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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Kolbenheyer, E. G.: Die Kindheit des Parazelsus
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Kolbenheyer, E. G.: Amor Dei
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Kolbenheyer, E. G.: Ahalibama
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0200
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Aus E- G. Kolbenheyers: Die Kindheit des Parazelsus.

ihm zu zeigen, daß er sein Pfund verlottert habe! Vor
einer Woche erst war ein Brief des Bruders Nikolaus
zu ihm gelangt — dessen letzte Weisheit stand wohl nicht
auf dem engbeschriebenen Aettel, und eine Nachricht,
die alle Gelehrten dieser Tage mächtig bewegte, die
Nachricht, daß Mar I. Reuchlin in den Adel, ja zum
Pfalzgrafen ehestens erheben werde, hatte Herrn Diebold
kalt gelassen — aber der Brief war in einem Latein ge-
schrieben, das den Pfleger von Einsiedeln befing wie
Wein, der prickelnd und duftend über die Aunge fließt.
Wer solch ein Latein schrieb, besaß Weihe, für die er
keine außeren Aeichen brauchte. Herr Diebold wußte:
in Basel, selbst im nahen Aürich lasen sie die Alten in
ihrer Sprache, Griechen und Lateiner, und mehr noch,
sie lasen die Heilige Schrift im Urtert. Sie hatten
Schlüssel und brauchten der Pförtner nicht. Allenthalben
in den deutschen Ländern brachen hellsprudelnd die
Quellen eines neuen Wissens aus. Und warum schrieb
ihm Nikolaus de Donis, ihm, dem Prior und Pfleger
von Einsiedeln, der vor der Aeit vermooste? Warum
hatte der weitgereiste, hochgelehrte Mann ihm damals
das Herz erschlossen? Er warb um ihn! Sie wollten,
daß er in ihrem lichten Kreise lebe!

Herr Diebold preßte die Stirn an den Ausguck-
rahmen. Er schämte sich, daß er dem fragenden Bauern
etliche Lateinworte über den Kopf geworfen hatte wie
einen Sack, damit er keine Unwissenheit bemerke. Aber
es war Scham, die eine Morgenröte des Herzens be-
deutet. —

Auch Klaus ließ seinen und des Maultiers Kopf
hängen. Der Propst war einverstanden und damit
konnte sich einer zur Not abfinden. Klaus Weßner
glaubte aber nicht, daß alle Heiligen, die Theo- und
sonstwie hießen, für den Theophrast einstehen werden.
Man wußte, wie teuer eines einzigen der hohen Himmels-
herren Fürbitte kam. Der gemeine geistliche Aehent blieb
noch das wenigste. Klaus zweifelte, daß sein Patkind
diesen ganzen Kreis von Heiligen werde warmhalten
können.

Dennoch wurde der jüngste Hohenheim nach seines
Vaters Willen getauft und Bombast sagte beim Tauf-
schmause, der Kleine heiße Theophrast nach einem ge-
waltigen Beherrscher des Pflanzenreichs, der ein Schüler
des Erzphilosophen Aristoteles gewesen und von Salice-
tus, dem vortrefflichen Heilmeister und Lehrer zu Tü-
bingen, hoch verehrt werde.

Darüber wunderten sich die Ochsner, Schärer und
Weßner neuerdings, denn sie hatten ihresgleichen und
das liebe Weidevieh bisher für die gewaltigsten Be-
herrscher dessen, was aus der Erde grünte, gehalten.

us E.G. Kolbenheyers: AmorDei.

Vor Rembrandts Haus in der Breestraat drän-
gen sich seit einigen Tagen die Kauflustigen.

^, Ein Wust kostbarer Dinge ist auf dem Pflaster hoch
aufgestapelt und darüber wacht der kleine, gelbe Sekre-
tarius mit einer langen Liste. Ausrufer verkünden den
Wert der Gegenstande und die Käufer überbieten ein-
nnder. Die einen steigern den Preis ruhig bis zu der
Höhe, die ihnen noch angemessenen Gewinn sichert, sie

wenden sich kaltblütig zu anderen Gegenständen, wenn
sie von den Liebhabern übertrumpft werden, die voll
Erbitterung und zitterndem Eifer um eine Muschel, eine
Waffe, eine Radierung kämpfen. — Neben dem Sekre-
tarius stehen die Gläubiger und spornen die Eifrigen
durch rasche Aurufe an.

Einige Juden erkennen Baruch — sie weichen scheu
zurück.

De Vries legt seine Hand auf die Schulter des Freun-
des. Sie treten in den Schatten eines Hauses.

Durch das Getümmel verbreitet sich die Nachricht
unter den Juden. Sie zeigen mit Fingern auf den Ge-
ächteten, speien auf den Boden und wenden sich dann
wieder eilig der günstigen Gelegenheit zu.

Da wird die Tür des geplünderten Hauses geöffnet.
Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann tritt aus dem
dunklen Rahmen ins volle Sonnenlicht. Sein Gcsicht ist
schlaff und farblos, er streicht mit einer Hand beschattend
über die faltige Stirne. Er blickt fremd auf das Treiben
zu seinen Füßen. An seiner Brust lehnt ein schlanker,
blondhaariger Knabe, dessen rundes, starkes Kinn an
Saskia van Uhlenburg erinnert.

Rembrandts Lippen schließen sich strenger. Seine
Augen nehmen einen hoheitsvollen Ausdruck an. Das
Geschrei verstummt, aller Blicke ruhen auf dem Gepfän-
deten, der gleichmütig die Torstufen hinabsteigt. Vor
einem Haufen alter Waffen bleiben Vater und Sohn
stehen. Rembrandt hebt einen Helm vom Boden und
erklärt Titus die ziselierte Darstellung auf der silbernen
Rundung. Schließlich setzt er die Wehre auf die blonden
Locken und betrachtet den jugendlichen Kopf mit Wohl-
gefallen. Dann nimmt er den Helm ab und wirft ihn
lässig zu den andern Dingen.

Der kleine Sekretarius hat seine Perücke entblößt und
ist näher getreten.

„Wünscht Jhr die Waffe zurückzuhalten, Herr van
Ryn?"

„Nein — ich danke Jhm für Seine Freundlichkeit."

Erst als Rembrandt in einem Seitengäßchen ver-
schwunden ist, wagen sich die Stimmen der Ausrufer
wieder hervor. —

„Baruch, seht, das ist der Ruhm."

Baruch blickt in die Tür des Rembrandthauses; er
atmet schwer; bei den Worten des Freundes zuckt er
zusammen, als erwache er aus einem Traume.

„Simon, wo lebt der König, der seine Würde an
dieser messen könnte!"

us E. G. Kolbenhcyers:
Ahalibama.

Aur Schusterei gelangte er, als ihn gerade die Bibel
stark beschäftigte, die auch er für eines der merkwürdigsten
Bücher hielt. Er verdankte der Bibel ein Symbol für
daö Ubertriebene und war froh, seine Erkenntnis vom
Urgrunde des Ubels in dieses Aeichen kleiden zu können:
Vor allem waren ihm, dem Manne der Familienüber-
lieferung, die wunderlichen Klangfarben der biblischen
Namen aufgefallen und er hatte erlauscht, daß zwischen
Männer- und^Frauennamen ein gewisser Gegensatz
 
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