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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 3
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Doderer, Otto: Emil Strauß: der Mensch in seinen Büchern
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Strauss, Emil: Aus :"Der Spiegel"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0145

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Emil Strauß.

seither von ihm erschienenen sieben Erzählungsbänden
befassen sich mit der Mannwerdung: „Menschenwege",
„Der Engelwirt", „Kreuzungen" und „Hans und Grete".
Die „Menschenwege": zum Teil noch zu studienhaft und
zu umschweifig, aber die letzte der drei Erzählungen
darin eine blaue Blume aus dem brasilianischen Urwald,
überhaucht von einem märchenhaften Aauber. „Der
Engelwirt": schon völlig Profil, knapp Aug i:m Iug die
tragikomische Geschichte eines schwäbischen Bauern, den
das Schicksal erst derb in die Fäuste nehmen muß, bis
es ihn zur Besinnung durchgerüttelt und geläutert hat.
„Kreuzungen": drei eigenwüchsige Menschen, die auf
dem Umweg über die Verquickungen ihre Lebensläufe
gegenseitig zu sich selber kommen, durch den Erzähler mit
einer erquickenden Virtuosität und zurückhaltenden Un-
auffälligkeit geleitet. „Hans und Grete": vier Kleinode
der Novellistik; nur in der vierten Erzählung, „Mara",
die einen Fieberzustand im brasilianischen Hochsommer
schildert, ist vielleicht noch zu viel breiter Anlauf auf der
Erde in dem Übersinnlichen.

Jn der Entstehungszeit mit dem „Engelwirt" zu-
sammenfallend, dem Jnhalt nach aber in die eigene
Kindheit zurückreichend: „Freund Hein", der große
Publikumserfolg für Strauß, ein Schulroman wie
Hermann Hesses „Unterm Rad" und ähnliche Dichtungen
aus den Anfängen des „Jahrhunderts des Kindes".
Eine überempfindsame Knabenseele, die zugrunde geht
unter der „barbarischen Feindseligkeit des Lebens",
beharrlich ergeben in das Unvermeidliche und aus allzu-
großer Gewissenhaftigkeit nicht fähig, dem Elend zu
entschlüpfen. Ein feines, wehmütiges Buch, für den
Dichter fremdartig wegen der lyrischen Offenbarungen
des kindhaften Gemütes in dem robusten Mann.

Nach „Hans und Grete" erschien „Der nackte Mann":
ein historischer Roman aus der Geschichte Pforzheims
in den aufgeregten Aeiten nach dem Augsburger Reli-
gionsfrieden, der Heimatstadt zuliebe und aus Freude
an den kernigen Burschen des ungehobelten mittelalter-
lichen Bürgertums geschrieben, in einzelnen Dessins schön
und frisch, aber in Episoden zerfallend, kein Ganzes,
und zu viel an chronistische Unbeträchtlichkeiten und
Theaterszenen verschwendend.

^ Das jüngste Buch von Emil Strauß, „Der Spiegel"/
erschien 1919: wieder die Geschichte einer Mannwerdung/
indessen einige Stationen hinter Brasilien. Ein Mensch/
der in maßloser Leidenschaftlichkeit den guten und der
Gemeinschast dienenden Menschen in sich sucht und zu
dem opfernden sozialen Christentum gelangt wie Tolstoi.
Die Notwendigkeit für die der eigentlichen Erzählung
vorangeschickte Erzählung ist nicht einzusehen, es sei
denn, daß der Dichter persönlich das Bedürfnis fühlte,
ihr damit eine Beziehung zu sich selbst zu geben.

Awischendurch hat sich Strauß in zwei Dramen fest-
gebissen. Die Tragödie „Don Pedro" hat er nach der
Veröffentlichung mittlerweile noch einmal einer Neu-
bearbeitung unterzogen. Wäre Emil Strauß beispiels-
weise Ernst Hardt, so wäre vielleicht auch ein Theater-
stück daraus geworden. So ist es auch in der zweiten
Fassung zwar nicht schlecht, sogar wuchtig in Einzelnem,

aber kein elementarer Wurf. Das Drama „Hochzeit"
hat ebenfalls geschickte Szenen und poetische Schönheiten,
z. B. die Eingangsszenen und die heidnische Hochzeits-
feier in der Molassesandsteinhöhle am Bodensee, aber
auch es ist kein Werk für die Bühne. Nach dem dritten
Akt stoppt der Motor und läust im vierten und fünften
Akt lahm ab. Strauß ist viel zu ausgeprägter Realist,
um zum Dramatiker das Aeug zu haben. Lärmhafte
Tragik bringt er ebensowenig über sich wie sentimentale
Lyrik. Er ist Epiker. Dem Dramatiker bleibt kein Spiel-
raum zum gemächlichen Nachzeichnen bei seinen klir-
renden Sprüngen von Effekt zu Effekt. Sein Räderwerk
greift ineinander Aahn in Aahn, immer straffer, bis es
in der Schlußkatastrophe zusammenknackt. Es scheint
eine bittere Erfahrung in der Sendung der meisten
Dichter zu sein, daß sie zwar die Umwege des Lebens
überschauen, daß ihnen selbst aber, täppisch wie ein
willenloses Medium, in ihrer Kunst enttäuschungsvolle
Umwege nicht erspart bleiben.

„Der Spiegel".

Von Emil Strauß.

Nacht.

Es ist Nacht.

Hinter mir plappt und knackt und flattert die Flamme
im Ofen, bald wird sie brausen. Draußen ist's still wie
in ciner nächtigen Stadt. Manchmal ein Saugen und
Streifen, ein Schlottern der Fensterläden, ein hastiges
Rumpeln und Poltern des Windes die Straße hinauf,
manchmal ein Sickern, Waschen, Klöpfeln, ganz verdeckt,
als ob am andern Ende des Hauses eine Regenrinne
tröpfle, manchmal ein seltsamer ferner Ruf, als wolle ein
Feuerwächter ganze Gassen zugleich aufwecken, und ich
öffne das Fenster und horche lange hinaus und höre
nichts als das zarte Knistern, mit dem die feinen Regen-
spritzer die Luft zu durchbrechen scheinsn, oder den
taumelnden Drang des Windes, und sehe die Häuser-
flucht mit einem Hauche von Gold aus ferner Laterne
erhellt und die ernsten Schattenreihen der Fenster. Aber
wenn ich wieder sitze und alles wieder still ist, und nur
der Ofcn nun wie ein Gebläse faucht — plötzlich wieder
der ferne Ruf durch die Nacht, unerbittlich wie von einem
Jrren.

Hab ich ihn schon im Schlafe gehört? Hat er mich
geweckt, daß ich ohne weiteres Besinnen aufstand, mein
Feuer machte und mich wie zur Arbeit an den Tisch setzte,
zum Horchen ünd Träumen?

Nun — ich sitze da. Jch bin manchmal von Stimmen
geweckt worden, ich stand nicht auf, machte nicht Feuer,
nicht Licht, blieb aufrecht im Bette sitzen und starrte ins
Dunkel und hvrchte und hörte die Stimme und sah den
Rufer und kam nicht los; aber die Stimme dieses Rufers
ist mir unbekannt. Wenn der Donner mich weckt, so freue
ich mich, daß ich das Gewitter nicht verschlafe; bin ich an
diesem Rufer aufgewacht, so bin ich ihm dankbar für diese
stille Nachtstunde.

Das Haus ist still, ich bin allein, wie wenn ich allein
wäre im stillen Hause. Noch schwingt mir im Ohr, noch
höre ich das Läuten und Klingen der Nacht, dieses leise

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