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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 2
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Röttger, Karl: Schicksalswende
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Raffauf, Irmgard: Um Heliant
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0112

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Auf cine kurze Formel gebracht: Jch sprach von all
den im Menschen liegenden schöpferischen Kraften. Und
davon wäre noch viel wohl zu reden. Was das für Kräfte
seien. Sie sind noch wenig oder kaum gesehen worden.
Denn es ist ein großes und neues Lied vom Menschen,
das da anhebt.

Düsseldorf. Karl Röttger.

Heliant. Von Jrmgard Raffauf.

G" Heute.

Jmmer schöner seh ich dich, Erde.

Immer tiefer erkenne ich dich.

Und immer fester würat mich
die alleszermalmende Geduld.

Aus wunderblauer Unendlichkeit
reicht der Strom in unser Tal —
und die ferne Wintersonne
überwellt ihn rosig.

Ein glänzend braunes Flitzeboot
durchschaukelt jagend unfaßlichen Duft.

Froher Fahrer in ursiiller Pracht

bist auch du — blind? Dein Geist — vernarrt?

Volk.

Wir neigen dir zu, Held.

Wir erahnen dich, Befreiter.

Aus O.ual und Pein preßt
sich die Sehnsucht empor.

Reineres Verlangen späht auf.

Wann, ach wann gibst du
unserm Stottern Worte,
wann unserm Jrren Aiel,
unserm Stammeln Gehalt,
und unser Tun in Segen.

Erde saust durch ewige Stille.

Ewiger Antwort voll
schweigen die Bäume.

Herz, ruhe nicht.

Lied des Taubers.

Urgut, du wonnesames Lied!

Aus allcm Leid und aller Qual
tönst du leise vor,
und dcn gewaltigen Reigen
führt dein Rhythmus an.

Urgut, in dir ruht der Wille der Welt;
nach jedem machtvollen Wachstum
gleitet alles zurück in den Anfang,

Urgut ist aller Beginn.

Gut ist der steigende Tag,

Gut ist der treibende Frühling,

Urgut ist allc Empfängnis und Frucht.
Urgut, in dir ruht das Gebet.

Die Laft.

Unser aller Wege sind gleich lang.

Der eine erreicht sich mühscliger,

der andere beglückter,

der dritte spürt fast nichts;

Ob wir mit zwanzig sterben
oder mit sechzig Jahren —
unser aller Wege sind gleich lang,
denn wir alle sehen nicht
das Aiel, in dem wir sterben.

Vor Winter.

Wie gellende Fanfare

bricht unsre letzte Jnbrunst hoch.

Was Saat und Sommer nicht gelöscht,
unser inniges Treiben
Vor Lebensausgang
ruft, brennt.

Gläubig verhaltenes Wüten
durchbrannte heiligen Kelch,
flammt hoch, prasselnd
ergießt sich tosende Wucht,
letztes, höchstes Verlangen.

Der eine, der letzte Wunsch
zersprengt die schweigende Fassung.
Aufjagt, flammt, brennt
der Wunscb.

Das andere Gebet.

Blicke schweifen, dich zu suchen,
dich zu greifen, Wahn und Flucht;
aus den Felsen dich zu reißen
du täglich geschaffenes Wesen.

Dich aus den Wolken zu saugen,

du Wucht meiner Neigung,

du, du an dem Jahrtausende gebären.

Zeit.

Heilige Ströme fluten dahin:
heißer Herzen pochende Glut
erfüllt seine Aeit.

Brach liegt unermeßlicher Boden dar
von holdem Geblüt verwirrt.

Und Sensen ebben alles wieder ein.
Herbst tönt weithin:

Wir, die verbluten, beben dir zu!
Sinntrunken braust die Nacht.

Herr, Herr, wir gleiten dahin.

Mädchen.

Wonnige Rhythmen
in süßen Bogen
kreisen unendlich
dir entgegen.

Lieblich Geläut
werbender Kräfte
lockt uns dahin.

Spielend umranken wir
lachend die Welt.

Welche wird erkoren werden! X

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