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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.

müssen wir davon absehen, unserer Betrachtung der mykenischen Kunst-
denkmäler, oder, genauer gesagt, des an denselben zu Tage tretenden
Pflanzenornaments einen bestimmten ethnographischen Ausgangspunkt
zu Grunde zu legen. Wir wollen versuchen diese Kunst ausschliesslich
von denjenigen Gesichtspunkten aus zu charakterisiren, die uns im Zu-
sammenhange der gestellten Aufgabe interessiren; vielleicht wird sich
uns daraus umgekehrt die Möglichkeit ergeben, auf die ethnographische
Frage Rückschlüsse zu ziehen.

Eine Charakterisirung der mykenischen Kunst nach allen ihren
Seiten hin ist bisher nicht geliefert, ja nicht einmal versucht worden.
Die Ursache hiefür liegt zweifellos darin, dass bei der Betrachtung der
bezüglichen Denkmäler neben vielem Bekannten manches Fremdartige
aufstösst, dessen Einreibung in die hergebrachte Schablone des orien-
talischen Ursprungs nicht recht gelingen will, und das anderseits auch
mit späterer hellenischer Weise keinen augenfälligen Zusammenhang
aufweist. Aus verschiedenen Gründen glaubt man ein hohes Alter für
die Blüthezeit dieser Kunst, jedenfalls mehrere Jahrhunderte vor dem
Jahre Eintausend annehmen zu sollen; damit lassen sich wiederum
Funde von so vorgeschrittener technischer und künstlerischer Be-
schaffenheit, wie etwa der Becher von Vaphio, anscheinend schwer ver-
einbaren.

Goodyear allerdings trägt auch hinsichtlich der mykenischen Kunst
keine Bedenken, sie durchaus egyptischem Ursprünge zuzuweisen1").
Von den ornamentalen Motiven der mykenischen Kunst lässt er nur
dem Tintenfisch eine selbständige, von Egypten unabhängige Bedeutung
zukommen, und selbst diese eine Ausnahme scheint ihm an Werth sehr
viel eingebüsst zu haben, seitdem zwei mykenische Vasen mit Tinten-
fischen auf egyptischem Boden gefunden worden sind. Nun ist doch
im Allgemeinen die vorherrschende Tendenz der klassischen Archäologie
eine orientfreundliche; wenigstens haben Ausführungen, die, wie etwa
diejenigen Milchhöfer's, ein europäisch-autochthones nichtorientalisches
Moment in der mykenischen Kunst zu wesentlicher Geltung bringen
wollten, bisher wenig entgegenkommende Aufnahme gefunden. Es muss
also der Sachverhalt doch nicht so klar und überzeugend daliegen wie
er Goodyear erscheint, wenn wir wahrnehmen, dass dieser Forscher mit
seiner radikalen Theorie vom ausschliesslich egyptischen2) Ursprünge

A. a. 0. S. 311 ff.

■) Die egyptische Kunst wird ja auch zur altorientalischen im weitesten
Sinne gezählt.
 
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