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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 9/10
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0220

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Dehmels mit seinen seit Kriegsausknuch entstandenen Versen zu-
sammsnklingen. Dehmel hatte nicht nötig, wie viele der sich am
lautestsn patriotisch Gebärdenden, von heute auf morgen umzu-
lernen und da Hosianna! zu schreien, wo er gestern Kreuzige!
rief. Seine Kriegsgedichte sind nur die organische Entwicklung
längst vorhandener SchLßlinge seiner Kunst, die, wenn auch nicht
in dieser Fülle, schon in frühcren Jahren geblüht und Früchte
getragen hatten. So war auch seine Tat, trotz seiner fünfzig Jahre
freiwillig den feldgrauen Rock anzuziehen, nur die Auswirkung
eines Cmpfindungkompleres, der seit manchem Jahr sich in ihm, je
länger dcsto mehr, herausgebildet hatte. Und wenn uns auch ein
paar Äußcrlichkeiten seines Tuns störten (ÄußerlichkeUen, die wir
in der allgemeinen Cxaltation überscharf Lffentlich an ihm tadelten,
da sie nicht auf die privaten Bezirke beschrünkt blieben, Außer-
lichkeiten, von denen wir nun längst wissen, daß sie mehr einem be-
wußten Beispiel-geben-wollen als persönlichen Schwächen ent-
sprangen): als Ganzes gesehen, gehen Tun und Sein, Handeln
und Dichten, äußere und innere Bereitwilligkeit bei Dehmel zu
einer vorbildhaften Deutschheit zusammen.

Mustert man unter Ausscheidung der früheren Verse, bei
denen man viele liebe alte Bekannte wiederfindet, die Kriegs-
poesie Dehmels, so fällt auf, daß ihm das weitaus Stärkste in den
allerersten Wochen zugeströmt ist. Unter den Gedichten, die Kriegs-
lyrik im engeren Sinne sind, findet sich nichts, was dem „Lied an
alle", dem „Fahnenlied" an Prägnanz, an hinreißendcr Gcwalt
gleichkäme. Wohl aber trifft man auf viel Krampfiges, Gewolltes,
Nüchternes, das aus der Bewußtheit, nicht aus Gefühlstiefen auf-
gestiegen ist. Selbst das persönliche Leid, das ihm der Krieg brachte,
hat Dehmcl keine seiner unvergänglichen lyrischen Gebilde geschenkt.
Die Verse, die dem Andenken seines gefallenen Sohnes gelten,
dem die ganze Sammlung gewidmet ist, wiegen insgesamt das
eine, vor dem Krieg entstandene lyrische Juwel „Cs ist ein Brrmnen,
der heißt Leid" nicht auf; wie auch das einer Melodie Gerhard
Fischers unterlegte „Lied ob die Nacht" nicht an den aus Mozarts
unsterblicher Weise vor dem Krieg herausempfundenen „Chor aller
Seelen" hinanreicht. Von diesen Gedichten stehen über dem
Kriegsgedichtdurchschnitt nur die, welche sich so sehr ins Allge-
meine wenden, daß man sie kaum noch als Kriegsgedichte ansprechen
kann: das mystische, schmerzwollüstige „Gelöbnis" (nach Versen
von Arthur Rimbaud), „Die Verhüllten" mit ihrer vom Kehrreim
immer wieder zerrisscnen Phantastik.

Das Crlebnis draußcn hat dem Dichter, das geht aus diesen
Versen unzweifelhaft hervor, nicht gehalten, was es ihm vcrsprach.
Was die machtvollen August-Evokationen verhießen, ist nicht Cr-
füllung gewordcn. Crlösung, Ichbefreiung, Allverbrüdcrung,
Tatseligkeit ist dem Dichter nicht geworden. Was er, von den August-
HLHen hinabschaucnd, hinabrufend vor sich liegen zu sehen glaubte:
das Land der Lebensverheißung — das hat er, als sein Fuß hinab-
schritt, nicht gefunden. Hätte er es gefunden, wären seine Gedichte
Wirklichkeiten, seine Prophezeiungen Wahrheiten, seine Trämne
Greifbarkeiten geworden: die Verse müßten davon künden, über-
strömen. Die Cnt-Ichung hat der Krieg nicht gebracht. Konnte
er, wie wir heute alle wissen, nicht bringen. Ob dieses Crlebnis
irgendwelche Umschichtungen in dem Dichter Dehmel hervor-
gerufen hat, ob auch er (wo viele Tausende, die von dem Krieg
die Ich-Befreiung erhofften) dem Kriegserlebnis gegenüber aus
einem Paulus zu einem Saulus geworden ist, ob er bewußt mit
seinem Gefühl und den Versbefreiungen dieses Gefühls (im all-
gemeinen und persönlichen Interesse) zurückhält, ob das Erlebnis
nicht mehr in jene Tiefen drang, in denen sich das Schaffen- oder
Nicht-Schaffen-KLnnen entscheidet: darauf bleibt diese als Kriegs-
Brevier daherkommsnde Sammlung die Antwort schuldig. Geben
wird Richard Dehmel sie einmal müssen. Geben wird c« sie auch
dann, wenn er sie nicht gibt. Und eS wird tief bedeutsam sein, wie
diese Antwort ausfällt; wird Tausende erleuchten können, zu sehen,
ob und wie dcr, der mit bewußtem Aufruf seines Selbst und des
Bolkes als Kämpfer mit den Waffen hinauszog, sich draußen, als
er dem Krieg ins Auge sah, gewandelt hat. (811)

Haus Meer a. Rh. Hans Franck.

om sparsamen Bauen,

ein Beitrag zur Siedelungsfragc von Peter Behrens und
H. de Fries. (Verlag der Bauwelt, Berlin.) Eine kühne, in ihrem
Grundvorschlag bedeutende und in vieler Hinsicht anregende
Schrift! Das Problem der Arbeiterwohnung wird darin an den
HLrnern gepackt, nämlich der bitternotwendigen Billigkeit, die
nur ein Cntweder-oder kennt. Das Hindenburgwort vom März

1918: „Am liebsten sähe ich jeden Arbeiter im eigenen Häuschen
mit einem netten Garten, damit er nach der Arbeit auch Freude
am Leben findct", ist an sich der Wunsch eines gütigen Menschen,
dem cin so krasses Ergebnis entgegcnsteht wie diescs, daß in den
oberschlesischen Industrieorten durchschnittlich 70 bis 90 allcr
Fannlien in einem Zimmer wohnen. Denn diesem unheimlichen
und wahrhaft zum Himmel schreienden Mißstand liegt dic grausauie
Tatsache zugrunde, daß der Mietspreis des Hindenburg-Häuschcns
unvereinbar mit dem Durchschnittslohn scheint. Da dieserin Deutsch-
land vor dem Krieg mit 1200 Mk. berechnet wurde, so braucht es
keiner Rechenkünste, um zu begreifen, daß darin der Mietwert
eines eigenen Häuschens nach den bisherigen Baukosten kaum ent-
haltcn sein konnte. Nun hat der Krieg zwar den Arbeitslohn,
aber auch die Baukosten in «ine vorläufig gar nicht berechenbare
Steigerung gebracht. Weder der gute Wille und noch weniger der
gute Geschmack allein vermögen die Frage zu lösen; sie bedarf
grundsätzlicher Entscheidungen, unter denen die Bodenreform
gewiß die allerwichtigste ist.

Freilich dürfte es kaiam möglich sein zu warten, bis diese Walze
ins Rollen kommt; die Überflutung unserer Städte mit den Masscn
der Munitionsarbeiter, mit Kriegsämtern und Lazarettcn, wie sie
der Krieg notwendig mit sich bringen mußte, haben eine nie erlebte
Wohnungsnot veranlaßt, und durch die Sorge für die Kriegsver-
letzten ist die Siedelungsfrage in eine Dringlichkeit gestellt, die keinen
Aufschub erlaubt. Auch bleibt bei der günstigsten LLsung der Boden-
frage noch genug für den Baukünstler zu tun, um aus den Miß-
formen der städtischen Bauweise das zu entwickeln, was für eine
Siedclung paßt.

Bisher hat, bewußt oder nicht, das Landhaus als Vorbild
gedient; und dies ist der erste Dorzug der Behrens-de Friesschen
Schrift, daß sie die llnmöglichkeitklarstellt, hiermitweiterzukommen.
Auch die kleinste Abmessung und die windigste Bauweise können
darin die Billigkeit der Etagenwohnung nicht «rreichen; soll also
für jede Familie ein Häuschen sein, bleibt nichts übrig als das
Reihenhaus, wie wir es in seiner trostlosen Nüchternheit oder in
moderner Verbesserung aus unsern Arbeiterkolonien kennen.
Damit taucht auch schon das Schreckbild jener Häuserreihen auf,
die an der Front unendlich schmaler Gartenstreifen liegen; denn
da um der Straßenbaukosten willen die Häuser so schmal wie mög-
lich gebaut wcrden müssen, als kleinste GartengrLße aber 200 gm
angenommen werden, scheint es keine andere MLglichkeit zu geben,
als das mechanische Nebeneinander solcher Gartenschläuche.

Hier nun greift der Vorschlag ein, der die praktische Bedeutung
der vorliegenden Schrift ausmacht: Indem er die einzelnen Häuser
zu Gruppen zusammenfaßt, bringt er z. B. auf fünf Gartenstreifen
von je 5 m sieben Wohnhäuser untcr, deren jedes sich mit 3,3 m
Anspruch an die Straßenfront begnügt. Durch das Ineinander-
greifen von je zwei Baugruppen, davon die hiurere stets drei und
die vordere vier HLuser unter ein Dach faßt, wcrden die Vorder-
gärten sogar auf je 8,60 n> Breite gebracht, wodurch der Anblick
von der Straße ein geräumiger wird. Welche Folgerungen diese
Anordnung hat und wie sie durch andere Vorschläge unterstützt
wird, um die Anlieger- wie Baukosten auf ein Mindestmaß zu
bringen, das läßt sich ohne Zeichnungen kaum verdeutlichen;
man möge es in der Schrift selber nachprüfen, die hierin ein Muster
von sachlicher Konsequenz ist, wie sie in jeder Cinzelheit auf Erspar-
nis ausgeht, nicht um sich dmnit resigniert abzufinden, sondern
— und dieses erst macht ihren vollen Wert aus — um daraus die
Grundlage für eine neue baukünstlerische Entfaltung zu gewinnen.
Auf den ersten Blick wirkt das Schaubild einer so gebauten Kolonie
auf Seite 76 und 77 der Schrift wie eine Täuschung, so groß und
frei entfaltet sich im Ganzen, was im Einzelnen nur klein sein kann.
Ia, mehr als das, es wird dadurch das Jdealbild einer Siedlung
gegeben, vor dem unsere kostspicligen Villenkolonien ohne weiteres
ännlich werden. Wieder einmal wird dargetan, daß es hier wie
überall nur an der Gesinnung liegt, wenn wir zur anständigen
Haltung kommen wollen.

Natürlich verkennen die Verfasser nicht, daß auch ihr Vor-
schlag einer Siedlung das Etagenhaus weder überflüssig noch ver
werflich macht. So schön sich das Wort vom Hindenburg-Häuschen
anhört, für die Großstadt wird das Etagenhaus die übliche Form
bleiben, und in der Großstadt wird auch künftig cin großer Bruch-
teil der Arbeiter wohnen. Darum berührt es angenehm, wenn die
Schrift auch hierfür eine grundsätzliche Neuerung ankündigt. Freuen
wir uns also auf das Kommcnde, aber nehmen wir zu Herzen,
waS uns mit diesem Beitrag zur Siedlungsfrage geboten wurde;
er dürfte für lange Zeit grundsätzlich und bedeutend bleiben. S.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplar« wird keine Verpflichtung übemommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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