Aus E. G. Kolbenheyers: Ahalibama.
stellte in heroischem Ausfall ein Bein vor das andere,
blickte begeistert in die Unendlichkeit nnd rief:
„Ahalibama!"
Es war einfach über ihn gekommen.
Die Kinder brachen in ein entzücktes Gejohle aus.
Die Meisterin lächelte verlegen, denn sie wußte nicht
recht, was der Lehrbub eigentlich wollte, der Meister
aber setzte früher als gewöhnlich ab, er vergaß seinen
Schnurrbart und ließ ihn auf den grünen Schurz aus-
bluten. Er starrte unter gerunzelten Brauen auf den
Lehrling, der, über seine Äußerung selber sehr erschrocken,
in sich zusammengekrochen dastand.
Maas?"
„Nichts, gar nichts, Herr Meister!" (Wenzel Tiegel
redete nicht im Dialekt.)
„Du hast iberhaupts as Maul z' haltn, was vastehst
denn du vo da höchern Politik, du Lausbua!"
Damit schien der Zwischenfall formell erledigt. Aber
Wenzel Tiegel hatte doch ein Wort ausgesprochen, das
sich in der Schusterswohnung nicht zurechtfinden konnte.
Es lebte sein fremdartiges Lautwesen weiter, unheim-
lich aber unaustilgbar.
Die Meisterin fragte eine ihrer Freundinnen, die gut
Karten schlug und auch sonst in allen transzendenten
Fragen Beschcid wußte. Aber auch die hatte keine Ah-
nung von Ahalibama. Sie warnte jedoch vor dem Lehr-
buben, denn es gäbe mehr Dinge zwischen Himmel und
Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen ließe, und
die gescheitesten Leute sprächen doch um alles so herum,
wie wenn alles nur so eine Art „Als-Ob" wäre, und
nichts Gewisses wisse man nicht.
Die Meisterin versuchte wiederholt, den Lehrling
zum Sprechen zu bringen, aber Tiegel wich aus. Selbst
jene kundige Frau war einmal gekommen und hatte ihn
vorsichtig auskaufen wollen, denn sie witterte hinter
Ahalibama eine Bereicherung ihrer auguralen Macht.
Aber auch sie war nicht klüger geworden. So wurde er
schließlich auch vom Meister mit einer gewissen Scheu
behandelt, die außer jenem geheimnisvollen Worte noch
einen andern Grund hatte.
Wenzel Tiegel vernagelte alle Damenschuhe. Es
konnte kein Stöckel übertrieben genug sein, er fand einen
Nagel, der bis in die Brandsohle und beim Gehen dann
durch die Brandsohle hindurch schmerzlich in die zarte
Ferse drang. Da der Lehrling aber sonst flink und ge-
schickt arbeitete, überging Meister Powondra diese Eigen-
art und nagelte die Schube seiner Damenkunden lieber
selbst.
Es bleibt über den Rest der Lehrzeit und die Gescllen-
jahre des Wenzel Tiegel nicht viel zu berichten. Er
wechselte seine Meister oft, bewirkte so Vakanzen,
während denen er sein erspartes Geld in ein Bücher-
leihhaus trug. Er las noch immer, so oft er konnte,
und kam bald von der Belletristik auf populäre Natur-
wissenschaft und versank von dort immer tiefer in
die Philosophie. Aber er wahrte bei seiner ziemlich
ungeordneten Leseweise stets seine Eigenart und suchte
überall Ahalibama, fand auch überall den Geist der
Kanaaniterin.
wei GedichLe von E. G. Kolbenheyer.
i.
Das Tor im Westen.
Junggrünes Lailb und blühender Wegesrain!
Dein war die Welt, da alle Welt umfloß
Des Herzens Sturmschlag, des Blutes schäumender Wein.
Höhen und Fernen, wie schienen sie nah und klein,
Da deine ungebändigte Brust sie umschloß!
Weitum die Pforten und Tore glänzten und winkten
dir zu:
Brauchst nicht zu pochen, rufe — der Riegel fällt!
Kühnen Vollbringens Herr und Gewaltiger, du,
Hell deine Stirn und frei vom Staube dein Schuh,
Greif zu, Jugend, dein ist der Wunsch, die Welt! —
Sank dir der Weg, vom Blick oft im Fluge besiegt,
Schwer ins Geblüt? Wie tauchten die Farben all
Jn dunkles Giün! Und was über den Höhen liegt,
Lerntest du wägen; was sich im Tale schmiegt,
Lieben. Und lerntest achten der Sonne Fall.
Einzig ein Tor steht dir im Westen noch frei,
Alle andern mußte dein brennend Verlangen missen.
Ihm zu drängt deiner heißen Sohlen Blei.
Wie eine Schwalbe schießt deines Willens Schrei
Vor dir her, eine Schwalbe vom Sturm entrissen.
Hinter dir, hinter dem blauen Hügelland
(Dort lag dein Morgen einst in lachenden Strahlen-
fluten)
Hinter dir schwebend und warnend wie eine Wolkenwand
Webt sie, die schweigsame Nacht. — Du, mcin wogendes
Flügle die Schritte mir! Sehnsuchtsland,
Das Tor!
Dort kannst du verbluten.
II.
Nachtlied.
Nun wird die Welt so weit und weich,
Dein Herz verliert die Hüllen sein,
Darin des Tages Macht und Reich
Es drängte fester und fester em.
Wie aus der Welt, so sanft aus der Seele sprießt sie,
die Nacht.
Und in der Tiefe still und klar,
Von keinem neuen Wort entweiht,
Verhallt, was dir so peinvoll war,
Der Hetzruf der gepreßten Aeit.
Zeitlos im Äll und frei durch dein Wesen fließt sie,
die Nacht.
Dein bist du, ganz vergessend dein.
Auch Schuld und Liebe wird nur Kleid
Und fällt von dir. Nein wirst du sein,
Du und die Welt, so leicht und weit!
Rätsel des Menschentags, dich löst und erschließt sie,
die Nacht.
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stellte in heroischem Ausfall ein Bein vor das andere,
blickte begeistert in die Unendlichkeit nnd rief:
„Ahalibama!"
Es war einfach über ihn gekommen.
Die Kinder brachen in ein entzücktes Gejohle aus.
Die Meisterin lächelte verlegen, denn sie wußte nicht
recht, was der Lehrbub eigentlich wollte, der Meister
aber setzte früher als gewöhnlich ab, er vergaß seinen
Schnurrbart und ließ ihn auf den grünen Schurz aus-
bluten. Er starrte unter gerunzelten Brauen auf den
Lehrling, der, über seine Äußerung selber sehr erschrocken,
in sich zusammengekrochen dastand.
Maas?"
„Nichts, gar nichts, Herr Meister!" (Wenzel Tiegel
redete nicht im Dialekt.)
„Du hast iberhaupts as Maul z' haltn, was vastehst
denn du vo da höchern Politik, du Lausbua!"
Damit schien der Zwischenfall formell erledigt. Aber
Wenzel Tiegel hatte doch ein Wort ausgesprochen, das
sich in der Schusterswohnung nicht zurechtfinden konnte.
Es lebte sein fremdartiges Lautwesen weiter, unheim-
lich aber unaustilgbar.
Die Meisterin fragte eine ihrer Freundinnen, die gut
Karten schlug und auch sonst in allen transzendenten
Fragen Beschcid wußte. Aber auch die hatte keine Ah-
nung von Ahalibama. Sie warnte jedoch vor dem Lehr-
buben, denn es gäbe mehr Dinge zwischen Himmel und
Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen ließe, und
die gescheitesten Leute sprächen doch um alles so herum,
wie wenn alles nur so eine Art „Als-Ob" wäre, und
nichts Gewisses wisse man nicht.
Die Meisterin versuchte wiederholt, den Lehrling
zum Sprechen zu bringen, aber Tiegel wich aus. Selbst
jene kundige Frau war einmal gekommen und hatte ihn
vorsichtig auskaufen wollen, denn sie witterte hinter
Ahalibama eine Bereicherung ihrer auguralen Macht.
Aber auch sie war nicht klüger geworden. So wurde er
schließlich auch vom Meister mit einer gewissen Scheu
behandelt, die außer jenem geheimnisvollen Worte noch
einen andern Grund hatte.
Wenzel Tiegel vernagelte alle Damenschuhe. Es
konnte kein Stöckel übertrieben genug sein, er fand einen
Nagel, der bis in die Brandsohle und beim Gehen dann
durch die Brandsohle hindurch schmerzlich in die zarte
Ferse drang. Da der Lehrling aber sonst flink und ge-
schickt arbeitete, überging Meister Powondra diese Eigen-
art und nagelte die Schube seiner Damenkunden lieber
selbst.
Es bleibt über den Rest der Lehrzeit und die Gescllen-
jahre des Wenzel Tiegel nicht viel zu berichten. Er
wechselte seine Meister oft, bewirkte so Vakanzen,
während denen er sein erspartes Geld in ein Bücher-
leihhaus trug. Er las noch immer, so oft er konnte,
und kam bald von der Belletristik auf populäre Natur-
wissenschaft und versank von dort immer tiefer in
die Philosophie. Aber er wahrte bei seiner ziemlich
ungeordneten Leseweise stets seine Eigenart und suchte
überall Ahalibama, fand auch überall den Geist der
Kanaaniterin.
wei GedichLe von E. G. Kolbenheyer.
i.
Das Tor im Westen.
Junggrünes Lailb und blühender Wegesrain!
Dein war die Welt, da alle Welt umfloß
Des Herzens Sturmschlag, des Blutes schäumender Wein.
Höhen und Fernen, wie schienen sie nah und klein,
Da deine ungebändigte Brust sie umschloß!
Weitum die Pforten und Tore glänzten und winkten
dir zu:
Brauchst nicht zu pochen, rufe — der Riegel fällt!
Kühnen Vollbringens Herr und Gewaltiger, du,
Hell deine Stirn und frei vom Staube dein Schuh,
Greif zu, Jugend, dein ist der Wunsch, die Welt! —
Sank dir der Weg, vom Blick oft im Fluge besiegt,
Schwer ins Geblüt? Wie tauchten die Farben all
Jn dunkles Giün! Und was über den Höhen liegt,
Lerntest du wägen; was sich im Tale schmiegt,
Lieben. Und lerntest achten der Sonne Fall.
Einzig ein Tor steht dir im Westen noch frei,
Alle andern mußte dein brennend Verlangen missen.
Ihm zu drängt deiner heißen Sohlen Blei.
Wie eine Schwalbe schießt deines Willens Schrei
Vor dir her, eine Schwalbe vom Sturm entrissen.
Hinter dir, hinter dem blauen Hügelland
(Dort lag dein Morgen einst in lachenden Strahlen-
fluten)
Hinter dir schwebend und warnend wie eine Wolkenwand
Webt sie, die schweigsame Nacht. — Du, mcin wogendes
Flügle die Schritte mir! Sehnsuchtsland,
Das Tor!
Dort kannst du verbluten.
II.
Nachtlied.
Nun wird die Welt so weit und weich,
Dein Herz verliert die Hüllen sein,
Darin des Tages Macht und Reich
Es drängte fester und fester em.
Wie aus der Welt, so sanft aus der Seele sprießt sie,
die Nacht.
Und in der Tiefe still und klar,
Von keinem neuen Wort entweiht,
Verhallt, was dir so peinvoll war,
Der Hetzruf der gepreßten Aeit.
Zeitlos im Äll und frei durch dein Wesen fließt sie,
die Nacht.
Dein bist du, ganz vergessend dein.
Auch Schuld und Liebe wird nur Kleid
Und fällt von dir. Nein wirst du sein,
Du und die Welt, so leicht und weit!
Rätsel des Menschentags, dich löst und erschließt sie,
die Nacht.
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