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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0042
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32

ARCHITEKTUR.

an diesem aber in minderem Grade) so gut wie verloren gegangen ist. Es ist dies genau die
gleiche Erscheinung, die uns in der gleichzeitigen Sculptur und Malerei als Hässlichkeit und Roheit
der Figuren entgegentritt; und auch die treibenden künstlerischen Ursachen sind da und dort
die gleichen gewesen, wie sich bei Gelegenheit der Untersuchung der spätrömischen Entwicklung
in der Sculptur des näheren wird ausweisen lassen. Die Parallele verdient deshalb schon an
dieser Stelle angemerkt zu werden, weil die Ausbildung des Bautypus der Basilika wohl von
niemandem dem Einflüsse der nordischen Barbaren zugeschrieben werden dürfte, und somit
wenigstens auf architektonischem Gebiete der mittelländische Ursprung für eine Erscheinung
sichergestellt ist, deren entschieden anticlassischer Charakter nicht allein in der Detailbehandlung,
sondern in der allgemeinen Grundanlage, gemäß der bisherigen Anschauung auf Rechnung der
„Barbarisierung" gesetzt werden müsste.
Das Äußere der christlichen Basilika trägt alle Merkzeichen eines Massenbaues zur
Schau. An jeder der vier Seiten tritt aus der ebenen Wand des Hauptbautheiles — des Mittel-
schiffes — unten ein Nebenbau heraus: an der Fagade das Atrium (weshalb es innerhalb der
altchristlichen Basilika zum Begriffe einer Fagade niemals gekommen ist), an den Flanken die
Seitenschiffe (und eventuell die Querarme eines Transepts), an der Abschlusswand die Apsis.
Das Herausspringen des Bauwerkes in seiner Gesammtheit aus der Grundebene ist dadurch
wirksam angedeutet, wiewohl dasjenige, was vom Hauptbau jeweilig sichtbar ist, eine ebene
Wandfläche bildet. 1
Der charakteristische Unterschied gegenüber dem centralen Massenbau liegt in dem
geflissentlichen Vermeiden einer alle Seiten gleichmäßig beherrschenden Dominante. Das Wider-
streben dagegen war so groß, dass die altchristliche Basilica sogar den Thurm grundsätzlich
abseits gestellt hat, während die Nordländer bezeichnendermaßen sich dieses Mittels zur stoff-
lichen Vereinheitlichung des Bauwerks durch einen krönenden Abschluss nach oben sofort
bemächtigt haben. Für den Centralbau war die Dominante (als centrale Kuppel) ein Mittel
zu einer (freilich nur mehr losen) Verbindung mit der Grundebene, für den romanischen
und gothischen Dom (als Thurm) ein Mittel zur Verbindung mit dem unendlichen Raume:
die altchristliche Basilika hat beide Arten der Verbindung grundsätzlich abgelehnt, den
unendlichen Raum überhaupt nicht anerkannt, gegenüber der Grundebene aber sich denkbar
schroff isoliert.
Lehrreich ist es auch, das Äußere der altchristlichen Basilika mit demjenigen des griechischen
Peripteros zu vergleichen, weil beide Langbauten im oblongen Vierecke sind, und ihr Vergleich
uns daher den klarsten Aufschluss darüber verschafft, worin sich die spätrömische Auffassung

1 Dass das grundsätzliche Hervorkehren der cubisch-räumlichen Dreidimensionalität der Bauform das oberste Leitmotiv aller
damaligen Baukunst gebildet hat, zeigt sich am schlagendsten an den Gebäuden, die auf Gemälden oder Reliefs der römischen Kaiserzeit und
der darauffolgenden Jahrhunderte dargestellt sind, und wenn sie in Viereckform angelegt waren, stets geflissentlich übereck gestellt und
womöglich in Obersicht genommen erschienen. Damit wurden sie ausdrücklich als raumfüllende Individuen hingestellt; dagegen wird die
Existenz des freien Raumes ringsherum ebenso nachdrücklich verneint, indem die möglichst einfachen und massig geschlossenen Umrisse
alle Verbindung mit dem äußeren Raume ablehnen. — Den gleichen Kunstzweck verfolgte man mit einer Drehung von Langbauten um 90°,
wie zum Beispiel an dem Relief einer Sarkophag-Schmalwand im Lateran (abgebildet bei Grisar, Geschichte Roms, I. 376, Fig. 110), wo
ein vermuthlich einschiffig gedachter Kirchenbau mit der Apsispartie im Profil beginnt, dann gegen die Fagade hin sich um einen rechten
Winkel dreht, wobei das Dach in perspectivischer Krümmung der Tegulae-Reihen mitfolgt, bis endlich die Eingangseite en face gegen den
Beschauer gekehrt dasteht. Da es sich hiebei nicht, wie man bisher wohl meinen mochte, um barbarische Unbehilflichkeit, sondern um ein
positives Wollen handelt, darf es nicht überraschen, die gleiche Art der Drehung auch in figürlichen Darstellungen (zum Beispiel am
sogenannten Constantius des barberinischen fünftheiligen Diptychons) beobachtet zu sehen. Es drückt sich darin zugleich auch wiederum
eine Art Objectivierung aus, die an die altegyptische (S. 52, 55 f.) erinnert, und deren Spuren wir mindestens bis zu den Grimani'schen
Brunnenreliefs im Wiener Hofmuseum (Hütte auf dem Relief mit dem Schafe) zurückzuverfolgen vermögen.
 
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