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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 3
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Herrigel, Hermann: Die Geistigen und die Politik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0159

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Die Geistigen und die Politik.

Polilik selber, sondern kann nur cms einem jenseils aller
Polilik Liegenden kommen.

Die Geistigen können daher, auch wenn sie sich zur
Revolution bekennen, nicht in eine revolutionäre politische
Partei eintreten,. weil jede Partei als solche Politik
treiben muß und weil die Aufgabe der Geistigen über
jede Parteipolitik hinausweist. Sie können sich ihre
Aiele nicht durch die politische Taktik der Partei be-
grenzen lassen, da sie damit ihre reine Sachlichkeit mit
der Unsachlichkeit der Politik vertauschen würden. Sache
der Partei ist es nicht, die Wahrheit zu sagen, sondern
„mit Worten Ereignisse zu machen"; die Wahrheit weicht
dem agitatorischen Aweck, die Worte werden zu Mani-
festen, deren Aufgabe es ist, den Kampfwillen für das
Parteiziel zu stärken. Die Partei kann nichts anderes,
als ihr Aiel verfolgen, aber da es Aiel einer Partei ist,
ist es auch immer beschrankt. Da die Geistigen unter
Sozialismus mehr verstehen als die Partei, können sie
nicht da Halt machen, wo die Partei Halt macht und
wo die Politik nach ihren Möglichkeiten und Mitteln
Halt machen muß. Die Geistigen verzichten um der
Sache willen auf die unmittelbare Wirkung, die Partei
verzichtet um des politischen Erfolges willen auf die
Sache. Die Sachlichkeit der Geistigen will das Ganze,
die Agitation der Partei das Einzelne. Die Erneuerung
der Politik, die die Geistigen erstreben, kann daher nicht
von einer Partei, auch nicht der „Partei der Geistigen",
die die Aktivisten gründen wollen, ausgehen, denn jede
Partei ist durch die politische Gegnerschaft der andern
Parteien, auf deren Boden sie sich als Partei gestellt hat,
zur Anwendung derselben politischen Mittel gezwungen.
Es ist aber ein Grundgesetz, daß man neue Aiele nicht
mit alten Mitteln, geistige Aiele nicht mit politischen
Mitteln erreichen kann.

Der Lage des heutigen Geistes entsprechend sind
die Geistigen nicht die Sachwalter eines allen gemein-
samen, d. h. autoritativen Geistes, den sie in der Politik
zur Geltung zu bringen hätten. Jhre heutige Aufgabe
stellt sie in Gegensatz zur Politik überhaupt. Dieser
Gegensatz ist ein methodstcher und erst in zweiter Linie
ein Gegensatz zu den Aielen, soweit diese durch das innere
Wesen der politischen Mittel mitbestimmt und begrenzt
sind. Jn der Stellung der Geistigen zur Politik liegt
daher noch keine Entscheidung für oder gegen eine be-
stimmte politische Partei, sondern nur gegen jede Partei
überhaupt, mag übrigens die politische Gesinnung sein,
welche sie wolle.

Wenn schon aus diesem allgemeinen Grunde der
Anschluß der Geistigen an die politische Revolution nicht
möglich ist, da diese bis jetzt wenigstens noch keine neuen
politischen Formen schuf, so kommt dazu noch, daß
zwischen den Geistigen und dem Proletariat auch ein
Gegensatz in den revolutionären Motiven besteht, über
den man sich nicht hinwegtäuschen darf. Rudolf Hartig
sagt in einem Aufsatz über das „Problem der Jntellek-
tuellen" (Der Arbeiterrat 1920, Heft 5/6): „Der Geistige
muß sich bewußt sein, daß er zum Proletariat kommt und
damit den Ehrennamen des Proletariats annimmt. Er
muß manches in sich selbst unbewußt wirkende bourgeoise
Empfinden oder vielleicht besser gesagt, manche Empfind-
samkeit ablegen. Er darf sich nicht umsehen nach den

///

Lockungen des bürgerlichen Lebens. Es wird sich ihm
eine neue, wahrhaft höher zu wertende Welt auftun,
die durch das Aufgeben manches Liebgewordenen selber
an Wert vor dem sittlichenBewußtsein gewinnen wird.
Es muß nur das Auge da sein, das sehen, das Ohr,
das hören will, und der Wille, mitzutun, um die sittliche
Vollendung der Welt und der Menschen zu bchchleunigen."
Allein um „Empfindsamkeit" handelt es sich nicht bloß,
der Gegensatz ist ein viel tieferer. Gebildete und Un-
gebildete, Geistige und Ungeistige wohnen heute in
zwei einander ganz fremd gewordenen Welten, deren
Fremdheit nicht bloß die des Bürgerlichen und des
Proletariers ist. Sie reden mit den gleichen Worten
eine fremde, einander unverständliche Sprache. Die
ganze innere Struktur des Weltbildes der Gebildeten isi
beherrscht von dem idealistischen Gedanken, daß alles
Außere von innen her bestimmt ist. Das führt unaus-
weichlich zu der atomistischen Aersplitterung des modernen
Individualismus. Der Ungebildete dagegen lebt immer
noch in einer konkreten Sinnenwelt, die zwar vom
Gebildeten aus gesehen materialistisch sein mag, die aber
nichtsdestoweniger dem Religiösen näher liegt. Dieser
selbe Gegensatz besteht auch zwischen den beiderseitigen
revolutionären Grundmotiven. Die revolutionäre Energie
der Geistigen, wobei das Wort nicht in dem früher
bestimmten engeren Sinne genommen zu werden
braucht, sondern alle einschließt, die an der heutigen
formalen „Bildung" Anteil haben, ist in seinem Kern
idealistisch. Es ist der Geist der Jugendbewegung, der
sich gegen die erstarrten Lebensformen wendet und
einen Neuaufbau aus der Unmittelbarkeit des „Erleb-
nisses" erstrebt. Dieser revolutionäre Wille hat auch
schon vor der Revolution vielfachen Ausdruck gestinden;
es sei hier nur erinnert an Simmel, der in seinem Vortrag
über den Konflikt der modernen Kultur sagt: „Ietzt
erleben wir diese neue Phase des alten Kampfes, der
nicht mehr Kampf der heute vom Leben gefüllten Form
gegen die alte leblos gewordene ist, sondern Kampf des
Lebens gegen die Form überhaupt, gegen das Prinzip
der Form. — Auf den abstrakten Ausdruck gebracht,
der doch die ganze reale Willenslinie zeichnet, ist es der
Kampf des Lebens um sein Selbstsein; es will, wo es
sich ausspricht, eben nur sich selbst aussprechen und
durchbricht deshalb jede Form, die ihm von einer andern
Wirklichkeit, die um ihrer Wirklichkeit willen, oder von
einem Gesetz, das um des Gesetzes willen gilt, auferlegt
werden soll." Jn der Revolution begrüßten die Geistigen
daher den Ausammenbruch der alten Formenwelt und
die Bodenbereinigung für den Aufbau einer neuen, nicht
auf Awang, sondern auf Freiwilligkeit und Brüderlichkeit
aufgebauten Gemeinschaft. Nach der oben geschilderten
Lage des heutigen Geistes und der damit den Geistigen
gestellten Aufgabe kann auch ihre Beteiligung an der
Revolution keine andere sein, denn in diesem Willen
lebt derselbe Geist der Sachlichkeit. Er ist im Grunde
individualistisch und geht aus auf einen individualistischen
Aufbau derGemeinschaft. Der Transzendentalidea-
list kann nicht Sozialist sein. DerProletarierdagegen
ist ebenso wie sein Weltbild noch nicht atomisiert, er ist
als Mensch der Masse noch Gemeinschaftsmensch, schon
damit, daß er in einer konkreten Welt lebt, in der auch

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