Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Franck, Hans: Lehmbruck
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0075

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lehmbruck.

och vor wenig länger als einem Iahr stand die
deutscheBildhauerkunstIoweit sienichteinebloße
KünstlersacheIondern eine menschlicheunddamit
eineübernationale Angelegenbeit ist, aufvierAugen. Seit
Lehmbruck im März 1919 in seinem Berliner Atelier den
Gashahn geöffnet hat und freiwillig aus einem Leben
geschieden ist, um dessen menschliche und künstlerische Be-
zwingung er mit einer innerlichen Hingabe wie wenige
Künstler unserer Aeit gerungen hat, ruht sie nur noch auf
den beiden Augen Ernst Barlachs. Es ist kein Aufall,
daß einem in dem Augenblick, wo es gilt, sich über die
Bedeutung des Lehmbruckschen Lebenswerkes klar zu
werden, der Name Barlachs kommt. Beide gehören
zusammen. Nicht nur,was das Ausmaß und dieGewichtig-
keit ihres bildkünstlerischen Werkes betrifft, sondern, so
überraschend das auf den ersten Blick erscheinen mag,
auch um der Art und der Formrichtung ihrer Arbeiten
willen. Beide, Lehmbruck und Barlach, sind Synthetiker.
Sind in der bildenden deutschen Kunst die einzigen
Synthetiker von Rang. Aus der Aeit des Jmpressionis-
mus in die Aeit des Erpressionismus hineinwachsend,
haben beide sich weder an der Nachbildung der Wirklich-
keit genügen, noch sich durch die Verachtung der Wirklich-
keit zugunsten einer prästabilierten Geistigkeit verwirren
lassen. Den Werken beider, Barlachs und Lehmbrucks,
ist das Ausschwingen nach beiden Seiten, das Ausgreifen
ins Erdhafte und ins Allhafte eigen. Wie der Golf-
stronr im Meer kreist in allen Gestalten beider die Sehn-
sucht, aus sich heraus, über sich hinaus zu gelangen. Ein
Horchen und Rufen ins Außerwirkliche, ein Tasten und
Greifen nach dem Ungreifbaren, ein unstillbares Ver-
langen nach dem Außer-Jch, dem Über-Jch bringt für
ihre Schöpfungen eine große grundlegende Gemeinsam-
keit mit sich. Aur Hauptsache ruht sie in Innerlichem: in
dem formfchaffenden Grilndwillen beider, den Wider-
streitzwischen demAus-sich-entweichen-wolleninsGeistige
und dem Jn-sich-gefesselt-sein durch das Erdhafte Aus-
druck, Symbol werden zu lassen. Um die Darstellung
der Spannung zwischen Müssen und Wollen, zwischen
Nach-außen-drängen und Nach-innen-gezwungen-wer-
den, geht es. Nicht, wie der Jmpressionismus oder der
Erpressionismus, das Hüben oder Drüben, die Stoff-
lichkeit oder die Geistigkeit wollen Barlach und Lehnc-
bruck erbilden, sondern das Antithetische, den Awiespalt,
das Aufeinander-angewiesen-sein des Körperhaften und
des Gotthaften im Menschen. Die Beseeltheit des Seelen-
losen, die Geistigkeit des Ungeistigen, die Überirdisch-
keit des Irdischen, die Transparenz des Diesseitigen,
die Beschwingtheit des Belasteten, die Mystik des
Rationalen — das in- und aneinander zu geben,
das Monument werden zu lassen, ist die leitende
Sehnsucht ihres Lebens. Nicht um Formabstrak-
tion (die Mode von heute) noch um Realitätvor-
täuschung (die Mode von gestern) geht es ihnen. Jhr
Ziel ist weder illusionsverachtende Nichts-als-Geistig-
keit, noch gefügige, ungeistige Jllusionsvergötzung, fon-
dern die Darstellung der Durchdrungenheit von Jdee
und Erscheinung, von Unendlichkeit und Endlichkeit, die

Überschneidung der Gebärde, die aus dem Hinaus-
drängen und dem Jn-sich-verhaftet-sein resultiert. Sogar
im Außeren — trotz aller in die Augen springenden
Unterschiede, auf deren Ursprung weiterhin eingegangen
werden soll — zeigt sich das offensichtlich. Sowohl bei
den Werken Berlachs wie bei denen Lehmbrucks bricht
das Gefühlhafte nicht soweit heraus, daß es sich in Ge-
bärden entlädt, die von dem Körperhaften abspringen.
Es wird vielmehr unter allerhöchstem Druck die geschlossen
gegebene Körperhaftigkeit in den Gestalten aufgespeichert,
fo daß es nirgends ausderGesamtkörperlichkeit entweichen
kann, wie die Elektrizität aus den Spitzen, sondern in
ihnen gebunden bleibt. Aum Zweck größerer Wirkung,
zur stets bereiten Entladung in unserem Gefühl.

Trotz dieser Gleichheit, die das Ziel: den ewigen Dua-
lismus, der nrit dem Menschsein gegeben ist, durch künst-
lerische Synthese zu überwinden, mit sich bringt, bleibt
eine große Grundverschiedenheit zwischen dem Lebens-
werk Lehmbrucks und Barlachs. Sie kommen zu dem
gleichen Ziel von der entgegengesetzten Richtung. Barlach
gibt das Geistige, gibt das Transzendente trotz der Erd-
haftigkeit, trotz der Körperschwere seiner Gestalten. Sein
Wille ist von unten nach oben gerichtet, treibt seine Ge-
schöpfe aus dem Boden heraus. Das Allhafte scheint
durch das Leibhafte hindurch. Lehmbruck gibt trotz der
Transzendenz, trotz derGeistigkeitseiner Gestalten Körper-
haftigkcit, Erdigkeit. Seine frei schwebende Sehnsucht
fenkt sich zur Menschlichkeit hinab und reißt sie, alle For-
men in die Höhe reckend, zu sich herauf. Das Körperliche
leuchtet hinter dem Seelischen auf. Bei Barlach dumpfe,
klobige, vom Erdigen nur ganz wenig abgehobene Ge-
stalten, so schwer mit Not und Grauen und Erdhaftigkeit
belastet, daß man sich wundert, wenn sie die Füße zu
heben vermögen und sich nicht als den prallrunden
Baumen gleich im Boden verwurzelt erweisen. Aber
gerade in der Schwere, in der Ungelöstheit, in dem Nicht-
aus-sich-herausfinden-können eine Aufwärtssehnsucht von
unwiderstehlicher Gewalt. Bei Lelunbruck überschlanke,
Himmelan gereckte, differenzierte, gotisch hinaufgerissene
Körper, denen so wenig Erdigkeit beigemischt ist, daß man
sich wundert, wenn ihre Füße an der Erde haften bleiben
und der Sturm ihrer Aufwärtssehnsucht sie nicht der
Erde entführt. Aber gerade durch diese Beimischung des
Erdigen von einer Symbolkraft ohnegleichen, von einer
Gebarde, die mit unsaglicher Innigkeit ins Jenseitige
hinaufweist. Mit einer sehr viel stärkeren, als die zu
schaffen vermögen, die glauben, durch Deformierung der
Natur mehr zu geben als durch ihre Einbeziehung, und
dabei die Torheit jener Unverständigen begehen, die
meinen: wieviel schneller würde die Taube ohne die
Widerstände der Luft fliegen ! Während sie doch in Wahr-
heit ohne ihren Widerstand überhaupt nicht zu fliegen
vermöchte, weil sie nicht trotz seiner, sondern gerade
durch ihn den Auftrieb bekommt, der ihr das Fliegen er-
möglicht. Es ist heute, wo man gar zu gerne
Lehmbruck für den Erpressionismus reklamieren möchte,
während er in Wahrheit ebensowenig ihm angehört wie
dem Jmpressionismus — es ist gerade heute nötig, auf

65

Z
 
Annotationen