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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 3
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Doderer, Otto: Emil Strauß: der Mensch in seinen Büchern
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0143

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mil Strauß.

Der Mensch in seinen Büchern.

Von Otto Doderer.

Gleichwie ein Kundiger aus den — durch Hunderte
zusammenfirömender feiner Nerven wie auf einer
Grammophonplatte eingeritzten — Linien der Hand die
Charaktereigenschaften eines Menschen zu entziffern ver-
mag, so läßt sich aus den von der Phantasw erdachten
vielfältigen Schicksalen, in die der Dichter sein eigenes
Erleben verfieckt und verwebt, das ursprüngliche Wesen
dieses Dichters nachdeuten. Sucht man hinter dem
Werk des Erzählers Emil Strauß den Menschen, der es
schuf, so weiß man zunächst: ein Mann, einer der männ-
lichsten unter seinesgleichen. Einer, der nicht mit Glacö-
handschuhen behutsam um das Gestrüpp im Leben
herumgeht, sondern mit beiden Fäusten sich durch-
zuschlagen gewohnt ist. Wären seine Bücher in einer
dem deutschen Ohr unbekannten Sprache geschrieben,
so müßte sogar trotzdem bald der Verdacht aufkommen,
daß dieser immer strebend sich Bemühende weder
Franzose, noch Russe, noch sonstwie Ausländer sein
könnte, sondern eben durch und durch Deutscher. Ja,
auch wenn er nicht so gern hin und wieder seiner badischen
Heimat eine Blüte seiner Arbeit in den Schoß werfen
oder sie wenigstens zärtlich erwähnen würde, so könnte
doch vielleicht ein besonders scharfsinniger Beobachter
die typisch schwäbische Konstellation erraten in ihm, der,
als sein erstes Buch erschien, dem Schwabenalter tat-
sächlich schon näher war als den ersten Sturm- und
Drangjahren, den es lange in die Welt hinaustrieb
wie so viele seiner Landsleute (von denen schon das
Mittelalter in einem Spottvers zu sagen wußte, daß
man die Schwaben und schlechtes Geld auf der ganzen
Welt fände), dem die unangekränkelte alte bürgerliche
Kultur der süddeutschen Stämme mit der Muttermilch
zu eigen wurde und ihre merkwürdige Mischung von
Versonnenheit, Gemüt, Ehrbarkeit und knorriger Herb-
heit, der „räß" ist — wie man dort den Wein gern hat.
So stämmig und ebenmäßig ist Emil Strauß aus seinem
alemannischen Erdreich herausgewachsen!

*

Seinen Gestalten eigentümlich ist ein gewisser stör-
rischer Lebenstrotz, eine eigensinnige Selbstverständlich-
keit, mit der sie das ihnen auferlegte Kreuz aufrecht bis
zum, guten oder schlechten, Ende tragen, eine stolze
Selbstzucht, mit der sie ihre Leidenschaften bezähmen
und die sie nicht an den Versuch denken läßt/ bloßen
kleinmütigen Schwächen nachzugeben. Sie gehen keine
krummen Wege und Gedanken aus Feigheit oder List,
sie sehen dem Schicksal stracks ins Angesicht und lassen
sich die Kampfesstürme um die Stirne sausen, ohne
jich beugen zu lassen, in dem Willen: das also muß nun
durchgebissen werden! „Ein rechter Kerl freut sich,
wenn ihm was begegnet, das er ernst nehmen darf" —
darin liegt wohl das Grundgefühl, von dem Strauß
beherzt ist und das er ergänzt in dem anderen Ausspruch:
„Nicht die Erfahrung, die man macht, ist die Haupt-
sache; die Hauptsache ist, nach der Erfahrung dem Leben
gegenüber wieder unschuldig zu werden." Selbst in

künstlerischer Hinsicht läßt sich dieser mannhafte Eigen-
wille an Strauß nachweisen. Er ist wortkarg wie alle
Tatmenschen, scheut die Phrase und die Pose, Aiererei
und dekorativen Firlefanz und, so sensibel er auch
empfindet, sentimentale Geständnisse und geschwollene
Kraftmeierei; er wird weder überschwenglich noch rühr-
selig, sondern bleibt fast nüchtern sachlich und bündig,
und die Schönheit leuchtet nur von innen heraus. Den
Erzähler großen Formats kennzeichnet die Art und Weise,
mit der er die üblichen Herzensergießungen kühl abtut,
und das, was er für wejentlich und erzählenswert hält,
und über was er anderseits hinweggeht. Er schildert
z. B. den Gang eines Liebespaares durch abendliche
Pracht. „Auch Hermann fühlte", so heißt es dann, „die
feierliche Schönheit und, allein, würde er wohl staunend
stehen geblieben sein, Elfriedens mitlebende Regung
aber war ihm unangenehm wie eine Pose und nicht
ohne Behagen störend sagte er plötzlich: da sind wir."
Eigenartig und nicht minder bezeichnend ist das Urteil,
das er gelegentlich über Nietzsche äußert: „Seinem Tat-
sachensinne konnte eine Philosophie nicht eingeben, die
ihm die natürlichen Rechte und Ansprüche der gesunden
und stolzen Krast zu romantstchen Postulaten zu über-
hitzen, aufzutreiben und zu verzerren schien, weil sie
offenbar von gegnerischen Postulaten und Dogmen aus-
ging, statt von der Anschauung des wirklichen, unbändigen,
alle Formen wieder verwachsenden Menschen." Nietzsche,
aus Antiphiliströsität wider den Stachel löckend, in
rasendem Temperament nurverneinend, und doch selbst
nur in anderer Art philiströs befangen — Strauß Anti-
philister aus Naturhaftigkeit. Eine alte joviale Dame
läßt er einmal zu ihrem Neffen sagen, sie warte darauf,
daß er wieder einmal was „Unbegreifliches" tue. „Das
ging bei dir so regelmäßig und korrekt vorwärts," meinte
sie, „daß ich meinem Urteil nicht mehr traute und fürch-
tete, du wärst am Ende doch nur so ein Achselträger und
LeiseUeter und Streber." Und einer, der so etwas
„Unbegreifliches" auf dem Kerbholz hat — der Rektor
einer höheren Mädchenschule, der in einen Skandal
mit einer Schülerin hineingeraten ist — triumphiert:
„Sich einmal, doch einmal als ein Stück Naturkraft
gesühlt und gewollt zu haben — man mag sagen, was
man will, es ist Jubel, es ist ein Stolz!" Aber rein
und gesund und, gerade seiner Urwüchsigkeit gemäß,
ohne die geringsten perversen Neigungen ist sein Ver-
hältnis zum Weib. Schön und rank sind seine Mädchen-
gestalten wie Volkslieder, und herrlich und würdig ist
die Auffassung, die er von der Liebe hat: „Aweier
Menschen Liebe soll sein wie zwei Lindenbäume, die frei
nebeneinander aufwachsen und doch nur eine einzige,
ununterscheidbare Kronenkuppel bilden; lehnt aber der
eine Stamm sich an den andern, so reiben sie sich im
Sturme wund und verkrüppeln. Aweier Menschen Liebe
sei wie ein Schwert mit zwei Schärfen; keine Schärfe
darf stumpf werden der andern zuliebe, sonst können
sie nicht eine Spitze bilden. Aweier Liebe sei die klare
Einheit des Mannes und des Weibes von reinster Wesen-
heit, so daß der Mann nichts Weibisches, das Weib
nichts GNännisches in sich einlasse; sonst werden sie ein
Wirrwarr, keine Einheit." Ebenso wie Gottfried Keller
und überhaupt alle Menschen, die die Aufgabe haben,
 
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