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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 1
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Rüttenauer, Benno: Von Fremdwörtern
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Dörfler, Anton: Aus "Einige Wunder und Feste aus der Schule zu Wunnentor"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0059

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etwas Gemeines, eine Sache niedrigern Grades; damit
ein „anständiger" Mensch hineingehen kann, muß es
Hotel heißen (obwohl doch in Frankreich jede Fuhr-
mannsherberge so heißt) und muß sich sein Türsteher
„Portier" betiteln lassen, er könnte sich sonst als Mann
von Massentrinkgeld degradiert fühlen, und gespeist
wird darin nicht, sondern diniert usw. Keinen schlim-
nieren Kumpan kenne ich unter allen Fremdwörtern,
die uns zu fremdlandischer Aussprache tyrannisch zwin-
gen, als dieses Diner. Jch hasse ihn wohl darum so sehr,
diesen frechen Franzosen, weil er ein so dummdeutsches
Gesicht macht, womit er uns förmlich zu verspotten
scheint. Aber versucht es nur einmal, diesen Bengel
hinauszukehren. Jch muß leider bezweifeln, daß es euch
so bald gelingen wird. So ein einziges Wort bei euch,
sagte mir einmal einer unserer heutigen Todfeinde,
enthält eine ganze Geschichte kultureller Unterlegenheit
unsererseits. Das mag Unsinn sein, aber immerhin ....
Also ein erfreuliches Kapitel ist es nicht. Aber natürlich,
man kann darüber hinwegsehen.

Jch selbst gehöre leider nicht zu diesen Hinwegsehern.
Jch gehöre nicht zu denen, die sich,im Trinken nicht
stören lassen, wenn ihnen eine Mücke in ihrem Wein
vorkommt; mir kann ein einziges Wort, das ich nicht als
reinlich empfinde, eine Seite der besten Prosa ver-
derben. Mögen tausende dies als eine Lappalie, als eine
Überspanntheit bezeichnen; ich muß leider die Mücke
ernster nehmen ()venn ich sie deswegen auch nicht zum
Elefanten machen will), ich empfinde sie als eine tief
schmerzliche Sache und gehöre doch keineswegs, wie man
gesehen hat, weder in Praris, noch Theorie, zu den
„Puristen". Sie begreifen nicht, daß in allen Dingen
und besonders in feinen und vernvickelten Aufgaben
weises Maßhalten und Takt Grundbedingungen sind
des Erfolgs, und daß es Fragen gibt, wo der Geschmack
das letzte Wort haben nniß. Benno Rüttenauer.

us „Eimge Wunder und Keste
aus der Schule zu Wunnentor"?)

Bon Anton Dörfler.

Zum Eingang.

Wenn die Kinder von Wunnentor — das aclch dic
neuesten Karten von Deutschland immer noch nicht
zeigen — durch die ersten zwei Schuljahre gekommen
waren, lesen und schreiben konnten, den Dingen ihrer
Umgebung den rechten Nanlcn wußten und also an-
fingen an ihr eigenes Großwerden zu glauben: damr
kamen sie ouf zwei Jahre zum Lehrer Walt. Er entließ
sie nachher in die eigentliche Gelehrtenschule.

Wie es in diesen zwei Jahren bei Walt herging —
davon sollen die nachfolgenden Geschichten und Berichte
erzahlen.

Wunder und Feste diese Erülnerilngen zcl nennen,
rechtfertigt sich wohl.

Die Schule in Wunnentor lvar keine Lernanstalt,
viel eher ein Versammülngshaus der Jugend, ja einc

*) Siehe Besprechung am Schluß des Heftes.

Nus „Einige Wunder und Feste aus der Schule zu Wunnentor".

eigene Welt, in der die jungen, werdenden Menschen
vollkommen als solche ernst genommen wurden. Das
Lernen kam hier eigentlich — man kann sagen — so
nebenbei mit heraus. Daß die Schulordnung anders
war, wie man sie gemeinhin gewohnt ist, braucht keine
Bestätigung. Jhre hauptsächlichsten Eigenheiten werden
sich aus den Erzählungen selbst ergeben. Es soll hier
ja keineswegs ein neues Programm aufgestellt werden.

Von Walt, dem Lehrer, ließe sich wohl allerlei sagen
— er war landauf und landab durch die Welt gefahren,
ehe er nach Wunnentor kam — aber was letzten Endes
wissenswert ist von ihm, müssen auch die Geschichten
aus seincr Schule aufzeigen.

Dies nur mag hier stehen: er hatte jede Tiefe und
jede Höhe der Menschlichkeit erkannt, trug ein sehnendes
Ahnen nach einem kommenden Heiland der Jrdischkeit,
einem Gesegneten der Mutter Erde uiK liebte darum
mit seltsamer Verwandlungsfähigkeit, mit einer rest-
losen Hingebung und Einverwobenheit seines WesenS
in das Allumlebendige jedes Rühren und Regen, das
frei, mcltig und froh in die Uncndlichkcit hinan und
hinaus verlangte.

Jahrtausende an Vergangenheit cnrd Jahrtausende
an Zukunft waren ihm nie zu fern, einen Herzschlag
Gegenwart leuchtend damit zu erfüllen.

Wenn sie anfingen, Deutschland kennen zn lernen,

so dauerte es nicht lange, da kam meist cin sonnenfroher
Frühlingstag daher und in der ersten Schulstunde erhob
sich die ganze Schar — einige trugen riesengroße, zu-
sammengerollte Landkarten — und nran marschierte
singend aus dem Städtchen über die Rehwiese und
drüben durch den Habichtswald zum Gipfel des Laub-
felsen encpor. Der trug keine Bäume mehr; aber die
Spitzcn der Fichten und Kiefern, der Eichen, Buchen
und Eschen regten sich einem zu Füßen bei jedem Wind-
zug. Und scbließlich hieß es: „So, Kinder, daß ihr's
nur wißt, jetzt stehcn wir in der Mitte von Deutschland
und können das ganze weite Reich in seiner vollen Schön-
heit überschaucn. Wenn die Augen, die wir im Kopf
haben, auch dazu nicht ausreichen, dann müssen eben
die Traumaugen tief drinnen in uns ihre Strahlen
auösenden und denen ist ja niemalen eine Reise zu weit. —
Was da jetzt nahebei um uns herumliegt, kennen wir
schon. Darum grüßen wir es!"

Und man rief in die vier Himmelsgegenden Grüße
an die Walder und Fluren, an die Städte und Dörfer
hinaus, an die Geister der Männer, die in vergangenen
Tagen Großes in diesen Gegenden ersonnen oder ge-
schaffen hatten. Namen jauchzten auf und flatterten
wie jubelnde Vögel dahin. Man rief jedem der Land-
siriche seine besondere Schönheit und Eigcnart, den
Glanz seiner Geschichte zu. Eine Huldigung war diese
Wiederholung des Gelernten. Und wer etwas vergessen
hatte, fand es wieder, erweckt von der Freude und dcr
grüßenden Begeisterung im Angesicbt des frühlingshellen
Vaterlandes.

*

Dann wurden die großen Karten von Deutschland
auf dem Boden ausgebreitet. Und im nachsten Augen-

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