Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Beethoven
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0224

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Beethoven.

Haydn der heitere hatte den Jüngling das große
Orchester gelehrt, aber die Fülle der Geigen und Bässe,
Hörner und Pauken, Flöten und Klarinetten war nur
ein reicherer Wohlklang gewesen; nun brauste der Geist
in die Hülle, als Beethoven, der taube Meister in Wien,
den Sinfonien der Menschheit die ewigen Noten hin-
schrieb.

Da war kein Himmel und war keine Hölle, nur die
Urgewalt der Natur, und der Menschengeist war ihr
selbstherrlicher Meister.

Er konnte schwellen, wie der Frühling die Knospen
schwillt, er konnte den Bogen bauen über die Berge,
er konnte stürmen und stürzen wie Hochwasser im Alpen-
tal stürzt, er konnte breit und gewaltig sein wie das Meer
und konnte in seinen Wellen den Sonnenball fangen.

Seliges Spiel und trotzigen Aufruhr, schmerzliche

Sehnsucht und drohende Kraft, blutrote Trauer und
weißglühenden Aorn: alles schrieb Beethoven hinein
in das Bibelbuch seiner Musik.

Und als er am Ende war seiner irdischen Tage, als
er die Summe zog seines gewaltigen Lebens, als er die
letzte schrieb seiner neun Sinfonien, schwoll Menschen-
gesang in die Geigen und Hörner; über all seine Leiden-
schaft hin rauschte die Urmacht der Freude.

Sie war nicht aus der Gunst der Götter geboren,
sie floß nicht hinein in das Menschenland, wie ein Bach
blumige Ufer und blinkendes Wellenspiel bringt:

Die trotzige Hand desTitanen hatte das eigene Herz
aufgerissen, da war es kein Blut, kein Feuer und Wasser,
da waren es Ströme des Geistes, einmal den Jüngeren
in einer Taube vom Himmel gebracht, und nun die Erde
mit Allgewalt füllend.

anö Thomas Lebenserinnerungen.

Ein Brief an den Künftler.

Lieber Meister!

Heut will mir weder Exzellenz noch Professor noch Doktor
noch Hochgeehrt noch sonst derlei aus der Feder. Alles ist vergessen,
und geblieben ist nur das Bild eines guten, edlen Menschen und
hochragenden Künstlers. Jch habe eben Ibre Lebenserinnerungen
zu Ende gelesen, die Sie so bezeichnend „Im Winter des Lebens"
nennen, und fühle mich in der Feierstimmung eines schneestillen
hellen Wintertages. Ich muß zu Ihnen reden und zwar nicht zur
Exzellenz, sondern zum lieben Altmeister, der in dem Buche unser
aller Meister geworden ist, der uns da gezeigt hat, wie man das
Leben meistert — die höchste Kunst.

Ganz lebendig sebe ich Sie vor mir, wie Sie auf der köstlichen
Altersradierung von 1919 erscheinen, einem der besten und aus-
drucksvollsten Blatter vonIhnen, das ich kenne. Das Bild müßte
eigentlich, statt im Buche versteckt zu sein, vornan vor dem Titel-
blatte steben. Denn in diesem gütigen, bedachtigen, schlichten, liebe-
vollen Kopfe steckt der ganze Hans Thoma, dem die Marxzeller
Schwarzwaldtannen im Hintergrunde eine wunderbare symbolische
Festigkeit geben. Das ist nicht nur der große Künstler, dessen
edelgeformte Hand so manches Kunstwerk schuf, aber auch — man
merkt das an der Aartheit, mit der sie die stachlige Blume hält —
mit lindernder Güte über manchen Scheitel gestreichelt, manche
Kinderwange geliebkost, manche Blume, manches Tierlein behut-
sam gehegt hat. Es ist vor allem der ernste, weltweise Lebens-
meister, der mit seiner abgeklärten Altersweisheit den Iüngeren
außer dem Weg zur Kunst auch den zum Leben gewiesen hat.

Ich meine Sie noch vor mir zu sehen, wis Sie bei meinem
letzten Besuch in Marxzell im Rohrsessel vor mir saßen und wie
Sie mir aus der Handschrift den damals schon fertiggestellten Be-
ginn der Lebenserinnerungen vorlasen, jene gemütvolle Szene,
wie Sie beim greisen Hansjakob zu Gast waren, sich mit ihm in
einer hochgemuten Altersfreundschast zusammenfanden und von
ihm die Anregung zu Ihren Aufzeichnungen erhielten. Wie dankbar
können wir dem urwüchsigen Schwarzwälder Stadtpfarrer sein,
daß er Ihnen, selbst noch durch seine aus dem Grabe tönende
Geisterstimme, keine Ruhe gelassen hat, bis Sie die Feder nahmen
und schrieben. Das wußte ich alles schon, als ich Ihr Buch begann,
und als ich es wieder las, war es mir wie eine traute Erinnerung
an einen sonnigen Sommertag zwischen Schwarzwaldtannen.
Und auch all die köstlichen Kinderszenen des Buches aus Ihrer
eigenen Iugend, die Sie so besonders idyllisch schön erzählt haben,
wie aus Ihrer Großvaterzeit, wo Sie von den Kindergeschichten
nicht loskommen können, konnte ich so gut miterleben. Auch da
meinte ich immer Ihr kindlich frohes Lächeln zu sehen und Ihre
milde Stimme zu hören, als Sie mir von Ihren kleinen Enkel-
kindern und von dem lieblichen Vogelbegräbnis erzählten, wobei
die Kleinen zum erstenmal schauernd an der Todespforte standen
und wo auch Ihnen sich neue Einblicke in die grenzenlose Kluft
zwischen Leben und Tod auftaten; meinte noch mit Ihnen an dem
kleinen Grab zu stehen, wo die kleine Blaue ihr Köpfchen so traurig
HLngen ließ, in kindlicher Aaghaftigkeit nichts zu sagen wußte und

dann schließlich mit zitternder Stimme die von Ihnen verfaßte
Inschrift vorlas. Kein lebender Maler hat so wie Sie das deutsche
Kindergemüt erfaßt und deutsche Kindergestalten gezeichnet.
Wer Ihr Buch liest, der weiß jetzt, wie tief Ihre Kinderfreundschaft
und Ihr Kinderverstehen gegründet ist. Wer, wie ich, Sie selbst
mit Kindern umgehen sah, wußte es wohl schon längst.

Was ich aber noch nicht wußte, war dies, daß Sie auch beinahe
einmal Schwarzwaldpfarrer geworden wären. Freilich, wer mit
Aufmerksamkeit Ihre Lebenserinnerungen durchgeht, der hört
bald einen starken religiösen Grundton heraus. Wenn auch kein
eigentlich religiöses Kapitel darin steht, so atmet es doch einen
edlen religiösen Geist, nicht minder wie die feinsinnigen Essai-
sammlungen, die Sie bei Diederichs veröffentlichten und deren
letzte, die „Wege zum Frieden", in so tiefempfundene religiöse
Hymnen, die „Harfenklänge eines Pilgers am Strome des Vor-
überganges" ausklingt — Hymnen, die auch in dichterischer Hin-
sicht nicht wertlos sind. Cs ist eine rhythmische Prosa, die ein
wenig an Rabindranath Tagore erinnert, eine verinnerlichte Wort-
kunst, die Sie, den greisen Altmeister, unseren jüngsten Ausdruck-
künstlern nahe rückt.

Überhaupt erkennt man aus Ihrem Buche — einige etwas
unausgeglichene Seiten abgerechnet — immer mehr, daß Sie nicht
nur ein großer Maler, vielmehr auch ein guter Schriftsteller sind.
Zumal wo Sie unabhängig werden von Ihren früheren Tage-
buchnotizen — unter denen allerdings auch manche schätzenswerten
Mitteilungen zumal über Ihren Derkehr mit anderen bedeutenden
Künstlern sich finden — wo Sie frei aus der Erinnerung heraus
Geschichten erzählen, wo Sie Ihre tiefdurchdachten Gedanken
in eigen gestaltete Form prägen, da zeigt sich immer mehr die
dichterische Ader, die in Ihnen liegt. Ünd da wird in uns die
Sehnsucht geweckt, daß Sie in den stillen Dämmerstunden Ihres
Lebensabendes uns noch mehr aus Ihrem kostbaren Lebens-
schatz und Ihrem Dichtergemüt spenden möchten. Gerade in
unserer verworrenen Aeit haben wir es so nötig, daß große
Männer uns wieder Wegweiser aufrichten zu idealerer Lebens-
auffassung. Und wenn diese Manner aus dem Volke hervorge-
gangen sind und das Volk lieben, so sind sis besonders dazu berufen.
Es steckt ja noch viel urgesunde und auch künstlerische Kraft und
Empfänglichkeit in unserem Volke. Sie ist nur durch künstliche
Narkotika in einen Rauschschlaf versenkt und muß durch heilende
Kuren endlich daraus geweckt werden.

Sie, lieber Meister, haben den Beruf dazu, können wirklich
eine Mkssion erfüllen, können dem Dolke zeigen, wie man sich aus
kleinen Anfängen zu Großem emporarbeiten kann, vom Wälder-
bübli bis zur Epzellenz, können zeigen, wo der rechte Lebensgenuß
und die rechte Lebensfreude zu finden ist undIo vielleicht auch
religiös und ethisch noch mehr wirken als wenn Sie Schwarzwald-
pfarrer geworden wären. Und vor allem, Sie können Führer sein
zu echter, großer und edler Kunst.

Bisher hatten wir zwei klassische Maler-Selbstbiographien:
Kügelgens Erinnerungen eines alten Mannes und Richters Lebens-
erinnerungen. Nun haben wir im „Winter des Lebens" die dritte,
die gleich jenen beiden gelesen und geliebt bleiben wird, solange
man in deutschen Landen die Kunst und die Künstler liebt.

Heinrich Saedler.

114
 
Annotationen