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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 11/12
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Lissauer, Ernst: Neun Gedichte
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Wolfradt, Willi: Ja und Nein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0250

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Neun Gedichte von Ernst Lijsauer.

Jn wüfter Trübsal erkaltet.

Jn wüfter Trübsal erkaltet,

Dumpf lag ich vereist.

O willkommener Tag, da die Seele zuckend
Und donnernd zerreißt. ssich spaltet

Mensch, du schmerzhaft geftauter,

Der kaum noch zu atmen vermocht,

Horche, wie lauter und lauter
Die fteigende Flut in dir pocht.

Schon an dem fleischlichen Leibe
Birst sie den irdischen Saum.

Überströmend treibe

Jch verschäumt in den Raum.

An Gewisse.

Nie seht ihr mich, nie spürt ihr mich,

Verborgen bin ich euch in unsichtbarer Hülle,

So dürftig seid ihr, seid so durchschnittlich,

Jn eurem Dunst ebbt meine Fülle,

Berührend euch versiegt mein Jch.

Erhöhung.

Auf dem Balkon in prallem Mittagschein,

Vor mir die Wand mit lichterlohem Wein,

Jch sitze und ich schaue,

Jch blick' in daS durchsichtig ungeheuer
Weithingeweitet offenbare Blaue,

Die Stirn beseligt ganz von Lust und Feuer.

Da spür' ich, wie das Blut mir heller läuft,

Da werden meine Adern weit,

Jch sühl' mich langen in Unendlichkeit
Und alle Kräste noch gehäuft.

Jch sitz' in blau und blonden Flammen,

Nichts scheint unmöglich, leicht es zu vollenden,

Mein ganzes Wesen fühle ich beisammen,

Vollbringen strömt in Haupt und Händen,

Jch fühl' mich rechts und links vermehrt in Fernen enden.

Allen, mit denen ich lebe.

Allcn, mit denen ich lebe, ift es verhängt:

Wie Fußvolk nach verlorener Schlacht irrt ihr Wescn

zersprengt.

ES wohnt nicht m ihnen beisammen, cs läuft in der

Ieit verstreut, —

Ich aber schwor eö mir zu, vom kreisenden Fieber der

Tage genesen,

Völlig versammeln will ich in mir mein Wesen,

Daß ich ganz in mir wohne,

Wie im Mantel der Glocke Ton über Tone
Wohnt ihr ganzeS Geläut. s822s

und Nein.

Das inbrünfiige, demütige, in sich ruhende Ja
liegt als cin heiliger Glanz über der Ferne, in
die wir Brüder strebcn. Die Welt, in der der Geist sich
kaum anders als durch das kluge Nein der Sonderung,
Ablehnung, Zersetzung legitimieren konnte, bildet nur
noch den Bodensatz in den Gefaßcn der neuen Ahnung.

Das Symbol des Kusses hat daS Symbol des Messers
überwunden. Heiterkeit schwingt sich in stillen Aügen
über die Sprünge des Hohns empor. Hingabe scheint
es uns besser zu wissen als alles Besserwissen. Und
wen es in diese Ferne zieht, der meint, vor allem den
Geist der Negation in sich, im All überwinden zu müssen.
Unsere schönsten Träume weisen uns eine ja-erfüllte Welt.

Nichts könnte es rechtfertigen, solchen Traum durch
Erkenntnis zu verdrängen, als sein innerer Widerspruch,
der sich selbst gegen das Bild seiner Wünsche kehrt.
Der Traum vom Ja spricht Nein, wie jeder Traum,
jede Sehnsucht, jeder Wunsch. Wer den Geist der Ne-
gation überwinden will, beweist, daß er ihm verhaftet
ist, und sei die Form der Uberwindung und Ablehnung
noch so geduldvoll und sanft. Wer Ja sagt, muß auch
Nein sagen. Darin liegt nicht mehr Tragik als in der
Aufeinandergewiesenheit von Rechts und Links. Und
Einsicht will nicht den Blick von jenem fernen Glanze
abziehen, will ihn nur wurzeln lassen: im Kritischen.

Kritik ist praktischer Jdealismus, ist Betätigung,
Fruchtbarmachung der Ahnung. Wer Nein sagt, ver-
teidigt ein Ja, tritt glühender dafür ein, als wer das Ja
nur einfach ausspricht. Er ist Ritter des Ja, wo der
Andere vielleicht sein Diener, vielleicht auch nur sein
Rentner ist. Ablehnen des Einen ist Dankbarkeit gegen
das Andere. Das Mindere loben heißt: das Bessere ver-
raten; kritiklos sein heißt: undankbar sein. Der Geist,
der stets verneint, ist böse, denn jedes Nein bei ihm ist
Lüge. Jedes Nein heuchelt da, ein Ja zu verteidigen,
das aber bei steter Verneinung an anderer Stelle doch
notwendigerweise negiert wird. Nicht weniger böse
ist aber der stets bejahende Mund, dessen jedes Ja ein
soeben gesprochenes Lügen straft. Denn etwas bejahen,
heißt das Gegenteil davon verneinen; wer aber stets be-
jaht, sagt auch zu allem Gegenteil Ja. Von der inneren
Verlogenheit aber abgesehen, ist das stete Ja wie das
stete Nein wider den Geist, denn das Eine bejaht auch
das, was ungeistig ist, das Andere negiert auch das,
ivas geistig ist. Vom Geiste sind nur das kritische Ja
und das kritische Nein. Vom Geist ist nur das Nein-
trächtige Ja, nicht das gutmütig oder gleichgültig
nickende; vom Geiste ist nur das Nein, das sich Ja-besessen
einem Gegenja in den Weg wirft, nicht das schulmeisternde,
nörgelnde. Erst wenn das naive Ja dem mephistophe-
lischen Nein begegnet ist, wird es: Nicht-Nein oder posi-
tives Ja; wird dazu in Verneinung jenes mephistophe-
lischen Stets-Nein. Und erst, wenn das lässige Nem
des heiligen Ja inne geworden ist, wird es kritisches
Nein, wird dazu in Abstoßung des philiströsen Stets-Ja.
Nur das Nein, in dem der Geist der Erzengel wirkt,
nur das Ja, das durch das Fegefeuer der Negation ging,
das heroische Nein und das hymnische Ja allein sind
kritisch-göttlicher Art, zwiefaches Angesicht eines Er-
habenen.

Nur niederes Ja und Nein schließen einander aus;
auf höherer Stufe vermählen sie sich, nur für prinzipielle
Betrachtung noch scheidbar. Augleich bejaht und ver-
neint unser Ja, verneint und bejaht unser Nein. Jeder
Tadel einer Sache ist Lob ihres Widerspiels, jede Ab-
neigung gedeiht auf dem Boden der Sehnsucht. Aller
Spott ist wunschgeboren.
 
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