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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Ackerknecht, Erwin: Erwin Guido Kolbenheyer
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Kolbenheyer, E. G.: Die Kindheit des Parazelsus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0198

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Erwin Guido Kolbenheyer.

bciden monumentclen Anfangssätze wegen, in denen
schon die ganze Vorfiühlingsunruhe des Buches schwillt,
sondern vor cllem, wcil es — um mit Wilhelm Schäfer
zu reden — cine „Gcsclichte der deutschen Secle" gibt,
und zwar in der pei spektivischen Verkürzung cines großen
Sinnlildes. Jn künhlensch vollllütiger Form bringt es
die rcligiöscn Grundgedanken des Buches zum Ausdruck.
Es ist soziscgen scin „Prolog im Himmcl"; nur daß
bezcichnenderwcise dicse der gemcinen Wirklichkcit ent-
rückte, kosmologische Szene nicht im Himmel spielt,
sondern auf kcimkräftiger, von lebenweckendem Föhn
überbrauster deutscher Erde. Es schafft die Ewigkeits-
atmcsphäre, in der die folgenden Aeitbilder um so heller
leuchten.

Kolbenheyer, der nach Kriegsschluß in Tübingen eine
neue Hcimat gesucht und gefunden hat, ringt gegen-
wärtig um die Gestaltung des zweiten Bandes seiner
Trilogie, mit dem er sich die schwere Aufgabe gestellt hat,
den Durchbruch des Genies in seinem Helden dar-
zustellen. Hoffentlich ist es ihm vergönnt, in diesem
Jahre noch auch dieses Werk zu vollenden. Wir zweifeln
nicht, daß es die durch die „Kindhcit des Parazelsus"
erweckten Hoffnungen erfüllen und scinen Schöpfer als
einen der großen Mcister des historischen Romans be-
stätigen wird, die dem bitteren Faustwort
„Was ihr den Gcist der Aeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigener Geist, j
Jn dem die Aciten sich bespiegeln"
seinen Stachel zu nehmen wissen. Jst doch dieser
Herren cigener Geist geheimnisvcll verbündet mit dem
Lebensgefühl einer vergangenen Epoche ihres Volkes
und gilt von ihnen, was Kolbenheyer von scinem sterben-
den Rcmbrandt sagt, das Höchste was man von einem
Künstler sagen kann, nämlich daß er sei
„Ticf, tief umfangen
Von scines Wcsens eigenster Gewalt,

Eins mit dem Gott, des zeugendes Verlangen
Dem Unfaßbaren schuf durch ihn Gestalt,

Sclbsilos entäußert und doch nur gegeben
Den Wenigen, die an der Pforte hangen,

Sie, deren Sehnsucht an das Herz der Welt
Selbstopfernd schlagt in zeugendem Verlangen."

us E. G. Kolbenheyers: Die Kind-
heit des Parazelsus.

Erfte Schrttte.

Die Tage deckten ihre weiße und blaue Glocke über
das Menschenreich, die Unendlichkeit der Nächte lüftete
den wehenden Schleier oder verbarg ihr wunderliches
Gesicht dahinter. Und die Leute redeten von den fünf
Pflugarbeiten, jedesmal wenn die Aeit kam. Jm Früh-
jahr vom Saatpflügen auf dem Haferfeld, im Mai vom
Brachen, im Juli vom Rühren, im Herbstmond vom
Werfen der Stoppeln und im Weinmond vom Felgen
des Korngrundes. Das waren Leute von den freund-
lichen Seeufern, denen die Sihl nachstrebt, ohne sie
jemals zu erreichen, denn sie vermengt sich mit der
brausenden Limat im Rücken von Aürich. Die Seeleute

wußten noch andere Jahreszeiten und brauchten nicht
gerade nach dem Pflügen zu zählen. Sie redeten vom
Schneiden, Sticken, Gärten, vom Hacken, Heften, Rauch-
felgen, Iwicken und Lesen. Dann meinten sie den Wein,
dessen säuerliche Glut sie aus grüngelben Beeren herb-
steten. Aber auch überAalrute,Äsche,Barbe,Barsch,Schlei
und Gründling, über Reusen, Angeln, Stecheisen ging
die Unterhaltung in den Wirts- und Wohnstuben. Das
Vieh kam nur nebenher zur Sprache. Weit öfter das
Fährwesen, und damit lenkten die Worte ab gegen
Richterswil und bergan der lieben Fraue von Einsie-
deln zu.

Dort, im Hochtal der Sihl, wechselten wohl auch
Hafer, Brache und Roggen auf dem lockeren Rottland
an den Bergsäumen, aber die breite Talsohle füllte ein
moorsatter Grund und der brachte hartes, saures Futter.
Nur auf den Hängen der Sihl und den kurzen Boden-
wellen, die aus dem Hochmoor tauchten, wuchs fettere
Weide, die auch Heu genug für den Winter gab, obwohl
sie einschürig blieb. Über die Wiesenhänge schritt das
Jahr in drei Gezeiten: bis Walburgis im Mai währte
der Weidetrieb, dann wuchsen Gräser und Kräuter der
Sichel entgegen und Sankt Bartholomaustag brachte
wieder Rinder und Schafe auf das kurze Grün. Dem-
gemäß sprachen die Leute des Hochtals vom Gras,
Rindern und Schafen. Vom Walde redeten sie schon,
wenn die Sonne kaum den letzten Schnee weggeschmolzen
hatte, aber sie dachten zu dieser Aeit nur an den Wald
am Fuße der Höhen, cho Buchen wuchsen, während die
Kamme vom dunklen, unfruchtbaren Nadelholz bestanden
waren. Dorthin, in den Ecker am Fuße der Höhen,
trieben sie die zarten Märzschweine zur Aufzucht, doch
mußte ein neuer Eintrieb um Sankt Johannistag be-
schlossen sein. Gegen den Herbst zu, wenn die Buchen
ihre zottigen Fruchtbecher öffneten und den Ecker streuten,
kamen die alten Schweine zur Mast, nach Sankt Michael
jedoch nur mehr die Sauen. Ehe der Schnee fiel, das
geschah meist vor Sankt Elisabethen, ritt ein Klosterschöff
die Runde und man erwartete ihn. Er raffte einen
Fäustling Walderde auf, dort wo das Schwein nicht zu
oft und nicht zu selten gewühlt hatte, und schätzte den
Ecker. Danach fiel dann der Einlaßzins auf den Kopf des
Schweins.

Über diesen kleinen Tierkreis, der das Firmament
der Gottshausleute umschloß, schwang eine bedeut-
samere Aeitenfolge, die nach dem Haushalte der Gcttes-
mutter zu Einsiedeln geregelt wurde. Alle sieben Jahre
gipfelte der Gnadenstern des großen Engelweihfestes
und schüttete seine Ablaßgarben über die Pilger nieder,
deren viel hundert die Gnadenkapelle umschwärmten.
Aber auch in den sechs andern Jahren lief die Mühle
nicht leer. Wenn nun ein Anwesen, wie das der Ochsner,
an einem ihrer Hauptgänge lag und die Freiheit besaß,
zu Aeiten der Pilgerflut das Rädlein auszustecken, um
den Schmachtenden ein freundliches Aiel für ihres
Leibes Durst und Hunger zu weisen, dann gab es dort
noch andere Aeiten und Sorgen als die der sechs Kühe,
der vierzehn Schafe und zweiundzwanzig Schweine.

Während das Ochsnerhaus unter dem Aeichen des
Rädleins stand, war Wilhelm von Hohenheim zum
erstenmal eingekehrt und hatte den günstigen Stern

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