us WilhelmSchäferrLebensabriß.
Erst meine „Dreiunddreißig Anekdoten" im Verlag
Georg Müller (1911) haben mir einen weiteren Leser-
kreis gebracht; und wenn ich einen guten Teil dieser für
mich erfreulichen Wirkung meinem verstorbenen Freunde
Emil Milan zuschreibe, geschieht das nicht allein, um
meine Dankbarkeit zu bezeugen. Jn seinem Vortrag
beispielsweise der „Gräfin Hatzfeld" gegen anderes
wurde mir bestätigt, daß die moderne Erzählung in eine
bedenkliche Abneigung vom Papier geraten, daß sie
mehr oder weniger darauf berechnet war, von den
Augen des Lesers verschlungen zu werden. Jhre schärfste
Parodie fand sie in jenen gar nicht so seltenen Lesern,
die mit einem Roman von vierhundert Seiten in einer
Stunde fertig werden, wobei ihre geübte Technik die
umständlichen Situationsberichte, die Landschafts- und
Stimmungsschilderungen wie die Bekenntnisse schöner
Seelen unterschlägt. Die wirkliche Erzählung — wie die
Lyrik und das Drama — will aus dem Papier das Wort
und die Sprache lebendig werden lassen. Sie will dem
Leser etwas anderes geben als die rasch verschlungene
Gegenständlichkeit: sie ist, wenn das Bild erlaubt wird,
ein Rosenkranz, der Perle für Perle abgebetet werden
muß. Vom ersten bis zum letzten Satz ist sie zu einer
Schnur gereiht, darin jeder Satz dem andern die Führung
weiter gibt, um eben dadurch unlösbar und selbständig
zu sein. Nur so, indem jeder Satz, klanglich wie gedank-
lich, ein selbständigeö Gebilde ist und doch dem Ganzen
rhythmisch untertänig, ist die Erzählung fähig, Wort
und Sprache für das Ohr zu werden, dem sie gehört.
Darum die Klage der ans Lesefutter gewöhnten Leser
über die Schwierigkeit meiner Sprache und die Selbst-
verständlichkeit, mit der z. B. mein längster Satz in der
„Gräfin Hatzfeld", der sich allerdings fast über eine ganze
Druckseite zieht, im Vortrag Emil Milans zur Wirkung
kam; mit welcher Bemerkung ich im übrigen nicht Satz-
ungeheuern das Wort reden will.
Wie ich schon sagte, sollte der Titel meines Buches
auf eine Wesensart meiner novellistischen Versuche zie^
len, von der Seite her zufällig in die Weltgeschichte
zu leuchten. . Jn meiner „Halsbandgeschichte" (1909)
machte ich dann den Versuch, die epische Form auf ein
Stück Weltgeschichte selber zu übertragen. Daß mir dies
nicht so gelang, wie ich dachte, war mir eine Lehre in-
sofern, als dieses Stück doch nur wieder eine Novelle
wurde, eine Novelle, die aus ihrem Stoff wohl oder
übel in die allgemeinen Weltzustände einmünden
mußte und damit ihre sinnbildliche Wirkung einbüßte.
Hier trat mir zum erstenmal das ethische Prinzip der
Dichtung in den Weg: Eine Hochstaplerin wie die angeb-
liche Gräfin La Motte kann einfach nicht die Trägerin
einer großen Handlung sein, weil sie in der Gebundenheit
ihrer Triebe kein Sinnbild ist, in das der Leser eingeht,
um von ihm aus die Welt zu fühlen. Man hat die Lüge
das Kompliment des Lasters an die Tugend genannt,
und tatsächlich stellt jeder Leser — auch der einfältigste,
oder der am stärksten — die Herrschaft des Guten in der
Welt aufs eindringlichste vor. Wie auch seine Begriffe
von Tugend sein mögen, er verteilt allein danach seine
Au- und Abneigungen, das Gute soll siegen, das Böse
untergehn, und Held kann ihm nur eine Gestalt werden,
die ihn von ihrer Berechtigung im sittlichen Dasein über-
zeugt. Gewiß, er ist weitherziger, als die anerkannte
Moral, er stellt sogar eine höhere Moral vor, die man
kühnlich ästhetisch genannt hat, die aber in keiner Au-
spitzung etwas anderes als sittliches Bekenntnis ist. So
wäre es gewiß möglich, das natürliche Recht einer La
Motte gegenüber einer ungerechten Weltordnung aus-
zuspielen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt und nur,
indem man ihre Gegenspielerin, die wirkliche Königin
Marie Antoinette zu ihren Gunsten mit Unrecht belastete,
oder indem man deren Recht als gut über ihre Bosheit
siegen ließ. Jm ersten Fall hieße das Buch La Motte,
im andern Fall Marie Antoinette; weil ich aber die
Halsbandgeschichte schrieb und damit objektiv sein wollte,
geriet ich im Fortlauf der Handlung immer mehr in
einen Awiespalt mit dem sittlichen Leser, aus dem ich
mich nur mit einem Sprung in die Weltgeschichte be-
freien konnte, womit mein Buch sittlich gerettet, aber
künstlerisch erledigt war.
Stärker noch mußte ich dieses sittliche Gruiwgesetz
erfahren, als ich in meinem Staufferbuch (1912) einen
gewiß tapferen Kämpfer als Sinnbild aufrichten wollte.
Ich darf es um des persönlichen Lärms willen, der
gegen dieses Buch aufgerührt wurde, einmal in aller
Offenheit sagen, daß mir weder die künstlerischen noch
die menschlichen Eigenschaften des Malers Karl Stauffer
angenehm genug wären, ihn persönlich zum Gegenstand
einer Lebensbeschreibung zu machen, auch lag es gar
nicht in meiner Absicht, eine solche zu geben. Was mich
an diesem Mann seit je ergriff, war allein fein Schicksal;
und auch damit meine ich durchaus nicht seine „Affäre",
die ihn der Menge je nachdem interessant oder verächt-
lich machte, sondern die wahrhaft faustische Leidenschaft
zur Kunst in einem Menschen, der letzten Grundes kein
Künstler sein konnte, der die drei GebieW der bildenden
Kunst durchrasen mußte, um dreimal an die gleiche
Grenze zu kommen, die ihm durch die Taubheit seiner
Seele gesetzt war. Bei keinem menschlichen Schicksal
handelt es sich für den Dichter um den zufälligen Träger,
sondern um den Grundtrieb seiner Verstrickung; daß
dieser Grundtrieb bcim Künsiler allein in der Leidenschaft
zur Kunst gefunden werden kann, ist eine Selbstverständ-
lichkeit, nach der freilich von den Verfassern der sogenann-
ten Künstlerromane selten genug verfahren wurde. Jn-
dem ich mir den Maler, Radierer und Bildhauer Karl
Stauffer als Sinnbild dieser Lcidenschaft aufrichtete,
hatte ich einen Träger von bedeutendem Ausmaß. Die
Ehrlichkeit und Energie seines Willens, die Rücksichtö-
losigkeit seiner Selbstkritik, sein faustisches Suchen und
Scheitern machten ihn gleicherweise geeignet, die Er-
barmungslosigkeit dieser Leidenschaft darzutun und die
Tragik in ihrem unglücklichen Liebhaber zu zeigen.
Jrgendwie wird diese Tragik bei jedem Künstler sichtbar
jein, weder Goethe noch Mozart sind frei davon, um zwei
Glückliche zu nennen, mir aber konnte nur ein Träger
dienen, der bei der wütendsten Sehnsucht die Iauber-
flöte zur Tür der Erfüllung nicht besaß.
Als ich so diesen Stauffer sein Leben selber auf-
jchreibcn ließ in zwölf Kapiteln, um der Leidenschaft in
solchem Selbstbekenntnis möglichst nahe zu kommen,
Erst meine „Dreiunddreißig Anekdoten" im Verlag
Georg Müller (1911) haben mir einen weiteren Leser-
kreis gebracht; und wenn ich einen guten Teil dieser für
mich erfreulichen Wirkung meinem verstorbenen Freunde
Emil Milan zuschreibe, geschieht das nicht allein, um
meine Dankbarkeit zu bezeugen. Jn seinem Vortrag
beispielsweise der „Gräfin Hatzfeld" gegen anderes
wurde mir bestätigt, daß die moderne Erzählung in eine
bedenkliche Abneigung vom Papier geraten, daß sie
mehr oder weniger darauf berechnet war, von den
Augen des Lesers verschlungen zu werden. Jhre schärfste
Parodie fand sie in jenen gar nicht so seltenen Lesern,
die mit einem Roman von vierhundert Seiten in einer
Stunde fertig werden, wobei ihre geübte Technik die
umständlichen Situationsberichte, die Landschafts- und
Stimmungsschilderungen wie die Bekenntnisse schöner
Seelen unterschlägt. Die wirkliche Erzählung — wie die
Lyrik und das Drama — will aus dem Papier das Wort
und die Sprache lebendig werden lassen. Sie will dem
Leser etwas anderes geben als die rasch verschlungene
Gegenständlichkeit: sie ist, wenn das Bild erlaubt wird,
ein Rosenkranz, der Perle für Perle abgebetet werden
muß. Vom ersten bis zum letzten Satz ist sie zu einer
Schnur gereiht, darin jeder Satz dem andern die Führung
weiter gibt, um eben dadurch unlösbar und selbständig
zu sein. Nur so, indem jeder Satz, klanglich wie gedank-
lich, ein selbständigeö Gebilde ist und doch dem Ganzen
rhythmisch untertänig, ist die Erzählung fähig, Wort
und Sprache für das Ohr zu werden, dem sie gehört.
Darum die Klage der ans Lesefutter gewöhnten Leser
über die Schwierigkeit meiner Sprache und die Selbst-
verständlichkeit, mit der z. B. mein längster Satz in der
„Gräfin Hatzfeld", der sich allerdings fast über eine ganze
Druckseite zieht, im Vortrag Emil Milans zur Wirkung
kam; mit welcher Bemerkung ich im übrigen nicht Satz-
ungeheuern das Wort reden will.
Wie ich schon sagte, sollte der Titel meines Buches
auf eine Wesensart meiner novellistischen Versuche zie^
len, von der Seite her zufällig in die Weltgeschichte
zu leuchten. . Jn meiner „Halsbandgeschichte" (1909)
machte ich dann den Versuch, die epische Form auf ein
Stück Weltgeschichte selber zu übertragen. Daß mir dies
nicht so gelang, wie ich dachte, war mir eine Lehre in-
sofern, als dieses Stück doch nur wieder eine Novelle
wurde, eine Novelle, die aus ihrem Stoff wohl oder
übel in die allgemeinen Weltzustände einmünden
mußte und damit ihre sinnbildliche Wirkung einbüßte.
Hier trat mir zum erstenmal das ethische Prinzip der
Dichtung in den Weg: Eine Hochstaplerin wie die angeb-
liche Gräfin La Motte kann einfach nicht die Trägerin
einer großen Handlung sein, weil sie in der Gebundenheit
ihrer Triebe kein Sinnbild ist, in das der Leser eingeht,
um von ihm aus die Welt zu fühlen. Man hat die Lüge
das Kompliment des Lasters an die Tugend genannt,
und tatsächlich stellt jeder Leser — auch der einfältigste,
oder der am stärksten — die Herrschaft des Guten in der
Welt aufs eindringlichste vor. Wie auch seine Begriffe
von Tugend sein mögen, er verteilt allein danach seine
Au- und Abneigungen, das Gute soll siegen, das Böse
untergehn, und Held kann ihm nur eine Gestalt werden,
die ihn von ihrer Berechtigung im sittlichen Dasein über-
zeugt. Gewiß, er ist weitherziger, als die anerkannte
Moral, er stellt sogar eine höhere Moral vor, die man
kühnlich ästhetisch genannt hat, die aber in keiner Au-
spitzung etwas anderes als sittliches Bekenntnis ist. So
wäre es gewiß möglich, das natürliche Recht einer La
Motte gegenüber einer ungerechten Weltordnung aus-
zuspielen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt und nur,
indem man ihre Gegenspielerin, die wirkliche Königin
Marie Antoinette zu ihren Gunsten mit Unrecht belastete,
oder indem man deren Recht als gut über ihre Bosheit
siegen ließ. Jm ersten Fall hieße das Buch La Motte,
im andern Fall Marie Antoinette; weil ich aber die
Halsbandgeschichte schrieb und damit objektiv sein wollte,
geriet ich im Fortlauf der Handlung immer mehr in
einen Awiespalt mit dem sittlichen Leser, aus dem ich
mich nur mit einem Sprung in die Weltgeschichte be-
freien konnte, womit mein Buch sittlich gerettet, aber
künstlerisch erledigt war.
Stärker noch mußte ich dieses sittliche Gruiwgesetz
erfahren, als ich in meinem Staufferbuch (1912) einen
gewiß tapferen Kämpfer als Sinnbild aufrichten wollte.
Ich darf es um des persönlichen Lärms willen, der
gegen dieses Buch aufgerührt wurde, einmal in aller
Offenheit sagen, daß mir weder die künstlerischen noch
die menschlichen Eigenschaften des Malers Karl Stauffer
angenehm genug wären, ihn persönlich zum Gegenstand
einer Lebensbeschreibung zu machen, auch lag es gar
nicht in meiner Absicht, eine solche zu geben. Was mich
an diesem Mann seit je ergriff, war allein fein Schicksal;
und auch damit meine ich durchaus nicht seine „Affäre",
die ihn der Menge je nachdem interessant oder verächt-
lich machte, sondern die wahrhaft faustische Leidenschaft
zur Kunst in einem Menschen, der letzten Grundes kein
Künstler sein konnte, der die drei GebieW der bildenden
Kunst durchrasen mußte, um dreimal an die gleiche
Grenze zu kommen, die ihm durch die Taubheit seiner
Seele gesetzt war. Bei keinem menschlichen Schicksal
handelt es sich für den Dichter um den zufälligen Träger,
sondern um den Grundtrieb seiner Verstrickung; daß
dieser Grundtrieb bcim Künsiler allein in der Leidenschaft
zur Kunst gefunden werden kann, ist eine Selbstverständ-
lichkeit, nach der freilich von den Verfassern der sogenann-
ten Künstlerromane selten genug verfahren wurde. Jn-
dem ich mir den Maler, Radierer und Bildhauer Karl
Stauffer als Sinnbild dieser Lcidenschaft aufrichtete,
hatte ich einen Träger von bedeutendem Ausmaß. Die
Ehrlichkeit und Energie seines Willens, die Rücksichtö-
losigkeit seiner Selbstkritik, sein faustisches Suchen und
Scheitern machten ihn gleicherweise geeignet, die Er-
barmungslosigkeit dieser Leidenschaft darzutun und die
Tragik in ihrem unglücklichen Liebhaber zu zeigen.
Jrgendwie wird diese Tragik bei jedem Künstler sichtbar
jein, weder Goethe noch Mozart sind frei davon, um zwei
Glückliche zu nennen, mir aber konnte nur ein Träger
dienen, der bei der wütendsten Sehnsucht die Iauber-
flöte zur Tür der Erfüllung nicht besaß.
Als ich so diesen Stauffer sein Leben selber auf-
jchreibcn ließ in zwölf Kapiteln, um der Leidenschaft in
solchem Selbstbekenntnis möglichst nahe zu kommen,