Drei Gedichte aus dem „Lobgesang des Lebens".
Wir taten das Häuflein unserer Habe zusammen,
und immer einer von uns
trug alles gesamt auf dem Rückcn.
So sind wir geschritten
durch weißen Schnee noch im Mai
über die ausklimmenden Felspässe,
wo die letzten Bäume
ties unter uns zersplittert standen
und nicht einmal mehr die Bäche
durch die Stille zu uns heraus riesen.
Es ist kein Dorf in den Tiroler Bergen,
vor dessen erstem Haus wir nicht,
abends, bei letzter Sonne,
auf cinem Grashügel saßen,
um aus den vielen Häusern
cin Haus auszusuchen,
unter dessen Holzdach
wir cine Weile unser Leben warm halten könnten.
Und immcr schritt der Hund mit uns,
mit den sremden Hunden der Dörfer kämpfend.
Einmal lockte uns die Weite des Himmels fort,
und wir wanderten ans Meer,
gingen unter frcmd sprechenden Menschen umher,
ohne uns srcmd zu sühlen,
immcr wic unter Brüdern und Schwestern.
Wir sahen den Schissen zu,
die auf das gewölbte Wasser hinausdrängten,
oder vom Horizont anwuchsen
und in dcn Hasen, beruhigt,
das schäumende Wasser vor sich her trcibend,
einschnitten.
Wo ich bin,
ist die Frcude mcincr Freundin.
Sage ich heute:
auf zur Wüste! —
so packt sie unserc Habe und geht mit.
Sage ich:
Aus, zum Nordcis! —
so gcht sic mit
und verläßt meine Scite nicht,
so wenig wic der Hund,
dcr blind zu werden anfängt
und mit irren Augen
zu unsercn Gcsichtern aussieht.
Aber: will ich zum Himmcl
in meinen Träumen,
hält sie an beiden Füßen
auf der Erde mich sest.
Denn lcicht ist es,
mit den Wolken zu wandern,
aber schwer im Gewühl der Menschen
den Weg, der nötig ist, finden,
unzertreten,
mit harten Schultern
und unerschrockener Stirn.
Fall ich einmal in die Knie,
so richtet, hinter mir stehend,
meine Freundin mich auf.
Nicht stolz dars ich werden,
daß ich diese Freundin gefunden habe
aus den tausenden Frauen der Erde.
Nicht stolz,
und das Geschick nicht locken.
Denn wir Menschen sind arm,
und oft schreck ich des Nachts aus dem Schlaf
und strecke die Hand aus und fühle,
ob mein Geschick mir noch da ist.
Wir werden auseinander gehen:
der Eine, der Große, der Tod
wird uns scheiden.
Einer von uns
muß zuerst den andern zurücklassen,
und der andere muß
dann allein seine Wege weiterwandern.
Ob auf anderm Stern
wir uns aufs neue, ausleuchtend,
sehen und grüßcn?
Wir Menschen wissen nichts.
Dies nur:
sein Glück anpacken,
mit der Hand umgreifen,
in die geraden Augen sehen,
solang es vergönnt ist:
dies nur können wir.
ichard Dehmel t.
Als am 8. Februar diescs Jahreö in Blankenese
an der Elbe der Dichter Richard Dehmel starb, sandte der
Kanzler der deutschen Republik an die Witwe ein Beileids-
telegramm, das dem Freund des arbcitenden Volkes
galt und von dem Dichter wenig zu sagen wußte. Man
könnte es dem ehemaligen Gewerkschaftssekretär Bauer
zugut halten, daß er keine salschen Worte machte und
nur von dem sprach, was er verstand: aber damit bleibt
das Mißverhältnis bcstchen, daß unserm Volk ein Dichter
starb und daß der oberste Beamte des Volkes nichts zu
sagen wußtc, als einige aus seinem Partei- und Klasscn-
hcrzen gut gemcinte aber im ganzen unzureichende
Worte.
Mit dicser Feststellung soll nicht etwa der Revolutions-
regierung am Aeug geflickt werden; die kaiserliche Re-
gierung hatte den dreisteren Mut, Richard Dehmel
anfangs des Krieges den Roten Adlerorden vierter Klasse
anzubieten, weil er mit Kriegsgedichten ihr Wohlgefallen
erreicht hatte. Es soll nur ein Aeigefinger sein, auf das
Schicksal des Dichters zu deuten; denn das Schicksal
Richard Dehmels war, daß er die Stimme seines Volkes
sein wollte, daß ihm aller Dichterruhm nichts war vor
dieser Geltung, und daß er, der so vieles wirkte und
bewirkte, in diesem höchsten Sinn nicht zur Wirkung kain.
Als Richard Dehmel jung war, galt der Sozialismus
sür das Evangelium der jungen Geister, und der Natu-
ralismus war die neue Form der Dichtung, ihm zu dienen.
Richard Dehmel, der (1891)in dem altehrenwerten Ver-
lag von Goeschen einen Band Gedichte herausgebracht
hatte — „Erlösungen" genannt und aus dem blaßblauen
Umschlag stand ein silberner Stern — war weder Sozia-
list noch hatte er Neigung, naturalistisch zu dichten.
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Wir taten das Häuflein unserer Habe zusammen,
und immer einer von uns
trug alles gesamt auf dem Rückcn.
So sind wir geschritten
durch weißen Schnee noch im Mai
über die ausklimmenden Felspässe,
wo die letzten Bäume
ties unter uns zersplittert standen
und nicht einmal mehr die Bäche
durch die Stille zu uns heraus riesen.
Es ist kein Dorf in den Tiroler Bergen,
vor dessen erstem Haus wir nicht,
abends, bei letzter Sonne,
auf cinem Grashügel saßen,
um aus den vielen Häusern
cin Haus auszusuchen,
unter dessen Holzdach
wir cine Weile unser Leben warm halten könnten.
Und immcr schritt der Hund mit uns,
mit den sremden Hunden der Dörfer kämpfend.
Einmal lockte uns die Weite des Himmels fort,
und wir wanderten ans Meer,
gingen unter frcmd sprechenden Menschen umher,
ohne uns srcmd zu sühlen,
immcr wic unter Brüdern und Schwestern.
Wir sahen den Schissen zu,
die auf das gewölbte Wasser hinausdrängten,
oder vom Horizont anwuchsen
und in dcn Hasen, beruhigt,
das schäumende Wasser vor sich her trcibend,
einschnitten.
Wo ich bin,
ist die Frcude mcincr Freundin.
Sage ich heute:
auf zur Wüste! —
so packt sie unserc Habe und geht mit.
Sage ich:
Aus, zum Nordcis! —
so gcht sic mit
und verläßt meine Scite nicht,
so wenig wic der Hund,
dcr blind zu werden anfängt
und mit irren Augen
zu unsercn Gcsichtern aussieht.
Aber: will ich zum Himmcl
in meinen Träumen,
hält sie an beiden Füßen
auf der Erde mich sest.
Denn lcicht ist es,
mit den Wolken zu wandern,
aber schwer im Gewühl der Menschen
den Weg, der nötig ist, finden,
unzertreten,
mit harten Schultern
und unerschrockener Stirn.
Fall ich einmal in die Knie,
so richtet, hinter mir stehend,
meine Freundin mich auf.
Nicht stolz dars ich werden,
daß ich diese Freundin gefunden habe
aus den tausenden Frauen der Erde.
Nicht stolz,
und das Geschick nicht locken.
Denn wir Menschen sind arm,
und oft schreck ich des Nachts aus dem Schlaf
und strecke die Hand aus und fühle,
ob mein Geschick mir noch da ist.
Wir werden auseinander gehen:
der Eine, der Große, der Tod
wird uns scheiden.
Einer von uns
muß zuerst den andern zurücklassen,
und der andere muß
dann allein seine Wege weiterwandern.
Ob auf anderm Stern
wir uns aufs neue, ausleuchtend,
sehen und grüßcn?
Wir Menschen wissen nichts.
Dies nur:
sein Glück anpacken,
mit der Hand umgreifen,
in die geraden Augen sehen,
solang es vergönnt ist:
dies nur können wir.
ichard Dehmel t.
Als am 8. Februar diescs Jahreö in Blankenese
an der Elbe der Dichter Richard Dehmel starb, sandte der
Kanzler der deutschen Republik an die Witwe ein Beileids-
telegramm, das dem Freund des arbcitenden Volkes
galt und von dem Dichter wenig zu sagen wußte. Man
könnte es dem ehemaligen Gewerkschaftssekretär Bauer
zugut halten, daß er keine salschen Worte machte und
nur von dem sprach, was er verstand: aber damit bleibt
das Mißverhältnis bcstchen, daß unserm Volk ein Dichter
starb und daß der oberste Beamte des Volkes nichts zu
sagen wußtc, als einige aus seinem Partei- und Klasscn-
hcrzen gut gemcinte aber im ganzen unzureichende
Worte.
Mit dicser Feststellung soll nicht etwa der Revolutions-
regierung am Aeug geflickt werden; die kaiserliche Re-
gierung hatte den dreisteren Mut, Richard Dehmel
anfangs des Krieges den Roten Adlerorden vierter Klasse
anzubieten, weil er mit Kriegsgedichten ihr Wohlgefallen
erreicht hatte. Es soll nur ein Aeigefinger sein, auf das
Schicksal des Dichters zu deuten; denn das Schicksal
Richard Dehmels war, daß er die Stimme seines Volkes
sein wollte, daß ihm aller Dichterruhm nichts war vor
dieser Geltung, und daß er, der so vieles wirkte und
bewirkte, in diesem höchsten Sinn nicht zur Wirkung kain.
Als Richard Dehmel jung war, galt der Sozialismus
sür das Evangelium der jungen Geister, und der Natu-
ralismus war die neue Form der Dichtung, ihm zu dienen.
Richard Dehmel, der (1891)in dem altehrenwerten Ver-
lag von Goeschen einen Band Gedichte herausgebracht
hatte — „Erlösungen" genannt und aus dem blaßblauen
Umschlag stand ein silberner Stern — war weder Sozia-
list noch hatte er Neigung, naturalistisch zu dichten.
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