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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 1
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Dörfler, Anton: Aus "Einige Wunder und Feste aus der Schule zu Wunnentor"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0060

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Aus,,Ermge Wunder und Fesie aus der Scbule zu Wunnentor".

blick lag um jede ein Kranz von Kindern, die — auf ihre
Ellbogen gestützt — alle auf einen Punkt starrten —
wartend und reiselustig hinäugelten. Ietzt hieß es unter
Führung des Lehrers — der bald bei dieser, bald bei
jener Gruppe lag — Deutschland in immer größer
werdenden Kreisen um das liebe Städtchen Wunnentor
herum auszubreiten.

Als man damit zu Ende gekommen war — sprang
alles auf — scharte sich um Walt, den Lehrer, und träumte
rnit ihm, von seinen Worten geleitet, verlockt, heraus-
gefordert und ermutigt, Deutschland um sich herum mit
allen seinen Strömen und Seen und den zwei Meeren,
mit allen seinen Hügeln, Bergen, Wäldern und den
freien Alpen, mit allen seinen Bauernhöfen, Dörfern,
Städtchen, Großstädten und Fabriken, mit den Äckern
und Weinbergen, den Gärten und alten Parken, den
Burgen, Schlössern, Rathäusern und Türmen, mit alten
Kaiserstraßen und Gebirgspfädlein und mit den zur
selben Stunde über Deutschlands Rücken tausendstrahlig
hinbrausenden Eisenbahnen, mit seinen gischtumschäum-
ten Schiffen rind rauschend hingleitenden Flößen, mit
seinen Menschen allen, die in Arbeit standen, tausend-
faltig, tausenderlei schaffend, mit seinen Tieren auch,
Pferden, Kühen, Hasen und Rehen, mit seinen aber-
tausend, nun eben wieder zurückgekehrten, brütendcn
und jubilierenden Vögeln!

Eine heilige Begeisterung war über die ganze Schar
gekommen. Da gab es nicbt Schüler, nocb einen Lehrer.

Frohe deutsche Menschen rührte eine alles um-
fassende Liebe an, als wollte sie ein einzig Lied aus ihnen
schaffen in süßem Aauber.

Und sie fingen an, zusammen die deutschen Gaue
aufzurufen, einen nach dem andern; wer es konnte,
Walt, oder eines der Kinder, durfte den Stolz und die
Schönheit eines jeden Gaues nennen und alle riefen es
nach, der fernen Gegend zu, als würde sie damit vor den
Berg geladen, den Preis zu empfangen, als könnte
sie hinter den weißen Wolkenbergen hervor gestiegen
kommen, die fern draußen in den zartblauen Frühlings-
Himmel aufragten. —

Und nocb einmal scharte sich alles auf dem Gras-
boden um die Landkarten. Äuf kleine Aeichenblöcke
kamen die einfachen Umrisse der Lagerung Deutschlands
um den Heimatsort her. Wenn die Kinder dabei auf
die große bunte Landkarte schauten, so stiegen daraus —
winzig, wie aus unendlicher Höhe gesehen — Berge
und Wälder und Städte voll wimmelnden Lebens her-
vor und atmeten in derselben Luft, die auch hier in die
Brust strömte, glänzten in derselben Sonne, die auch hier
einem das Haar umgoldete. —

Einigemal im Iahr

brach die Schar auf, um den alten Dom

des nahen Stadtchens zu besuchen. Man kam nach-
mittags, um ungestört von den Menschen diesen weiten,
hohen Raum erleben zu können. Mit diesen letzten
Worten bezeichnete Walt namlich das Ziel der Wande-
rung, wenn er nicht gar sagte: „Wir wollen heute wieder
einmal zum Dome werden."

Waren die Kinder das erstemal dabei, dann scharte
er sie in der Kircbenmitte zunächst dicht um sich und mit

Frage und Antwort kam zustande, daß wir Menschen
unseren Körper auch sehr wohl ein Haus nennen dürfen,
ein Haus, in dem deutlich spürbar etwas Lebendiges
wohnt, dem — ach wie oft — der Körper aus harten
Kerkerwänden zu bestehen scheint, durch die es hindurch
und hinaus verlangt ins unendliche Freie. Nach solchen
Betrachtungen forderte Walt dann in seiner plötzlicb
begeisternden Art die Kinder auf, mit ihm jetzt die Wände
und die Decke, die Kuppel und alle sonstigen Dinge des
Domes anzuschauen, als sollte gleich mit dem Abzeichnen
begonnen werden. Jeder Linie gingen die Blicke nach.

Angeregt von der lebhaften, eiferfreudigen Art ihres
Lehrers taten die Kinder, was ihnen empfohlen worden
war.

„So, nun kommt das Wunder," sagte Walt schließ-
lich, „jetzt lassen wir zunächst einmal die Augen zugehen.
Nun bedenkt, was ich euch sage: Unser Leben, das den
ganzen Körper ausfullt, das gegen seine Wände drückt
und drängt, dieses Geheimnisvolle in uns spürt auf ein-
mal, daß der Körper nachgibt. Wir werden dicker und
größer rundum. Und immer noch geht das so weiter.
Jeder ist scbon so groß wie ein Aimmer, jetzt gar wie
ein Haus. Unser Leben aber drängt nocb immer weiter,
aufwärts und vorwärts und rückwärts. Ietzt wollen wir
den Kopf ein wenig heben zum Aufschauen; aber die
Augen sollen noch zubleiben.

Wir sind nun so groß wie ein schönes, hohes Haus,
das nur aus einem einzigen Zimmer besteht. Wir haben
nicht mehr die Form unseres Körpers. Unser Leben steht
nun da, riesengroß aus uns heraus geströmt und hat neue
Grenzen, neue Wände. —

Die Augen auf jetzt! Da schau nun jedes diesen
neuen Leib an. Der Dom ist es. Wie ist er schön! Schaut,
wie er Ecken und Nischen hat, ganze Hallen, kühne Bogen
und Brücken! Bis überallhin reicht unser Leben rundum.
Wir füllen den Dom aus. Wenn jetzt ein mächtiger
Zauberer käme und den Dom wie eine Kuchenform von
der Erde aufheben würde, da müßte die Luft, die in
ihm war, in die wir uns aufgelöst haben, stehen bleiben
wie ein schimmerndes Wunder von der Form dieser ge-
waltigen Halle um uns.

„Aber nun redet, Kinder, fragt, erzählt!"

Natürlich waren noch nicht alle hinter dieses Wunders
vollen Sinn gekommen. Da gab es lustige und törichte
Fragen und Antworten; aber Walt blieb unermüdlich,
auch den schwerfälligsten Geist zum Erleben des Raumes
zu bringen.

-i- 4-

4-

Aus der Domkuppel glühte ein Deckengemälde her-
nieder, das die heilige Dreifaltigkeit in ihrem Himmels-
glanz zeigte. So begann Walt endlich davon zu sprechen:
„Seht euch erst nur einmal die Farben des Bildes an,
wie sie aufeinander folgen und wie sie zueinander ge-
paßt sind. Dann gehen wir den Linien nach. Hört,
zunächst sollen auch die Körper euch nur wie schön be-
wegte Linien gelten. Versucht nur, das Bild so anzu-
sehen, dann merkt ihr bald, wie eine Linie will sagen —
ein Körper aus dem andern herausschwingt, in einen
anderen hineinführt. Wir haben es ja oft im kleinen ge-
übt. Versucht es so lange, bis ihr spürt, wie da im reg-
 
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