losen Bild doch etwas sich bewegt, bis euch zumute ist,
als spürtet ihr diese Bewegung!"
Ünd Walt begann selbst nach seinen Worten zu tun.
Die Kinder folgten seinem Reden, das wie ein Selbst-
gespräch klang. Sie ahmten bald auch seine der Bild-
bewegung nachfahrenden Gebärden nach.
Und aus Frage und Antwort entstand erneut das
Wissen, daß im Künstlerbilde nicht nur irgendeine Hal-
tung oder Handlung gezeigt werden soll, sondern daß
darin Lebendiges gespürt werden will im schönen
Schwung, im Wurf oder im Fließen der Linien, im
Brennen und Flackern oder im Glühen und Iauber-
funkeln der Farben. „Und jetzt erst, Kinder," begann der
Lehrer endlich wieder, „jetzt wollen wir auch glauben,
daß da oben uns zu Häupten Gestalten zwischen Wolken
aufschweben. Und wir wissen plötzlich, ja jetzt in diesem
Augenblick, der Dom, unser neuer Leib, hat da oben
keine Wand, der geht da oben geradeswegs in die Un-
endlichkeit hinein. Unsere Seele, unser innerstes Leben
kann also da oben hinansteigen, hinauseilen bis zu Gott."
Er schwieg eine Weile in Ändacht.
„Ia, Kinder, wir sind in einer Kirche!" fuhr er dann
fort, „wir wollen uns in die Bänke setzen und unsere
Gedanken hinwenden zu allem, was wir lieben. Vielleicht
sind sie schon so siark — gerade in dieser Stunde, zu Gott
sich aufzuschwingen und all unser Leben und sein Ge-
liebtes mit hinauszutragen." Walt schritt der Empore
des Domes zu. Da wandte er sich noch einmal nach den
Kindern um und erklärte: „Die Schule ist für heute zu
Ende. Heimgehen kann jeder wie und wann er will.
Wer aber Lust hat, noch ein wenig Musik zu hören,
kann bleiben, bis ich heimgehe."
Einige, die sich nun wirklich nicht viel aus der Musik
zu schaffen wußten, nahmen ruhig Abschied und gingen.
Den übrigen spielte Walt auf der Orgel himmelan-
stürmende und wieder lieblich säuselnde, jubelnd po-
saunende und auch andächtig sanfte Liederweisen.
wei Gedichte von Ewald Zerbe.
Herbft.
Er kommt so sacht. Du merkst sein Wirken kaum,
wie er an deiner Seite geht und schafft,
mit dunklen Händen in den Blättern raffr,
und siehst auch nicht den fernen Wolkensaum.
Nach hat die Sonne helle Kraft und hebt
dein Auge auf und weiß mit milder Macht
dir zu verhüllen, daß dir jede Nacht
schon heimlich einen Wunsch in dir vergräbt.
Er kommt so still und ist dann plötzlich da
und ragt vor dir so hart aus grauen Tagen;
du staunst und wunderst dich, wie das geschah.
Und hörst in Nächten, die dich kalt umdämmern,
dann Regentropfen hart wie Nägel schlagen,
die grausam einen dunklen Sarg zuhämmern.
Märzmorgen am Niederrhein.
Durch kahle Bäume blickt ein breites, graues Dorf
vom andern Ufer her. Wind klirrt in Strauch
und Gräsern. Uber fernen Hügeln ziehn
sich müde Wolken hin wie träger Rauch.
Durch graue Lüfte pflügt ein Mövenpaar
und schwankt im Wind; der reißt und fegt
den Strom, der seine dunklen Wasser stumm
wie schwere Ackerschollen weiterträgt.
Und alles ist so matt und starr. Wie seltsam ist
das doch, daß, während noch das Sterben rinnt
durch welkes Gras, schon wieder hier und dort
und auch in dir das Leben neu beginnt.
as Alemannenbuch*).
Bedeutsam an diesem Buch ist zunächst, daß es in der Schweiz
erscheint und daß Hermann Hesse als Herausgeber zeichnet. Damit
wird in dieser Zeit der politischen Vermauerung zugleich bekannr,
daß jene noch immer von Gewehren bewachte Grenzlinie von
Rastatt bis Konsianz mitten durch alemannisches, also deutsches
Stammland läuft und nur politischsn Verhältnissen zuliebe — besser
zuleide — die deutsche Schweiz vom deutschen Elsaß, vom deut-
schen Baden, und vom deutschen Schwaben scheidet. Was heute
wie für alle Zeit geschieden daliegt, war einmal das Herzogtum
Schwaben und die Heimat jenes germanischen Stammes, der den
Rümern je nachdem als die Sueven oder die Memannen bekannt
war. Freilich, die Alemannen in der Schweiz (dem ehemaligen
Land der Helvetier) waren ebenso Eroberer wie die Alemannen
im Elsaß (die Alisaza, die drüben Sihenden genannt): aber da sie
nun einmal diese Nachbarländer bsvölkerten und mit ihrem Wesen
erfüllten, wurde alemannische Heimat daraus, wie das Stamm-
land im Winkel des Nheins, das die Alemannen ja schließlich (als
das ehemalige Zehntland) den Römern auch erst wieder abnehmen
mußten. Die politischen Verhältnisse haben es allerdings schon
früh ferüggebracht, daß sich die Schwaben aus dein Gesamtgebiet
der Alemannen absonderten (noch heute heißen die Schweizer
den Nachbar jenseits des Rheines so), so daß z. B. Gottfried Keller
und der Auch-Einer-Vischer auch in der Rasse gegensählich scheinen.
Und daß Zürich, Basel, Straßburg und Augsburg einmal in einer
*) Seldwyla-Verlag, Bern.
Gemeinschaft waren, das darf heute ja fast nichr mehr gesagc
werden. Um so tapferer berührt es, daß sich nun in diesem Buch
Schweizer, Elsässer, Badener und Schwaben als Alemannen zu
ihrer gemeinsamen Heimat Alemannien bekennen.
Über dieses Alemannien sagt Hermann Hesse in seinsm klugen
Vorwort: „Das alemannische Land hat vielerlei Täler, Ecken und
Winkel. Aber jedes alemannischc Tal, auch das engste, hat seine
Affnung nach der Welt, und alie diese Öffnungen und Äusgänge
zielen nach dem großen Strom, dem Rhein, in den alles alemannische
Wasser rinnt. Und durch den Rhein hängt es von alters her mit der
großen Welt zusammen." Am engsten gewiß mit seinen nördlichen
Nachbarn und Leidensgenossen, den Franken beiderseits des
Rheines; und tatsächlich waren im Mittelalter Köln, Mainz, Trier,
Straßburg, Basel und Zürich in einer so engen Gemeinschaft,
daß durch die Heimat der deutscben Mystiker weder der Neckar nocb
der Main einen Quersirich ziehen konnten.
Es reizt natürlich, angesichts dieser durch Hermann Hesse
gegebenen Eharakterisierung des alemannischen Landes in seinem
Älemannenbucb, darin Rene Schickele, Hermann Hesse, Albert
Steffen und Emil Sinclair fröhlich nebeneinander stehen, nach der
Gemeinsamkeit zu suchen. (Lcider fehlt Emil Strauß darin, so daß
der badischc Winkel, der einmal in Johann Peter Hebel seinen ale-
mannischen Mann stellte, ausfällt.) Da fällt es nun auf, daß die
Beiträge, von dsn Gedichten abgesehen, fast ausnahmslos lyriscber
diatur sind. Einzig Emil Sinclair gibt in seiner ironischen Fabel
vom Europan ein vom Jch abgelöstes Stück Prosa, schon Felir
Moeschlin klingt mit seinem drauiatiscknm Bruchsiück stark hinein,
atle anderen geben Erinnerung, d. b. sie bolen aus der Vergangen
als spürtet ihr diese Bewegung!"
Ünd Walt begann selbst nach seinen Worten zu tun.
Die Kinder folgten seinem Reden, das wie ein Selbst-
gespräch klang. Sie ahmten bald auch seine der Bild-
bewegung nachfahrenden Gebärden nach.
Und aus Frage und Antwort entstand erneut das
Wissen, daß im Künstlerbilde nicht nur irgendeine Hal-
tung oder Handlung gezeigt werden soll, sondern daß
darin Lebendiges gespürt werden will im schönen
Schwung, im Wurf oder im Fließen der Linien, im
Brennen und Flackern oder im Glühen und Iauber-
funkeln der Farben. „Und jetzt erst, Kinder," begann der
Lehrer endlich wieder, „jetzt wollen wir auch glauben,
daß da oben uns zu Häupten Gestalten zwischen Wolken
aufschweben. Und wir wissen plötzlich, ja jetzt in diesem
Augenblick, der Dom, unser neuer Leib, hat da oben
keine Wand, der geht da oben geradeswegs in die Un-
endlichkeit hinein. Unsere Seele, unser innerstes Leben
kann also da oben hinansteigen, hinauseilen bis zu Gott."
Er schwieg eine Weile in Ändacht.
„Ia, Kinder, wir sind in einer Kirche!" fuhr er dann
fort, „wir wollen uns in die Bänke setzen und unsere
Gedanken hinwenden zu allem, was wir lieben. Vielleicht
sind sie schon so siark — gerade in dieser Stunde, zu Gott
sich aufzuschwingen und all unser Leben und sein Ge-
liebtes mit hinauszutragen." Walt schritt der Empore
des Domes zu. Da wandte er sich noch einmal nach den
Kindern um und erklärte: „Die Schule ist für heute zu
Ende. Heimgehen kann jeder wie und wann er will.
Wer aber Lust hat, noch ein wenig Musik zu hören,
kann bleiben, bis ich heimgehe."
Einige, die sich nun wirklich nicht viel aus der Musik
zu schaffen wußten, nahmen ruhig Abschied und gingen.
Den übrigen spielte Walt auf der Orgel himmelan-
stürmende und wieder lieblich säuselnde, jubelnd po-
saunende und auch andächtig sanfte Liederweisen.
wei Gedichte von Ewald Zerbe.
Herbft.
Er kommt so sacht. Du merkst sein Wirken kaum,
wie er an deiner Seite geht und schafft,
mit dunklen Händen in den Blättern raffr,
und siehst auch nicht den fernen Wolkensaum.
Nach hat die Sonne helle Kraft und hebt
dein Auge auf und weiß mit milder Macht
dir zu verhüllen, daß dir jede Nacht
schon heimlich einen Wunsch in dir vergräbt.
Er kommt so still und ist dann plötzlich da
und ragt vor dir so hart aus grauen Tagen;
du staunst und wunderst dich, wie das geschah.
Und hörst in Nächten, die dich kalt umdämmern,
dann Regentropfen hart wie Nägel schlagen,
die grausam einen dunklen Sarg zuhämmern.
Märzmorgen am Niederrhein.
Durch kahle Bäume blickt ein breites, graues Dorf
vom andern Ufer her. Wind klirrt in Strauch
und Gräsern. Uber fernen Hügeln ziehn
sich müde Wolken hin wie träger Rauch.
Durch graue Lüfte pflügt ein Mövenpaar
und schwankt im Wind; der reißt und fegt
den Strom, der seine dunklen Wasser stumm
wie schwere Ackerschollen weiterträgt.
Und alles ist so matt und starr. Wie seltsam ist
das doch, daß, während noch das Sterben rinnt
durch welkes Gras, schon wieder hier und dort
und auch in dir das Leben neu beginnt.
as Alemannenbuch*).
Bedeutsam an diesem Buch ist zunächst, daß es in der Schweiz
erscheint und daß Hermann Hesse als Herausgeber zeichnet. Damit
wird in dieser Zeit der politischen Vermauerung zugleich bekannr,
daß jene noch immer von Gewehren bewachte Grenzlinie von
Rastatt bis Konsianz mitten durch alemannisches, also deutsches
Stammland läuft und nur politischsn Verhältnissen zuliebe — besser
zuleide — die deutsche Schweiz vom deutschen Elsaß, vom deut-
schen Baden, und vom deutschen Schwaben scheidet. Was heute
wie für alle Zeit geschieden daliegt, war einmal das Herzogtum
Schwaben und die Heimat jenes germanischen Stammes, der den
Rümern je nachdem als die Sueven oder die Memannen bekannt
war. Freilich, die Alemannen in der Schweiz (dem ehemaligen
Land der Helvetier) waren ebenso Eroberer wie die Alemannen
im Elsaß (die Alisaza, die drüben Sihenden genannt): aber da sie
nun einmal diese Nachbarländer bsvölkerten und mit ihrem Wesen
erfüllten, wurde alemannische Heimat daraus, wie das Stamm-
land im Winkel des Nheins, das die Alemannen ja schließlich (als
das ehemalige Zehntland) den Römern auch erst wieder abnehmen
mußten. Die politischen Verhältnisse haben es allerdings schon
früh ferüggebracht, daß sich die Schwaben aus dein Gesamtgebiet
der Alemannen absonderten (noch heute heißen die Schweizer
den Nachbar jenseits des Rheines so), so daß z. B. Gottfried Keller
und der Auch-Einer-Vischer auch in der Rasse gegensählich scheinen.
Und daß Zürich, Basel, Straßburg und Augsburg einmal in einer
*) Seldwyla-Verlag, Bern.
Gemeinschaft waren, das darf heute ja fast nichr mehr gesagc
werden. Um so tapferer berührt es, daß sich nun in diesem Buch
Schweizer, Elsässer, Badener und Schwaben als Alemannen zu
ihrer gemeinsamen Heimat Alemannien bekennen.
Über dieses Alemannien sagt Hermann Hesse in seinsm klugen
Vorwort: „Das alemannische Land hat vielerlei Täler, Ecken und
Winkel. Aber jedes alemannischc Tal, auch das engste, hat seine
Affnung nach der Welt, und alie diese Öffnungen und Äusgänge
zielen nach dem großen Strom, dem Rhein, in den alles alemannische
Wasser rinnt. Und durch den Rhein hängt es von alters her mit der
großen Welt zusammen." Am engsten gewiß mit seinen nördlichen
Nachbarn und Leidensgenossen, den Franken beiderseits des
Rheines; und tatsächlich waren im Mittelalter Köln, Mainz, Trier,
Straßburg, Basel und Zürich in einer so engen Gemeinschaft,
daß durch die Heimat der deutscben Mystiker weder der Neckar nocb
der Main einen Quersirich ziehen konnten.
Es reizt natürlich, angesichts dieser durch Hermann Hesse
gegebenen Eharakterisierung des alemannischen Landes in seinem
Älemannenbucb, darin Rene Schickele, Hermann Hesse, Albert
Steffen und Emil Sinclair fröhlich nebeneinander stehen, nach der
Gemeinsamkeit zu suchen. (Lcider fehlt Emil Strauß darin, so daß
der badischc Winkel, der einmal in Johann Peter Hebel seinen ale-
mannischen Mann stellte, ausfällt.) Da fällt es nun auf, daß die
Beiträge, von dsn Gedichten abgesehen, fast ausnahmslos lyriscber
diatur sind. Einzig Emil Sinclair gibt in seiner ironischen Fabel
vom Europan ein vom Jch abgelöstes Stück Prosa, schon Felir
Moeschlin klingt mit seinem drauiatiscknm Bruchsiück stark hinein,
atle anderen geben Erinnerung, d. b. sie bolen aus der Vergangen