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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 3
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Herrigel, Hermann: Die Geistigen und die Politik
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Recklinghausen, Henriette: Die Hände
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0160

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Die Geistigen und die Politik.

andere mil ihm leben. Er ist Sozialist. Seine revo-
lutronären Ziele sind deshalb, das muß offen aus-
gesprochen werden, dem Geistigen in ihrem tiefsten
Grunde unverstandlich und bleiben ihm fremch wie auch
ihm dw revolutionären Aiele der Geistigen nur „bürger-
liche Jdeologie" sind. Man darf sich nicht dadurch
täuschen lasten, daß der Proletaner, wenn er sich aus-
spricht, häufig dieselben Ausdrücke gebraucht ww der
Geistige. Das ist für ihn nur eine Terminologie. die er
übernimmt, mit der er aber einen andern Sinn ver-
knüpft. Ob die revolutionären Aiele der Proletarier
und der Geistigen sich zuleüt vereinigen lassen, vermag
ich nicht zu übersehen. Da beide eine neue Gemein-
schaft erstreben, ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen. —
Wenn aber auch von der Parteipolitik, da sie nicht
auf die Mittel der Politik überhaupt verzichten kann,
keine entscheidende Wirkung erwartet werden darf, so
sind trotzdem die politischen Parteien als Kampforgane
des politischen Kampfes notwendig. Daß politisch ge-
kämpft werden muß, ist eine tragische Notwendigkeit,
die so gewiß bestehen bleibt, wie es innner notwendig
sein wird, daß wir uns um die praktischen Dinge der
Lebensnotdurft bemühen. Nicht das Paradies auf
Erden kann menschliches Aiel sein, weder ein geistiges,
das die Praris, noch ein vitales, das den Geist über-
flüssig macht. Es wird immer Ungerechtigkeit und
Gewalttat geben und — —: wer das Schwert nimmt,
wird durch das Schwert umkommen. Das gilt auch für
die ungerechte Obrigkeit; die Obrigkeit, die sich nur auf
Waffen stützt, wird auch dcirch Waffen gestürzt werden.
Es ist die Folge, nicht bloß der geschichtlich-erfahrungs-
mäßigen, sondern der wesenhaften „Sündhaftigkeit" der
Menschen, daß wir das Böse nicht nur mit Gutem,
sondern daß wir es auch wieder mit Bösem bekämpfen
müssen. Aber das darf nicht als Recht gelten, das darf
nicht das Einzige und Letzte sein, damit darf sich die
Revolution nicht genug sein. Darum aber kann die
Revolution nicht allein von den revolutionären politischen
Parteien getragen sein, sondern sie braucht auch die
Bundesgenossenschaft der jenseits der Parteien stehenden
Geistigen, die an der Revolution wahrlich nicht bloß als
„bürgerliche Jdeologen" im Gefolge des Proletariates
beteiligt sind, sondern in ihr neben dem Arbeiter und
zugleich für ihn ihre eigenen geistigen Aiele verfolgen.
Diese Aielegehenso weit über die der politischen Parteien
hinaus, wie der Radikalismus der Geistigen weiter geht
als der der Politiker. Hermann Herrigel.

ie Hände.

Von Henriette von Recklinghausen.

Es war ein Mann, dem war sein Weib gestorben
und er hielt Totenwacht an ihrem Sarge um Mitternacht,
wie es einem rechten Manne zukommt. Alle Gefreun-
deten, die ihm in seinem Kummer beistehen wollten,
hatte er gebeten, heimzugehen. Anverwandte lebten
ihm nicht in der Stadt, auch die Magd hatte er aus dem
Hause geschickt und war nun allein mit der Toten nach
seinem Willen. Sie war ihm lieb und wert gewesen.
Sie hatten jung gefreit und viele Jahre zusammen
gelebt, wie gute Eheleute zusammen leben sollen.

Da saß er nun, weinte und klagte, nahm ihre kalten

Hände in die seinen und dachte, wie schön sein Weib
gewesen und daß doch das Schönste an ihr diese Hände
waren, die ihm nur Liebes und kein Leides getan hatten,
sein Lebelang. Und er küßte die kalten Hände, die so
weiß und fein auf dem Bahrtuch lagen, wie er sie Aeit
ihres fleißigen Lebens nie gesehen hatte, und dachte
so: „Wenn ich doch nur ihre lieben Hände behalten dürfte!"

Da trat Gottes Engel zu ihm und sprach: „Du Klein-
gläubiger! Hattest du gewünscht mit deinem Weibe zu
sterben, so würde dir Gott jetzt einen sanften Tod schicken
und du stiegest mit mir herauf zur ewigen Seligkeit.
Oder hattest du dir gewünscht, sie möchte wieder leben,
so dürfte ich sie dir erwecken zu einem neuen irdischen
Glück. Nun wolltest du nur ihre Hände haben. So ge-
schehe, wie du begehrt hast. Denn eben ward deines
Weibes Seele untadelhaft gefunden vor Gottes Thron.
Und um ihrer Bitte und um des Wohlgefallens willen,
das Gott der Herr an ihr fand, sollte dir der erste Wunsch
erfüllet werden, den du an ihrem Sarge tätest."

Da verbarg der Mann sein Gesicht und weinte laut.

Der Engel trat zum Sarge und legte den Finger
an die Handgelenke der toten Frau. Da löste sich sacht
Bein von Bein und Fleisch von Fleisch. Wie welke
Lilienblätter vom Kelche fallen, so sanken die Hände
der Toten herab in die Blumen, die man ihr auf die
Brust gelegt hatte. Und der Engel nahm die blassen
Hände auf und hauchte ihnen wieder Leben ein, daß sie
frisch und rosig blühten wie zu der Aeit, da das Weib
noch jung und gesund gewesen war. Dann zog er ein
paar Federn aus seinen wie Perlmutter glänzenden
Schwingen und pflanzte daraus je zwei kleine Flügel
an jedes Handgelenk, so schön und zierlicher noch wie die
Engelsköpfchen sie unterm Kinn tragen, die um die
Madonna schweben. Die also beflügelten Hande legte
er in des Mannes Schoß, verbarg die Arme der Toten
unter den Blumen des Sarges und stieg wieder empor
zu Gott, von dem er gekommen war.

Die Hände aber flogen auf und senkten sich auf des
Mannes Haar und Stirn, so daß er meinte, sein liebes
Weib stünde neben ihm und hätte tröstend die Hand auf
sein Haupt gelegt. Und er weinte stiller und schlief
endlich friedlich ein.

Am Morgen, als er erwachte, fand er schon den Tisch
gedeckt und alles so reinlich und gut hergestellt, wie er
es liebte und wie er es lange entbehrt hatte, weil sein
Weib krank war. Aum erstenmal aß er wieder ein
wenig mit Lust, und als die Träger kamen den Sarg
zu holen, da hing schon sein Hut und Rock säuberlich
gebürstet und gefalten über dem Stuhle neben ihm.

Wäbrend er nun draußen die Tote begrub, flogen
die Hände im Hause umher, als ob sie nie im Sarge
geruht hätten. Sie schürten das Feuer im Herde und
rückten die Töpfe daran und richteten ein Mahl wie alle
Tage. Und zwischendurch wischten sie die Fußspuren
weg, welche die Trauergesellschaft hinterlassen hatte,
und hoben die Aweiglein auf, die von den Totenkranzen
abgefallen waren,unt)stellten sie in ein Glas auf den Tisch.

Der Mann kam nach Hause und fand alles geordnet
und geschmückt und den Tisch gedeckt für zwei. So setzte
er sich denn hinzu. Die Hände trugen ihm die Speisen
auf und während er aß, lagen sie gefaltet vor dem
anderen Teller, so wie sein Weib sie übereinander zu

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