Aus E. G. Kolbenheyers: Ahalibamn.
herrsche. Die Männerncimen hatten meist einen guten,
runden Klang. Man denke an Seth, Uz, Bela, Dan, Ger,
Nun, Eri; aber auch Melchisedech, Abimelech, Benjamin
klingen keineswegs übertrieben. Dagegen las W. Tiegel
Frauennamen, die ihn erschütterten und eine große
Achtung vor der Frauenkenntnis biblischer Aeiten ein-
flößten. Er konnte solche Namen niemals sehen, ohne
sie ingrimmig auszustoßen; zum Beispiel: Rehuma!
Mahalath! Debora! Mehetabeel! Delila! Ahinoam!
Hazlelponi! und das Weib Esaus: Ahalibama! Ahali-
bama, welch ein Ungetüm an Übertreibung! Was für
Orgie an Konsonanten und Vokalen! Und wer stand
dahinter? Wer sollte diesen Orchestersturm rechtfertigen?
Das Weib des Esau? Die Kanaaniterin? Die Tochter
des Ana? Die Neffe Aibeons des Heviters? — W. Tiegel
war außer sich vor Entdeckerfreude, als er dies ungeheure
Wort gelesen hatte. Welch ein Kerl mußte Esau gewesen
sein, wenn er solch eine unerhörte Übertreibung ehelichen
konnte, ohne daran zugrunde zu gehen! Das war mehr
als die ein wenig posierte Bewegung, mit der er die Erst-
geburt um das berühmte Linsengericht weggeworfen
hatte.
Wenzel Tiegel war so klug, sein Symbol allein zu
genießen und verdankte ihm deshalb manche Erleichte-
rung. Wenn die Oberfläche seines kleinen, zarten Kör-
pers unter den Erziehungsmaßnahmen der primitiveren
Mutter stellenweise zu einer Art Uberempfindlichkeit
gebracht war, die oft tagelang nachhielt und von einem
lebhaften Farbenspiele begleitet wurde, so konnte er an
dem symbolischen Worte einen eigentümlichen Trost
finden, es gab ihm eine frühreife Uberlegenheit den
rohen Lebensgewalten gegenüber. Hinter Ahalibama
gedeckt, hörte er auch die Empörung seiner Eltern brau-
sen und branden — wie der Marschbewohner hinter
wohlgepflegten Deichen der wütenden See lauscht —
als er am Ende der zweiten Gymnasialklasse seine Ab-
neigung von humanistischer Bildung, schulämtlich be-
zeugt und durch mehrere Professorenkonferenzen be-
glaubigt, den Eltern in ruhiger Haltung vorwies. Und
unter dem Harnisch seines Symbols ging er still in die
Lehre des Meisters Bartholomäus Powondra, der nicht
nur Schuster, sondern auch ein begabter Politiker war.
Wenzel Tiegel begriff sein Handwerk sehr schnell, er
arbeitete flink und willig, so daß der Meister ihn bald
von den mehr familiären Obliegenheiten des Lehrlings
zu den beruflichen beförderte; an ihm konnte man einen
Gesellen sparen. Nur ein Vasallendienst blieb, und
Wenzel Tiegel übte ihn nicht ohne Selbstgefühl aus, da
er die übertragene Bedeutsamkeit des Dienstes erkannte.
Obwohl auf dem Aushängeschild unter dem Namen
des Meisters „Herren-,Damen- und hygienischer Kunden-
schuhmacher" stand und damit geradezu gelehrte Fähig-
keiten der Werkstätte bekanntgegeben wurden, blieb die
Kundschaft recht spärlich, und es mangelte häufig am
Baren. Trotzdem behauptete Bartholomäus Powondra,
und zwar aus sozialen Gründen, zum Mittagessen seine
tägliche Halbe Bier. Während der Familie und dem
Lehrling die berühmte Hochquelle genügen mußte, stand
vor dem Meister das Glaskrügel und die Augen der
Kinder hingen mit ehrfürchtiger Begehrlichkeit an dem
Aeichen der väterlichen Würde und des väterlichen Ver-
dienstes. Wenn Powondra das Krügel ergriff, richtete
er sich ein wenig auf, den Ellbogen hielt er, während
des ersten tiefen Auges, schulterhoch in die Luft und
seine Augenlider waren gesenkt. Es lag über der ganzen
Aeremonie ein Hauch von jener priesterlichen Würde,
die einst in edler Römerzeit den xuter kLmilius schmückte:
Powondra schien im ersten Trunke den Hausgöltern zu
opfern. Und die ganze Familie stand noch unter dem
Schauder der väterlichen Unnahbarkeit, wenn er das
Krügel langsam niedersetzte und mit der Unterlippe
die triefenden Haare des Schnurrbartes einfing, um
innig saugend keinen Tropfen des Trankopfers zu
verlieren.
Der Lehrling mußte aber täglich das Bier holen und
kam eines Tages mit der Schreckenskunde, daß die Halbe
um einen Bierkreuzer erhöht worden sei. Powondra
war kein Geizhals, hier aber fand er etwas angetastet,
das mehr bedeutete als erschwerten Genuß. Die Be-
hörde rührte mit frevlem Finger an unverletzliche Fa-
miliengebräuche und es war noch dazu jene verhaßteste
Behörde. Der Sozialpolitiker wurde in Powondra
mächtig. Er zürnte zunächst dem Wirte, der wahrlich
genug verdiene, er zürnte ferner dem Finanzminister
und zürnte am nachdrücklichsten der auswärtigen Politik
nicht nur Osterreichs, sondern ganz Europas und nament-
lich Englands. Die Rüstungen! Die fürchterlichen
Awanzigtausendtonnenschiffe! Jn seiner Erregung übte
Meister Powondra geradezu Hochverrat, indem er
prophezeite, daß erst dann bessere Aeiten kommen wür-
den, in denen der ehrliche Bürger ruhig und friedvoll
sein Bier genießen könne, wenn diese ganze Halbinsel
Asiens in die vereinigten Staaten von Europa werde
verwandelt sein. Er sähe nicht ein, weshalb so ein
Staatenbündnis nur so kleinweis zustande kommen solle,
wie zum Beispiel in Deutschland oder zwischen Oster-
reich und Ungarn oder wie es in Jtalien geschehen sei.
Aus alledem müsse ein Schritt ins Allgemeinere getan
werden, dann erst würden die Europäer Herren der
ganzen Welt sein, dann erst werde der friedliebende
Bürger endlich sein Bier ohne amtliche Schikane trinken
können. Er schloß in ziemlicher Begeisterung:
„Und da Professionist wird immer sa Bier trinken
und dös wer ma amal segn und die solln si nöt gschpaßn
mit uns, denn wer is denn's Volk? Mir, mir san's
und no amal mir!"
Frau und Kinder waren unter der umwälzenden
Politik des gereizten Familienvaters starr gestanden, auf
Tiegel hatte die Rede einen tiefen Eindruck gemacht, es
hing ihm von seinem Vater her immer noch etwas Be-
wunderung für Rhetorik an. Als aber der Meister schloß
und an diesem denkwürdigen Tage mit trotzig empörter
Miene, hoch aufrechtstehend die Aeremonie des ersten
Iuges vollführte, züngelte im Busen des grüblerischen
Lehrlings der Skeptizismus wie eine jähe Flamme auf.
Er fand, daß der Bierkreuzer in keinem Verhältnisse zu
einem europäischen Umsturze stünde. Allein, sein Blut,
noch ganz im Rhythmus der eben gehörten Rede, stimmte
nicht mit jener zweiflerischen Gedankenkühle, es ver-
langte eine kräftigere Auslösung des gesteigerten Dran-
ges, es stürmte der befreienden Außerung zu, und
Wenzel Tiegel streckte seine geballte Rechte gen Himmel,
herrsche. Die Männerncimen hatten meist einen guten,
runden Klang. Man denke an Seth, Uz, Bela, Dan, Ger,
Nun, Eri; aber auch Melchisedech, Abimelech, Benjamin
klingen keineswegs übertrieben. Dagegen las W. Tiegel
Frauennamen, die ihn erschütterten und eine große
Achtung vor der Frauenkenntnis biblischer Aeiten ein-
flößten. Er konnte solche Namen niemals sehen, ohne
sie ingrimmig auszustoßen; zum Beispiel: Rehuma!
Mahalath! Debora! Mehetabeel! Delila! Ahinoam!
Hazlelponi! und das Weib Esaus: Ahalibama! Ahali-
bama, welch ein Ungetüm an Übertreibung! Was für
Orgie an Konsonanten und Vokalen! Und wer stand
dahinter? Wer sollte diesen Orchestersturm rechtfertigen?
Das Weib des Esau? Die Kanaaniterin? Die Tochter
des Ana? Die Neffe Aibeons des Heviters? — W. Tiegel
war außer sich vor Entdeckerfreude, als er dies ungeheure
Wort gelesen hatte. Welch ein Kerl mußte Esau gewesen
sein, wenn er solch eine unerhörte Übertreibung ehelichen
konnte, ohne daran zugrunde zu gehen! Das war mehr
als die ein wenig posierte Bewegung, mit der er die Erst-
geburt um das berühmte Linsengericht weggeworfen
hatte.
Wenzel Tiegel war so klug, sein Symbol allein zu
genießen und verdankte ihm deshalb manche Erleichte-
rung. Wenn die Oberfläche seines kleinen, zarten Kör-
pers unter den Erziehungsmaßnahmen der primitiveren
Mutter stellenweise zu einer Art Uberempfindlichkeit
gebracht war, die oft tagelang nachhielt und von einem
lebhaften Farbenspiele begleitet wurde, so konnte er an
dem symbolischen Worte einen eigentümlichen Trost
finden, es gab ihm eine frühreife Uberlegenheit den
rohen Lebensgewalten gegenüber. Hinter Ahalibama
gedeckt, hörte er auch die Empörung seiner Eltern brau-
sen und branden — wie der Marschbewohner hinter
wohlgepflegten Deichen der wütenden See lauscht —
als er am Ende der zweiten Gymnasialklasse seine Ab-
neigung von humanistischer Bildung, schulämtlich be-
zeugt und durch mehrere Professorenkonferenzen be-
glaubigt, den Eltern in ruhiger Haltung vorwies. Und
unter dem Harnisch seines Symbols ging er still in die
Lehre des Meisters Bartholomäus Powondra, der nicht
nur Schuster, sondern auch ein begabter Politiker war.
Wenzel Tiegel begriff sein Handwerk sehr schnell, er
arbeitete flink und willig, so daß der Meister ihn bald
von den mehr familiären Obliegenheiten des Lehrlings
zu den beruflichen beförderte; an ihm konnte man einen
Gesellen sparen. Nur ein Vasallendienst blieb, und
Wenzel Tiegel übte ihn nicht ohne Selbstgefühl aus, da
er die übertragene Bedeutsamkeit des Dienstes erkannte.
Obwohl auf dem Aushängeschild unter dem Namen
des Meisters „Herren-,Damen- und hygienischer Kunden-
schuhmacher" stand und damit geradezu gelehrte Fähig-
keiten der Werkstätte bekanntgegeben wurden, blieb die
Kundschaft recht spärlich, und es mangelte häufig am
Baren. Trotzdem behauptete Bartholomäus Powondra,
und zwar aus sozialen Gründen, zum Mittagessen seine
tägliche Halbe Bier. Während der Familie und dem
Lehrling die berühmte Hochquelle genügen mußte, stand
vor dem Meister das Glaskrügel und die Augen der
Kinder hingen mit ehrfürchtiger Begehrlichkeit an dem
Aeichen der väterlichen Würde und des väterlichen Ver-
dienstes. Wenn Powondra das Krügel ergriff, richtete
er sich ein wenig auf, den Ellbogen hielt er, während
des ersten tiefen Auges, schulterhoch in die Luft und
seine Augenlider waren gesenkt. Es lag über der ganzen
Aeremonie ein Hauch von jener priesterlichen Würde,
die einst in edler Römerzeit den xuter kLmilius schmückte:
Powondra schien im ersten Trunke den Hausgöltern zu
opfern. Und die ganze Familie stand noch unter dem
Schauder der väterlichen Unnahbarkeit, wenn er das
Krügel langsam niedersetzte und mit der Unterlippe
die triefenden Haare des Schnurrbartes einfing, um
innig saugend keinen Tropfen des Trankopfers zu
verlieren.
Der Lehrling mußte aber täglich das Bier holen und
kam eines Tages mit der Schreckenskunde, daß die Halbe
um einen Bierkreuzer erhöht worden sei. Powondra
war kein Geizhals, hier aber fand er etwas angetastet,
das mehr bedeutete als erschwerten Genuß. Die Be-
hörde rührte mit frevlem Finger an unverletzliche Fa-
miliengebräuche und es war noch dazu jene verhaßteste
Behörde. Der Sozialpolitiker wurde in Powondra
mächtig. Er zürnte zunächst dem Wirte, der wahrlich
genug verdiene, er zürnte ferner dem Finanzminister
und zürnte am nachdrücklichsten der auswärtigen Politik
nicht nur Osterreichs, sondern ganz Europas und nament-
lich Englands. Die Rüstungen! Die fürchterlichen
Awanzigtausendtonnenschiffe! Jn seiner Erregung übte
Meister Powondra geradezu Hochverrat, indem er
prophezeite, daß erst dann bessere Aeiten kommen wür-
den, in denen der ehrliche Bürger ruhig und friedvoll
sein Bier genießen könne, wenn diese ganze Halbinsel
Asiens in die vereinigten Staaten von Europa werde
verwandelt sein. Er sähe nicht ein, weshalb so ein
Staatenbündnis nur so kleinweis zustande kommen solle,
wie zum Beispiel in Deutschland oder zwischen Oster-
reich und Ungarn oder wie es in Jtalien geschehen sei.
Aus alledem müsse ein Schritt ins Allgemeinere getan
werden, dann erst würden die Europäer Herren der
ganzen Welt sein, dann erst werde der friedliebende
Bürger endlich sein Bier ohne amtliche Schikane trinken
können. Er schloß in ziemlicher Begeisterung:
„Und da Professionist wird immer sa Bier trinken
und dös wer ma amal segn und die solln si nöt gschpaßn
mit uns, denn wer is denn's Volk? Mir, mir san's
und no amal mir!"
Frau und Kinder waren unter der umwälzenden
Politik des gereizten Familienvaters starr gestanden, auf
Tiegel hatte die Rede einen tiefen Eindruck gemacht, es
hing ihm von seinem Vater her immer noch etwas Be-
wunderung für Rhetorik an. Als aber der Meister schloß
und an diesem denkwürdigen Tage mit trotzig empörter
Miene, hoch aufrechtstehend die Aeremonie des ersten
Iuges vollführte, züngelte im Busen des grüblerischen
Lehrlings der Skeptizismus wie eine jähe Flamme auf.
Er fand, daß der Bierkreuzer in keinem Verhältnisse zu
einem europäischen Umsturze stünde. Allein, sein Blut,
noch ganz im Rhythmus der eben gehörten Rede, stimmte
nicht mit jener zweiflerischen Gedankenkühle, es ver-
langte eine kräftigere Auslösung des gesteigerten Dran-
ges, es stürmte der befreienden Außerung zu, und
Wenzel Tiegel streckte seine geballte Rechte gen Himmel,