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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 3
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Grolman, Willy von: Meisterwerke altdeutscher Plastik: zur Ausstellung im Wiesbadener Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0142

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Meisterwerke altdeutscher Plastik.

artung in das spielerisch Ornamentale ein, aber selbst an
dem in dieser Beziehung berüchtigtsten Werk, dem großen
Hochaltar in Breisach, gediehen dabei noch Blüten von
so köstlich deutscher Märchenstimmung wie jene wunder-
volle Krone der Maria (Abb. 9). „Dann tritt fast plötzlich
der Umschwung ein: der ins Vornehme stilisierte, selbst-
bewußte Herrenmensch erscheint, mit dem die moderne
Aeit geboren wird"*).

Hier ergibt sich ein neues Problem, das an dieser
Stelle freilich nur flüchtig berührt werden kann: es ent-
steht die Frage, wieweit ist dieser neue Typ nur ein Werk
künstlerischer Stilisierung, wie weit stellt er eine Um-
bildung des Menschen selber dar? Der Breidenbach, der
Nikodemus stammen aus einer Welt, die nicht mehr die
unsrige ist, aber der Graf Ottenstein aus dem Doppel-
grabmal in Oberwesel von 1520 — eine der herrlichsten
Schöpfungen der so kurzlebigen deutschen Renaissance —
könnte noch heute unter uns als Kavallerieoffizier er-
scheinen, ohne aufzufallen.

Einer, dem am frühesten das Kommende im Blute
lag, ist Peter Vischer der Altere nebst seiner ganzen
Familie. Dank der Liebenswürdigkeit des leider nach
glücklich überstandenem Feldzug der Grippe zum Opfer
gefallenen jungen Forschers Alerander ?Aeier konnte ich
die für ihn gemachten Aufnahmen der das Sebaldusgrab
krönenden Prophetenfigürchen für die Ausstellung be-

*) ZiNert aus meiner Einführung zum Ausstellungskrtalog.

nutzen, von denen die schönste auch an dieser Stelle wieder-
gegeben sei (Abb. 12). Hier wie übrigens an dem ganzen
Hauptwerk der Vischer paart sich die Frische unmittelbarer
Naturbeobachtung mit einer grandiosen stilistischen Ver-
einfachung der Form, die aber nun wieder mehr der Ver-
herrlichung des Körpers und derHerrscherinstinkte des Men-
schen gewidmet ist: der alte Adam hat über Jesus gesiegt.

1519 ward das Sebaldusgrab vollendet, die Höhe war
überschritten,zehn Jahre spater war die deutsche Plastik tot.

Man klagt dafür den Import der „antikischen Form",
um mit Dürer zu reden, an, nennt aber hiermit nur eine
Teilursache. Jn den Niederlanden bildet der Romanis-
mus — so wenig erfreulich er auch hier in seinen An-
fangen war — doch die Vorbereitung der Kunst des
Rubens. Deutschland aber versank in über 150jahrige
Glaubenskampfe und -krämpfe, um mit dem West-
fälischen Frieden in halb barbarischeni Austande und
einem fast menschenleeren Lande — mit der Einwohner-
zahl des heutigen Groß-Berlin — zu erwachen. Wie
damals die Jdee der Rechtgläubigkeit — man möchte
fast an die Substanzialität der „Jdeen" im Sinne Platos
glauben — die Menschheit zerspaltete und zerfraß, so
heute die des Nationalismus und des Imperialismus, die
nun Europa abermals in einen kaum geringeren Ab-
grund schleuderten, während schon neuer Wahn, der des
Kommunismus, einen mit Blut und Leichen bedeckten
Feldzug gegen die Vernunft eröffnet hat.

W. von Grolman.

Abb. 12. Zwei Statuetten (David und Samuel) vom Sebaldusgrab in
Nürnberg. Aufnahme von F. Schmidt Nachf., Nürnberg.
 
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