Richard Dehmel s.
Friedrich Nietzsche hieß scin Prophet,und seine Erlösungen
zielten nicht auf das arbeitende Volk. Während die
„Familie Selicke" von Johannes Schlaf das Programm-
stück der neuen Aeit wurde, während Gerhard Haupt-
mann mit den „Webern" und „Hanneles Himmelfahrt"
die soziale Begeisterung der Jugend an sich riß, wühlte
Richard Dehmel nach der anderen Richtung. „Aber die
Liebe" hieß er sein zweites Buch und es war die Liebe
im allzumenschlichen Sinn, um die er sein Dasein wagte.
Jn den „Verwandlungen der Venus" suchte ein Brünstiger
zwar nach dem Ewigen, aber doch so, daß er jede Lust
auskosten wollte.
Das glühende Buch, seltsamerweise mit einer geruh-
samen Vignette von Thoma geziert, wurde das stärkste
menschliche Dokument seiner Aeit, vielleicht nicht nur in
Deutschland. So hatte noch keiner mit seiner Natur
gerungen, so waren noch keine Verse ins Geschlecht
gedichtet worden, so hatte kein Mann die dunklen Gründe
seiner Triebe zu durchleuchten versucht. Die Wirkung
mußte kommen, wie das Buch war: die Prüden riefen
nach dem Sittenrichter; die Liebeslyriker, die damals
noch einen bürgerlichen Stand vorstellten, rangen die
Hände; die Hitzigen sahen den Beschwörer ihrer Nöte.
Seitdem war Richard Dehmcl eine Gestalt im geistigen
Deutschland, aber seine bleiche Stirn trug keinen Lorbeer-
kranz und auf die Liebe seines Volkes — von der er
ekstatisch sang — wurde ihm nur von einer kleinen Schar
Jndividualisten ein Vorschuß gezahlt: Der gebildete
Bürger der neunziger Jahre war nicht geneigt, sich
seine Jdeale derart zerstören zu lassen. Er wartete
eigentlich nur auf einen Anlaß, diesen Nihilisten seiner
wahren, guten und schönen Gesinnung unschädlich zu
machen; und dieser Anlaß wurde ihm gegeben, als
Richard Dehmel mit seinem dritten Buch, den „Lebens-
blättern", auch als Dichter eine Gestalt wurde.
Wie seine „Erlösungen" als Form noch so herkömmlich
waren, daß kein Geringerer als der Nilromanschreiber
Georg Ebers sie dem Verlag Goeschen empfehlen konnte,
so entsprach auch in „Aber die Liebe" keineswegs eine
ungewöhnliche Sprache dem ungewöhnlichen Jnhalt.
Die rhetorische Lyrik der „Erlösungen" war rhapsodisch
angeschwollen, und nur die feierliche Dunkelheit mancher
rauschenden Wortgefüge ließ einen neuen Priester der
Sprache ahnen. Der aber trat in den „Lebensblättern"
mit Hartnäckigkeit ans Licht. Die breit wogenden Gesänge
traten zurück hinter knappenGedichten, die allesGoetbisch-
Heysesche verließen — damals empfand man in Deutsch-
land Goethe Paul Heysisch — und in ihrer spröden
Wortkraft dem Bürger als unlyrisch und, wenn er im
Brustton urteilte, als blühender Unsinn erschienen. Als
der Bürger erst das „Trinklied" gehört hatte, war er
mit der unangenehmen Erscheinung dieses Dichters fertig:
er konnte lachen und jahrelang hatten die Preßfedern
der deutschen Bildung die dankbare Aufgabe, den Hohn
des beleidigten Bürgers in Gelächter umzugießen. Da
wurde alles an Richard Dehmel gerächt, was der Deutsche
gegen die moderne Literatur und gegen ihren bleichen Don
Quichotte zu Pankow bei Berlin auf dem Herzen hatte.
Wenn es damals schon einen Erpressionismus und
die Schar seiner glühenden Lobpreiser gegeben hätte,
wäre Richard Dehmel vielleicht ein Theodor Däubler
geworden, obwohl er für billigen Lorbeer zu grüblerisch
war. So aber traf ihn die Wirkung schmerzlich; denn
wenn je ein Großer um das Aiel seiner Leistung Bescheid
wußte, so war es Richard Dehmel: er hatte mit seinen
Gedichten nicht eine neue Versform — wie blinde Nach-
ahmer meinten — sondern eine neue dichterische Sprache
geschaffen; und tatsächlich zehren bis heute die „neu-
tönenden" Jünglinge von dem Brot, das er damals buk.
Die gesamte deutsche Lyrik seit Goethe hatte — selbst
einen so wundersamen Lyriker wie Mörike eingerechnet —
das Gold goethescher Lyrik ausgemünzt, und erst durch
Nietzsche war ein gläserner Klang lateinischer Herkunft
hinein gekommen: Dehmel war kein Lateiner — sein
Vater war ein Förster wendischer Abkunft in der Mark
und seine Mutter eine Rheinländerin — wie er als
Einziger das Problem seines Daseins angriff, keinem
Jdeal mehr trauend, so begann er auch in der Sprache
den Kampf gegen die Überlieferung. Tief mißtrauisch
gegen ihre durch Goethe launig festgestellte Gabe, für
den Gebraucher zu dichten, urfeind gegen alle herkömm-
liche Verlockung des melodischen Versschrittes und
harmonischen Klangreichtums, fing er an, aus dem
vokalen Klang der Silben und aus ihrer Urbedeutung
sich eine neue Musik zu erraffen; seitdem Kleist sich die
epische Sprache seines Kohlhaas erkämpfte, ist an der
deutschen Sprache nicht so gründlich gearbeitet worden,
als da Richard Dehmel sich seinen lyrischen Ausdruck aus
der Tiefe heraus wühlte.
Er wußte, wie gesagt, genau, was er da leistete,
und er empfand es bitter — was die Nachwelt leicht-
herzig zu vergessen pflegt — daß nicht einmal seine Ab-
sicht verstanden wurde. Daß die gebildete Presse an
ihm das Mütchen des beleidigten Bürgers kühlte, über-
stand sein Trotz leichter, als daß ihm auch die Freunde
seine forcierte Sprache vorhielten; als ihm danach durch
die Denunziation des „Balladendichters" Börries von
Münchhausen sozusagen ein sittenpolizeiliches Urteil auf
den Hals gehetzt wurde, schlug sein lachender Trotz in
Bitterkeit um: als Kanaille vor seinem Volk dazustehen,
das war schließlich nicht die Rolle, an die er gedacht hatte.
Denn dieser Mann, der so trotzige Dinge vermochte,
war irgendwo ein gläubiges Kinderherz; er konnte in
all seiner bohrenden Sehnsucht glauben, wirklich die
Stimme des Volkes zu sein, und er war dann wie aus
einem schönen Traum erwacht, wenn er sich in der
schnöden Wirklichkeit so einsam sah.
Darum ließ er nicht ab, das seine zu tun: mit seinem
vierten Buch „Weib und Welt" nahm er sein altes Thema
wieder auf, um es dann in seinen „Awei Menschen"
zu einer schmerzlich geglaubten Vollendung zu bringen.
Dieser Roman in Romanzen besiegte endlich den Wider-
stand des gebildeten Bürgers und seiner Presse; große
Tageszeitungen, wie etwa die Kölnische Aeitung, die bis
dahin den billigen Sport seiner Verhöhnung mitbetrieben
hatte, brachten „Feuilletons" über das Werk und be-
zeugten — niemand war da, über sie zu lachen — dem
Dichter ihre Achtung. Da die Verse in diesem Buch
zum Teil abgründig schön aber grundsätzlich nicht anders
waren, als in den „Lebensblättern" und in „Weib und
Welt", konnte der Umschwung des Urteils nur im Bau
in der Handlung des Werkes begründet sein — und
Friedrich Nietzsche hieß scin Prophet,und seine Erlösungen
zielten nicht auf das arbeitende Volk. Während die
„Familie Selicke" von Johannes Schlaf das Programm-
stück der neuen Aeit wurde, während Gerhard Haupt-
mann mit den „Webern" und „Hanneles Himmelfahrt"
die soziale Begeisterung der Jugend an sich riß, wühlte
Richard Dehmel nach der anderen Richtung. „Aber die
Liebe" hieß er sein zweites Buch und es war die Liebe
im allzumenschlichen Sinn, um die er sein Dasein wagte.
Jn den „Verwandlungen der Venus" suchte ein Brünstiger
zwar nach dem Ewigen, aber doch so, daß er jede Lust
auskosten wollte.
Das glühende Buch, seltsamerweise mit einer geruh-
samen Vignette von Thoma geziert, wurde das stärkste
menschliche Dokument seiner Aeit, vielleicht nicht nur in
Deutschland. So hatte noch keiner mit seiner Natur
gerungen, so waren noch keine Verse ins Geschlecht
gedichtet worden, so hatte kein Mann die dunklen Gründe
seiner Triebe zu durchleuchten versucht. Die Wirkung
mußte kommen, wie das Buch war: die Prüden riefen
nach dem Sittenrichter; die Liebeslyriker, die damals
noch einen bürgerlichen Stand vorstellten, rangen die
Hände; die Hitzigen sahen den Beschwörer ihrer Nöte.
Seitdem war Richard Dehmcl eine Gestalt im geistigen
Deutschland, aber seine bleiche Stirn trug keinen Lorbeer-
kranz und auf die Liebe seines Volkes — von der er
ekstatisch sang — wurde ihm nur von einer kleinen Schar
Jndividualisten ein Vorschuß gezahlt: Der gebildete
Bürger der neunziger Jahre war nicht geneigt, sich
seine Jdeale derart zerstören zu lassen. Er wartete
eigentlich nur auf einen Anlaß, diesen Nihilisten seiner
wahren, guten und schönen Gesinnung unschädlich zu
machen; und dieser Anlaß wurde ihm gegeben, als
Richard Dehmel mit seinem dritten Buch, den „Lebens-
blättern", auch als Dichter eine Gestalt wurde.
Wie seine „Erlösungen" als Form noch so herkömmlich
waren, daß kein Geringerer als der Nilromanschreiber
Georg Ebers sie dem Verlag Goeschen empfehlen konnte,
so entsprach auch in „Aber die Liebe" keineswegs eine
ungewöhnliche Sprache dem ungewöhnlichen Jnhalt.
Die rhetorische Lyrik der „Erlösungen" war rhapsodisch
angeschwollen, und nur die feierliche Dunkelheit mancher
rauschenden Wortgefüge ließ einen neuen Priester der
Sprache ahnen. Der aber trat in den „Lebensblättern"
mit Hartnäckigkeit ans Licht. Die breit wogenden Gesänge
traten zurück hinter knappenGedichten, die allesGoetbisch-
Heysesche verließen — damals empfand man in Deutsch-
land Goethe Paul Heysisch — und in ihrer spröden
Wortkraft dem Bürger als unlyrisch und, wenn er im
Brustton urteilte, als blühender Unsinn erschienen. Als
der Bürger erst das „Trinklied" gehört hatte, war er
mit der unangenehmen Erscheinung dieses Dichters fertig:
er konnte lachen und jahrelang hatten die Preßfedern
der deutschen Bildung die dankbare Aufgabe, den Hohn
des beleidigten Bürgers in Gelächter umzugießen. Da
wurde alles an Richard Dehmel gerächt, was der Deutsche
gegen die moderne Literatur und gegen ihren bleichen Don
Quichotte zu Pankow bei Berlin auf dem Herzen hatte.
Wenn es damals schon einen Erpressionismus und
die Schar seiner glühenden Lobpreiser gegeben hätte,
wäre Richard Dehmel vielleicht ein Theodor Däubler
geworden, obwohl er für billigen Lorbeer zu grüblerisch
war. So aber traf ihn die Wirkung schmerzlich; denn
wenn je ein Großer um das Aiel seiner Leistung Bescheid
wußte, so war es Richard Dehmel: er hatte mit seinen
Gedichten nicht eine neue Versform — wie blinde Nach-
ahmer meinten — sondern eine neue dichterische Sprache
geschaffen; und tatsächlich zehren bis heute die „neu-
tönenden" Jünglinge von dem Brot, das er damals buk.
Die gesamte deutsche Lyrik seit Goethe hatte — selbst
einen so wundersamen Lyriker wie Mörike eingerechnet —
das Gold goethescher Lyrik ausgemünzt, und erst durch
Nietzsche war ein gläserner Klang lateinischer Herkunft
hinein gekommen: Dehmel war kein Lateiner — sein
Vater war ein Förster wendischer Abkunft in der Mark
und seine Mutter eine Rheinländerin — wie er als
Einziger das Problem seines Daseins angriff, keinem
Jdeal mehr trauend, so begann er auch in der Sprache
den Kampf gegen die Überlieferung. Tief mißtrauisch
gegen ihre durch Goethe launig festgestellte Gabe, für
den Gebraucher zu dichten, urfeind gegen alle herkömm-
liche Verlockung des melodischen Versschrittes und
harmonischen Klangreichtums, fing er an, aus dem
vokalen Klang der Silben und aus ihrer Urbedeutung
sich eine neue Musik zu erraffen; seitdem Kleist sich die
epische Sprache seines Kohlhaas erkämpfte, ist an der
deutschen Sprache nicht so gründlich gearbeitet worden,
als da Richard Dehmel sich seinen lyrischen Ausdruck aus
der Tiefe heraus wühlte.
Er wußte, wie gesagt, genau, was er da leistete,
und er empfand es bitter — was die Nachwelt leicht-
herzig zu vergessen pflegt — daß nicht einmal seine Ab-
sicht verstanden wurde. Daß die gebildete Presse an
ihm das Mütchen des beleidigten Bürgers kühlte, über-
stand sein Trotz leichter, als daß ihm auch die Freunde
seine forcierte Sprache vorhielten; als ihm danach durch
die Denunziation des „Balladendichters" Börries von
Münchhausen sozusagen ein sittenpolizeiliches Urteil auf
den Hals gehetzt wurde, schlug sein lachender Trotz in
Bitterkeit um: als Kanaille vor seinem Volk dazustehen,
das war schließlich nicht die Rolle, an die er gedacht hatte.
Denn dieser Mann, der so trotzige Dinge vermochte,
war irgendwo ein gläubiges Kinderherz; er konnte in
all seiner bohrenden Sehnsucht glauben, wirklich die
Stimme des Volkes zu sein, und er war dann wie aus
einem schönen Traum erwacht, wenn er sich in der
schnöden Wirklichkeit so einsam sah.
Darum ließ er nicht ab, das seine zu tun: mit seinem
vierten Buch „Weib und Welt" nahm er sein altes Thema
wieder auf, um es dann in seinen „Awei Menschen"
zu einer schmerzlich geglaubten Vollendung zu bringen.
Dieser Roman in Romanzen besiegte endlich den Wider-
stand des gebildeten Bürgers und seiner Presse; große
Tageszeitungen, wie etwa die Kölnische Aeitung, die bis
dahin den billigen Sport seiner Verhöhnung mitbetrieben
hatte, brachten „Feuilletons" über das Werk und be-
zeugten — niemand war da, über sie zu lachen — dem
Dichter ihre Achtung. Da die Verse in diesem Buch
zum Teil abgründig schön aber grundsätzlich nicht anders
waren, als in den „Lebensblättern" und in „Weib und
Welt", konnte der Umschwung des Urteils nur im Bau
in der Handlung des Werkes begründet sein — und