sucht,
als ob es tatsachlich an der
Fähigkeit fehle, aus eigener
Empfindung mit der Natur
fertig zu werden.
Wieder einmal bewahrheitet sich das alte Wort
von der Architektur als der Mutter der Künste. Nur
wcnn eine Ieit stark genug ist, aus eigener Empfindung
ihre Bauten zu formcn, gibt sie den einzelnen Künsten
den Rückhalt zur selbständigen Haltung. An solcher
Starke scheint es unserer Ieit zu fehlen; alle die selbst-
bewußten Anläufe sind — mit wenigen Ausnahmen —
wieder in der Sicherheit eines vorhandenen Stiles ge-
endigt; wir bauen heute klassisch, biedermeierlich, zopfig
und barock mit der modernen Nuance, aber wir sind
himmelweit entfernt von einer eigenen Stilform.
Die Empfindung reicht nicht aus zu solcher Leistung
I7S
und darum bleibt — mehr als die andern Künste, weil
sie enger an die Mutter gebunden ist — auch die Bild-
hauerkunst bei allem tapferen Willen eine flackernde
Flammc. So sind, um auch hierfür bei Alfred Lörcher
ein Beispiel zu finden, die vier Reliefs (Abb. 1) in der
Herausarbeitung der körperlichen Form wie in der Ver-
teilung reizende Arbeitcn, in ihrcr Empfindung aber
blcibt eine Hilflosigkeit, die deutlich genug historischen
Anschluß sucht. Das gleiche zeigt sich in den abgebildetcn
Köpfcn. Ebensowohl wie der Bronzekopf (Abb. 3)
die römische Anlehnung, verrät dic Frauenbüfte (Abb. 2)
ihre Herkunft aus der go-
tischen Welt; allein der
Knabenkopf(Abb. 4) hat die
Sicherheit eigener Natur-
anschauung, die auch bei
den Figurcn so angenehni
mitspricht (Abb. 7 u. 8).
Hier bereitet sich tatsäch-
lich jenes bcstimmte Etwas
vor, das auch in der mo-
dernen Baukunst hier und
da Hoffnung gibt, daß sich
doch eine moderne Welt-
anschauung als Stil aus-
zubilden vermöchte. Na-
mentlich die sitzende Figur
(Abb. 7) ist eine reine, vor-
aussetzungslose Arbeit, wah-
rend bei der liegenden Ge-
stalt (Abb. 8) der Archais-
mus schon wieder deutlicher
wird.
Als der Krieg kam, war
Alfred Lörcher Ende der
Dreißiger; er hatte (geb.
30. Juli 1875 in Stuttgart)
auf den Kunstgewerbeschu-
len in Stuttgart und Karls-
ruhe, danach auf der Akade-
mie in München (bci Rue-
man) sein Handwcrk gelernt
und lebtc nun wieder in
seiner Vaterstadt, größerer
Aufträge wartend, an denen
er das Scine zu zeigen
vermöchte. Seitdem steht
er nnn schon im sünften
Jahr als Freiwilliger-Kran-
kenpfleger draußen, und die deutsche Kunst verliert
mehr, als die Krankcnpflege gewinnen kann. Denn
gerade, daß er in der Reihe der modernen Bildhauer
so unauffällig steht wie sein ihni deutlich verwandter
alterer Bruder Karl Albiker, daß er nicht den Abson-
derlichkeiten der erpressionistischen Größen nachläuft,
das macht scinen Wert aus; denn, wie gesagt, die
wirkliche Lehrmcisterin auch unsercr Aeit kann nur die
Natur sein. Jhr scheint Alfred Lörcher >n einigen
Dingen auf eine schlichte Weise nahe gekommcn, die
gerade dadurch bedeutend werden könnte. Denn was
er außerdem vermöchte, d. h. was als Temperament,