chicksalswende.
Ein neuerer Schriftsteller sagt einmal: „Wo ein
Weiser zugegen ist, geschieht kein Unglück." Das Wort
ist gut und mag an einer Ieiten Wende stehen. Aber
es gibt noch einen Schritt darüber hinaus. Davon möchte
ich reden.
Vorerst aber gilt es den Weg bis zu diesem Wort
zu begreisen. Rückschauend zu sehen. Au sehen, wie das
Leid — und vorher noch das Unglück, das Schicksal des
Menschen Genoß war (bis auf diesen Tag). Das Grauen
und das Grauensvolle, das Tierische im Menschen, das
den Mitmenschen schlachtet wie Vieh. Jn den großen
Epen der Völker, Religionsepen nicht minder wie rein
literarischen Epen, heult das Grausen und das Ent-
setzen. Jn der Bibel, in Homer, in den altgermanischen
Sagen. Heldentum? Das war auch dabei. Und Größe
steht da oft ragend auf. Aber größer als Heldentum
und Größe ist — „das Furchtbare". Das im Grunde
niemand zu deuten weiß. Die Verwirrungen des Schick-
sals, die den Menschen sinnlos erscheinen mußten. Die
griechischen Tragiker haben versucht, Aipfelchen von
Lösungen zu erfassen. Aber wirkliche Lösungen haben
in allen Aeiten und allen Völkern nur .....tiefst
religiöse Menschen, nur Propheten zu geben vermocht.
Was kann Lösung sein? Entweder ein „Glaube"
oder eine Weisheit. Vielleicht fällt beides in eins. Man
muß mich hier nicht mißverstehen. Wenn ich vom
Glauben spreche, so geschieht das hier nicht im kirchlich-
dogmatischen Sinne, sondern im Sinne des Gerinnens
einer Sehnsucbt (die etwas Fließendes ist) zu einem
gefestigten Sein, der den Winden der Aeit und des
Schicksals standzuhalten meint. Ohne Glauben eristiert
kein Mensch, er sei Atheist oder frommer Mystiker. Keine
Bewegung, sei es die Freiheitsbewegung, sei es die
sozialistische Arbeiterbewegung. Man tut also unrecht,
Glauben als Erlebnis zu bekämpfen. Man bekämpfe
den Glaubenszwang. Das alles aber nur in Parenthese.
Es kommt mir nicht so sehr darauf an, sondern darauf,
wie aus Sehnsucht und Glauben — „das Wunder" not-
wendig erblühen mußte. Man erschrecke nicht: Das
Wunder ist immer dagewesen, ist immer geleugnet und
ebenso so gewiß immer geglaubt worden. Dcnn es ist
lediglich eine innere Realität, ein seelisches Erlebnis,
nichts sichtbar Eristierendes. Das Wunder mußte und
muß immer so gewiß ersehnt, geglaubt und erlebt
werden — als Unglück, Schicksal und Leid bei den
Menschen waren und sind. Bis auf diesen Tag.
Denn was anders bedeutet es, wenn Strindberg,
der die Krise des modernen Menschen vielleicht am
stärksten in seinen Werken darstellt, in seinem Traum-
spiel das Leid und das Leiden der Menschen so unsagbar
bitter zeigt? Was bedeutet es, sage ich, anders, als daß
er eine Erlösung davon erhofft und ersehnt und —
glaubt. Freilich, noch zögert der große Skeptiker mit
dem Glauben, wenn am Schluß des mächtigen Dramas
die „Wand von leidenden Menschengesichtern" im Hinter-
grunde sich aufbaut — aber unter all dem wartet der
Glaube auf Auferstehung. Jch meine es nicht so sehr,
weil des Gottes Jndra Tochter zum Himmel auffährt,
um dem Gotte die Qual der Menschen zu sagen. Jch
meine es noch mehr aus diesem Grunde: Schicksal, Leid
und Leiden wollen die Erlösung. „Weh spricht: vergeh"
sagt Nietzsche.
Leid kann gar nicht auf die Dauer nur passiv sein.
Es wendet sich immer in das Positive - es „will" das
andere Stadium erreichen - „den tiefen Atemzug des
reinen Glücks".
Jst er erreichbar? Das meint der am Anfang an-
geführte Satz, daß, wo ein Weiser zugegen sei^ kein
Unglück geschehen könne. Wir werden' sehen, was
das heißt:
Alle Philosophen und vor allem die Religionsstifter
als die am meisten praktischen Philosophen haben sich
damit abgemüht. Dic alttestamentlichen Propheten, die
indischen Weisen, Christus und abendländische Philo-
sophen seit zweitausend Jahren. Weniger die Dichter,
die darum in ihrem Ethos oft hinter der Religion im
Heidentum stecken blieben. Was mein' ich mit Heidentum?
Wiederum nichts Dogmatisch-Christliches, sondern gnade-
lose Unwissenheit. Und was mein' ich mit Religion?
Nur dies: die Vermenschlichung des Menschen. Wahrlich,
ich bin weit genug, nichts auszuschließen.
Viele haben gemeint, je besser und gerechter der
Staat organisiert sei, desto weniger Leid werde es bei
den Menschen geben. Jn der Tat ist das der Fall,
wenn die bessere Organisation des Staates mit der
inneren Vervollkommnung der Menschen Hand in Hand
geht. Menschliche, ich will sagen, tierische Brutalitäten
der Menschen früherer Jahrhunderte haben aufgehört.
Aber ein völliges Schwinden des Leids und der Leiden
der Menschen haben wir nicht erlebt. Werden wir auch
nicht so schnell erleben. Denn der Mensch leidet mehr
noch an sich selber als an seinen Mitmenschen. Ein
Mensch, der Jnnerlichkeit hat, der tieferes seelisches Leben
hat, leidet notwendig. An so vielem. Er wird glauben,
an der Unzulänglichkeit der Austände, an der Unzu-
länglichkeit der Menschen. Beides ist der Fall. Und
beides muß beseitigt wevden. Die Unzulänglichkeit der
Austände. Und die Unzulänglichkeit der Menschen. Aber
jeder schaue in sich — und das ist das Schwerste, was
zu leisten ist. Denn da sitzt das schmerzlichste Leiden,
das cin jeder sich selber antut.
Die Welt hat Raum zu leben für alle! Für alle zu
leben in Freiheit, Freude und Sättigung des Leibes
und der Seele. Raum für alle! Das muß jedem in die
Ohren geschrien werden, der da meint, cs sei nicht
Raum für alle. Für viele sei nur mangelhafte Wohnung,
nur mangelhaftes Essen da und viele müßten aus-
geschlossen sein von den seelischen und geistigen Gütern
in Kunst und Wissenschaft. Schreit es auch denen in die
Ohren, die da meinen, ein Bekenntnis, eine Welt-
anschauung müsse über die andere herrschen. Und es
„gehe nicht an", daß jeder nach seiner Fasson selig werde.
Jn alledem ist Raum für alle in der Welt: materiell
und räumlich und auch geistig-seelisch. Was da im Wege
steht, ist lediglich die grauensvolle Herrschsucht des
Menschen über den Menschen. Herrschsucht und Bevor-
mundungssucht. Diese zwei schaffen so unendliches Leid
in der Welt. Und darum müssen sie beseitigt werden.
Aber sie sind nicht die einzigen Quellen des Leids. Es
gibt noch andere.
Herrschsucht und Bevormundungssucht sind nicht
Ein neuerer Schriftsteller sagt einmal: „Wo ein
Weiser zugegen ist, geschieht kein Unglück." Das Wort
ist gut und mag an einer Ieiten Wende stehen. Aber
es gibt noch einen Schritt darüber hinaus. Davon möchte
ich reden.
Vorerst aber gilt es den Weg bis zu diesem Wort
zu begreisen. Rückschauend zu sehen. Au sehen, wie das
Leid — und vorher noch das Unglück, das Schicksal des
Menschen Genoß war (bis auf diesen Tag). Das Grauen
und das Grauensvolle, das Tierische im Menschen, das
den Mitmenschen schlachtet wie Vieh. Jn den großen
Epen der Völker, Religionsepen nicht minder wie rein
literarischen Epen, heult das Grausen und das Ent-
setzen. Jn der Bibel, in Homer, in den altgermanischen
Sagen. Heldentum? Das war auch dabei. Und Größe
steht da oft ragend auf. Aber größer als Heldentum
und Größe ist — „das Furchtbare". Das im Grunde
niemand zu deuten weiß. Die Verwirrungen des Schick-
sals, die den Menschen sinnlos erscheinen mußten. Die
griechischen Tragiker haben versucht, Aipfelchen von
Lösungen zu erfassen. Aber wirkliche Lösungen haben
in allen Aeiten und allen Völkern nur .....tiefst
religiöse Menschen, nur Propheten zu geben vermocht.
Was kann Lösung sein? Entweder ein „Glaube"
oder eine Weisheit. Vielleicht fällt beides in eins. Man
muß mich hier nicht mißverstehen. Wenn ich vom
Glauben spreche, so geschieht das hier nicht im kirchlich-
dogmatischen Sinne, sondern im Sinne des Gerinnens
einer Sehnsucbt (die etwas Fließendes ist) zu einem
gefestigten Sein, der den Winden der Aeit und des
Schicksals standzuhalten meint. Ohne Glauben eristiert
kein Mensch, er sei Atheist oder frommer Mystiker. Keine
Bewegung, sei es die Freiheitsbewegung, sei es die
sozialistische Arbeiterbewegung. Man tut also unrecht,
Glauben als Erlebnis zu bekämpfen. Man bekämpfe
den Glaubenszwang. Das alles aber nur in Parenthese.
Es kommt mir nicht so sehr darauf an, sondern darauf,
wie aus Sehnsucht und Glauben — „das Wunder" not-
wendig erblühen mußte. Man erschrecke nicht: Das
Wunder ist immer dagewesen, ist immer geleugnet und
ebenso so gewiß immer geglaubt worden. Dcnn es ist
lediglich eine innere Realität, ein seelisches Erlebnis,
nichts sichtbar Eristierendes. Das Wunder mußte und
muß immer so gewiß ersehnt, geglaubt und erlebt
werden — als Unglück, Schicksal und Leid bei den
Menschen waren und sind. Bis auf diesen Tag.
Denn was anders bedeutet es, wenn Strindberg,
der die Krise des modernen Menschen vielleicht am
stärksten in seinen Werken darstellt, in seinem Traum-
spiel das Leid und das Leiden der Menschen so unsagbar
bitter zeigt? Was bedeutet es, sage ich, anders, als daß
er eine Erlösung davon erhofft und ersehnt und —
glaubt. Freilich, noch zögert der große Skeptiker mit
dem Glauben, wenn am Schluß des mächtigen Dramas
die „Wand von leidenden Menschengesichtern" im Hinter-
grunde sich aufbaut — aber unter all dem wartet der
Glaube auf Auferstehung. Jch meine es nicht so sehr,
weil des Gottes Jndra Tochter zum Himmel auffährt,
um dem Gotte die Qual der Menschen zu sagen. Jch
meine es noch mehr aus diesem Grunde: Schicksal, Leid
und Leiden wollen die Erlösung. „Weh spricht: vergeh"
sagt Nietzsche.
Leid kann gar nicht auf die Dauer nur passiv sein.
Es wendet sich immer in das Positive - es „will" das
andere Stadium erreichen - „den tiefen Atemzug des
reinen Glücks".
Jst er erreichbar? Das meint der am Anfang an-
geführte Satz, daß, wo ein Weiser zugegen sei^ kein
Unglück geschehen könne. Wir werden' sehen, was
das heißt:
Alle Philosophen und vor allem die Religionsstifter
als die am meisten praktischen Philosophen haben sich
damit abgemüht. Dic alttestamentlichen Propheten, die
indischen Weisen, Christus und abendländische Philo-
sophen seit zweitausend Jahren. Weniger die Dichter,
die darum in ihrem Ethos oft hinter der Religion im
Heidentum stecken blieben. Was mein' ich mit Heidentum?
Wiederum nichts Dogmatisch-Christliches, sondern gnade-
lose Unwissenheit. Und was mein' ich mit Religion?
Nur dies: die Vermenschlichung des Menschen. Wahrlich,
ich bin weit genug, nichts auszuschließen.
Viele haben gemeint, je besser und gerechter der
Staat organisiert sei, desto weniger Leid werde es bei
den Menschen geben. Jn der Tat ist das der Fall,
wenn die bessere Organisation des Staates mit der
inneren Vervollkommnung der Menschen Hand in Hand
geht. Menschliche, ich will sagen, tierische Brutalitäten
der Menschen früherer Jahrhunderte haben aufgehört.
Aber ein völliges Schwinden des Leids und der Leiden
der Menschen haben wir nicht erlebt. Werden wir auch
nicht so schnell erleben. Denn der Mensch leidet mehr
noch an sich selber als an seinen Mitmenschen. Ein
Mensch, der Jnnerlichkeit hat, der tieferes seelisches Leben
hat, leidet notwendig. An so vielem. Er wird glauben,
an der Unzulänglichkeit der Austände, an der Unzu-
länglichkeit der Menschen. Beides ist der Fall. Und
beides muß beseitigt wevden. Die Unzulänglichkeit der
Austände. Und die Unzulänglichkeit der Menschen. Aber
jeder schaue in sich — und das ist das Schwerste, was
zu leisten ist. Denn da sitzt das schmerzlichste Leiden,
das cin jeder sich selber antut.
Die Welt hat Raum zu leben für alle! Für alle zu
leben in Freiheit, Freude und Sättigung des Leibes
und der Seele. Raum für alle! Das muß jedem in die
Ohren geschrien werden, der da meint, cs sei nicht
Raum für alle. Für viele sei nur mangelhafte Wohnung,
nur mangelhaftes Essen da und viele müßten aus-
geschlossen sein von den seelischen und geistigen Gütern
in Kunst und Wissenschaft. Schreit es auch denen in die
Ohren, die da meinen, ein Bekenntnis, eine Welt-
anschauung müsse über die andere herrschen. Und es
„gehe nicht an", daß jeder nach seiner Fasson selig werde.
Jn alledem ist Raum für alle in der Welt: materiell
und räumlich und auch geistig-seelisch. Was da im Wege
steht, ist lediglich die grauensvolle Herrschsucht des
Menschen über den Menschen. Herrschsucht und Bevor-
mundungssucht. Diese zwei schaffen so unendliches Leid
in der Welt. Und darum müssen sie beseitigt werden.
Aber sie sind nicht die einzigen Quellen des Leids. Es
gibt noch andere.
Herrschsucht und Bevormundungssucht sind nicht